"Du ***!" steht eines Tages auf der Facebook-Pinnwand. Dort, wo Freunde sonst schwarz-weiß Schnappschüsse vom letzten Partywochenende oder lustige Youtube-Videos posten. Freundschaftsanfragen werden nicht mehr beantwortet. Und irgendwann entdeckt die/der Betroffene ein zweites, gefälschtes Profil unter ihrem/seinem Namen, mit Einträgen und Fotos, die nur ein Ziel haben: Die Zielperson lächerlich zu machen.
Etwa 17 Prozent der Schüler in Deutschland sind schon mal Opfer von Cybermobbing geworden. Das ist das Ergebnis einer Online-Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing e.V. unter wissenschaftlicher Leitung der Soziologin und Sozialpsychologin Catarina Katzer. Es ist die bislang umfassendste Untersuchung hierzulande: Mehr als 10.000 Personen wurden befragt, Schüler unterschiedlicher Altersstufen und aller Schulformen, aber auch Eltern und Lehrer.
Die Studie erhebt keinen Anspruch auf Repräsentativität. Dennoch geben die Ergebnisse Anlass zur Sorge: Denn sie zeigen nicht nur, wie verbreitet Mobbing im virtuellen Raum ist. Sondern sie machen auch deutlich, wie hilflos Eltern und Lehrer dem Problem gegenüberstehen.
Mädchen werden häufiger Opfer von Cyberattacken
Zwischen zwölf und 15 Jahren treten der Studie zufolge die meisten Fälle von Cybermobbing auf. In dieser besonders kritischen Zeit intensiviert sich nicht nur die Internetnutzung der Jugendlichen, sie befinden sich auch mitten in der Pubertät. Das macht sie einerseits verletzlicher, andererseits treten in diesem Alter Konflikte mit Gleichaltrigen zur Identitätsfindung auf, die mutmaßlich immer öfter (auch) über das Internet ausgetragen werden. Mädchen werden häufiger Ziel von Cyberattacken als Jungen - so wurde mehr als jede zweite 15-Jährige bereits Opfer virtueller Anfeindungen.
Wenig überraschend ist die Verteilung von Cybermobbing auf die verschiedenen Schularten: Am seltensten sind Vorfälle an Grundschulen, was vor allem auf die geringere Internetnutzung in dieser Altersgruppe zurückzuführen sein dürfte. Die meisten Cybermobbingfälle wurden an Berufsschulen, Hauptschulen (in Bayern Mittelschulen) und Realschulen beobachtet. Jeder zweite befragte Hauptschullehrer berichtete von wöchentlichen Vorfällen an seiner Schule. Gymnasien sind dagegen seltener betroffen.
Dieses Ergebnis scheint einmal mehr das höhere Frustrations- und Aggressionspotential an Haupt- und Realschulen zu bestätigen, die auch stärker als andere Schulformen mit physischer Gewalt in der Schülerschaft zu kämpfen haben. Allerdings könnten die Zahlen noch einen anderen Hintergrund haben: Der Studie zufolge sind Haupt- und Realschulen am wenigsten in der Prävention von Cybermobbing engagiert.
Dabei wäre Aufklärungsarbeit an den Schulen und eine Sensibilisierung der Schüler der erste Schritt, dem Problem entgegenzutreten. Denn der Tatort beim Cybermobbing hat sich zwar vom Schulhof vor allem in soziale Netzwerke verlagert. Doch die Beteiligten kennen sich überwiegend nicht aus dem Netz. "Der größte Teil der für die Cybermobbing-Attacken Verantwortlichen stammt mehrheitlich aus dem sozialen Umfeld der Schule", heißt es in der Studie.
Am häufigsten haben betroffene Schüler unter Beleidigungen und Beschimpfungen zu leiden (60 Prozent). Etwa 40 Prozent werden Opfer von Lügen oder Gerüchten. 30 Prozent müssen sich Hänseleien gefallen lassen. Jedes vierte Opfer wird unter Druck gesetzt oder gar bedroht.
Neben den "klassischen" Formen des Mobbing machen sich die Täter auch gezielt die Eigenheiten und technischen Potenziale von sozialen Netzwerken und Internetplattformen zunutze: So werden die Opfer in Online-Communities ausgegrenzt (25 Prozent). Fotos der Betroffenen werden kopiert und anderweitig verwendet (17 Prozent) oder peinliche Bilder und Videos ohne Zustimmung veröffentlicht (15 Prozent).
Diese Attacken sind besonders wirkungsvoll, weil das Cyberlife für Jugendliche eine immer größere Rolle spielt. Für die Gemobbten gibt es kein Entkommen: "Die Täter kommen bis ins Kinderzimmer und die Opfer können sich kaum entziehen, finden keinen Schutzraum mehr. Internet und Facebook sind überall", schreiben die Macher der Studie. Die Traumatisierung der Opfer von Cybermobbing sei deshalb oftmals stärker als bei traditionellem Mobbing. Jeder fünfte betroffene Schüler leidet demnach noch heute unter dem Erlittenen.
Die Scham der Mobbingopfer ist groß
Mütter und Väter bekommen die Nachstellungen im Netz häufig gar nicht mit. Zwar sind für Jugendliche neben Freunden die eigenen Eltern immer noch bevorzugte Ansprechpartner bei Problemen. Doch die Scham von Mobbingopfern ist groß. Das zeigt sich auch darin, dass nur etwa sieben Prozent der befragten Eltern berichteten, ihre Kinder seien schon mal Opfer von Cybermobbing geworden. Dagegen lag die Quote bei den befragten Schülern deutlich höher - nämlich bei 16,6 Prozent.
Dazu kommt, dass die wenigsten Eltern (lediglich 17 Prozent) die Internetaktivitäten ihrer Kinder begleiten und überwachen. Bei mehr als 80 Prozent der Jugendlichen, die einen eigenen Computer besitzen, steht dieser im Kinderzimmer - also in einer weitgehend "kontrollfreien Zone". Zudem besitzen die meisten Jugendlichen mittlerweile ein internetfähiges Handy. Sie können also zu jeder Zeit an jedem Ort Opfer werden - oder Täter.
Eltern und Lehrern sind diese Problematiken von Cybermobbing zwar bewusst. Doch sie fühlen sich nicht ausreichend über das Thema informiert und halten ihre Kinder bzw. Schüler für die eigentlichen "Internet-Profis".
Die Forscher appellieren deshalb auch an die Politik, die Lehrer in ihrer Internetkompetenz zu stärken und sie besser über die Möglichkeiten zu informieren, gegen Cybermobbing vorzugehen. Abschließend heißt es: "Die Schattenseiten des Internet betreffen aber nicht nur Schüler, Eltern und Lehrer, sondern uns alle. Deshalb sind wir als Gesellschaft insgesamt gefordert zu reagieren."