Digitalpakt versus Verfassung:In der Zwickmühle des Gesetzes

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Warum es so schwer ist, den "Digitalpakt Schule" rechtlich abzusichern - und wie es funktionieren könnte.

Der Digitalpakt soll Schüler mit Tablets versorgen - ein juristisch heikles Unterfangen. (Foto: imago/photothek)

Es würde wohl kaum jemand bestreiten, dass ein hoch entwickelter Industriestaat ein intelligentes Bildungssystem benötigt. Das Schicksal des "Digitalpakts Schule", dessen Start im Januar, nach zwei Jahren des Wartens, soeben geplatzt ist, zeigt aber: Das Selbstverständliche ist nicht so selbstverständlich, wie es erscheint. Damit der Bund in schnelles Internet, Tablets und digitale Tafeln für Deutschlands Schulen investieren darf, für die bekanntermaßen die Länder zuständig sind, muss eine juristische Basis gefunden werden. Um zu verstehen, warum das so schwierig ist, hilft ein Blick in die Geschichte der Verfassung.

Ende der 1960er-Jahre wurde eine Formel gefunden, die den damaligen Wildwuchs diverser Bund-Länder-Programme in ein einheitliches Konzept überführen sollte: der kooperative Föderalismus. Die Verfassungsreform von 1969 nahm dieses Konzept auf und regelte im Grundgesetz in den Artikeln 91a, 91b und 104a Abs. 4 das Zusammenwirken zwischen dem Bund und einzelnen oder mehreren Ländern.

Diese Erlaubnis zur Kooperation stand jedoch auf der "Kürzungsliste" der Föderalismuskommission, was dazu führte, dass die Artikel merklich verändert wurden. Besonders deutlich wird das bei Artikel 104b, zu dem der "alte" Artikel 104a hin verändert wurde. Der Unterschied zwischen beiden Bestimmungen ist, dass der Bund nur in den Bereichen, für die er selbst eine Gesetzgebungskompetenz hat, den Ländern Finanzhilfen gewähren kann - und zwar für besonders bedeutsame Investitionen der Länder selbst oder der Kommunen. Das hätte zunächst fast das Aus für die meisten Bildungs- und Wissenschaftsprogramme unter Bundesbeteiligung bedeutet, hätte es nicht Artikel 91b gegeben. Er erlaubt eine solche Zusammenarbeit bei der Wissenschaft in einem gewissen Rahmen.

Allerdings war dieser Rahmen viel zu eng gesetzt. Das zeigte sich nicht zuletzt daran, dass Artikel 104b verändert wurde. Von 2009 an gestattete er auch Finanzhilfen des Bundes jenseits seiner Gesetzgebungskompetenz: Nämlich dann, wenn die Abwehr von Notsituationen wie Naturkatastrophen die Bundeshilfe erforderte. 2014 wurde auch Artikel 91b verändert, seitdem kann der Bund langfristige Kooperationen zwischen Forschungsinstituten und Hochschulen finanzieren. Zum Glück, denn ein hoch entwickelter Industriestaat braucht auch ein intelligentes Forschungssystem.

Bei den Schulen aber blieben Kooperationen schwierig, wie jetzt der Digitalpakt zeigt. Um ihn verfassungsrechtlich abzusichern, liegen drei Vorschläge auf dem Tisch: Die frühere Forschungsministerin Johanna Wanka brachte 2016 den Artikel 91c des Grundgesetzes ins Spiel. Er regelt die Kooperation von Bund und Ländern bei informationstechnischen Systemen. Allerdings ist die Regelung so speziell, dass sie eine haushaltstechnisch hoch anspruchsvolle Gestaltung des "Digitalpakts Schule" nach sich ziehen würde.

Aus diesem Grund vereinbarten CDU, CSU und SPD im vergangenen März in ihrem Koalitionsvertrag einen anderen Weg: den Artikel 104c zu ändern (oder einen neuen Artikel 104d hinzuzufügen).

Die dritte Möglichkeit bringt der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann immer wieder ins Gespräch: eine Neuverteilung der Umsatzsteuereinnahmen nach Artikel 106 Abs. 4. Laut Kretschmann könnten Finanzbedarfe der Länder dadurch so abdeckt werden, dass sich Bundeshilfen erübrigen. Dieser Idee scheinen sich jetzt mehrere Bundesländer angeschlossen zu haben.

Über alle drei Möglichkeiten lässt sich diskutieren. Hier soll jedoch noch eine vierte ins Spiel gebracht werden: Warum ändert man nicht Artikel 91b des Grundgesetzes dahingehend, dass er auch den Schulbereich (oder zumindest dessen digitale Ausstattung) erfasst? Artikel 91b Abs. 2 betrifft ohnehin schon eine Frage des Bildungswesens, nämlich die "Feststellung der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens im internationalen Vergleich" (Stichwort: Pisa). Wenn ohnehin das Grundgesetz geändert werden soll, so fragt sich, warum man nicht an der Stelle ansetzt, die eine längerfristige Kooperation zwischen Bund und Ländern erlaubt. Und bei der der Bund in einzelnen Programmen durchaus 100 Prozent der Kosten tragen kann - so wurde es 2006 bei der damaligen Neufassung von Artikel 91b Abs. 3 nämlich verabredet. Wieso ergänzt man nicht den Artikel 91b um einen Absatz 2a, der dieses erlaubt? Wenn jeder Vertragspartner seine Gelder und seine Kompetenz einbringt, so bedarf es nicht des kleinteiligen Systems der Hin- und Rückausnahmen, wie sie derzeit für Artikel 104b und 104c diskutiert werden - so ist zumindest zu hoffen.

Man sollte einfach einmal darüber nachdenken.

Margrit Seckelmann, 46, ist Expertin für Wissenschaftsrecht, Geschäftsführerin des Forschungszentrums für öffentliche Verwaltung in Speyer und Vertreterin eines Lehrstuhls an der dortigen Universität für Verwaltungswissenschaften.

© SZ vom 10.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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