Neoliberale Schule
In frühkapitalistischer Zeit hatten die Beschäftigten Lebensmittel und Heizmaterial gefälligst selbst in die Fabrik mitzunehmen. Sie mussten auch selbst fürs Alter vorsorgen und Ärzte bezahlen. Erst lange gewerkschaftliche Kämpfe nahmen die Betriebe nach und nach in die Pflicht: für angemessene Ausstattung des Arbeitsplatzes, für Beteiligung an Alters- und Krankenversorgung, für Lohnfortzahlung bei Urlaub, Krankheit und bei Fortbildungen. All diese Verantwortlichkeiten stehen wieder zur Disposition, seit es jene kleinen Universalmaschinen gibt, die heute nahezu jeder in der Akten- oder Hosentasche mit sich führen kann.
Sie lassen sich in einem Firmengebäude genauso bedienen wie in der Privatwohnung. Wohn- und Arbeitsraum, Privat- und Berufssphäre, Freizeit und Arbeitszeit gehen wieder ineinander über. Warum soll man für Arbeiten, die feste kollektive Arbeitsräume gar nicht mehr erfordern, feste Lohnverpflichtungen eingehen? Warum nicht jeden Computerbesitzer als Selbständigen erachten, den man als Lieferanten von Arbeitsleistungen bezahlt, statt ihn dauerhaft einzustellen? Der hübsch selbst für seine Infrastruktur und Versicherungen aufkommt, dafür aber auch seine Arbeits- und Freizeit völlig frei und selbständig organisieren darf - wenn er seine Leistungen nur vertragsgemäß erbringt?
So läuft die flexibilisierte, deregulierte Arbeitswelt. Nur die Bildungswelt hinkt noch hinterher. Immer noch gibt es feste gemeinsame Unterrichtsräume und -zeiten, homogene Unterrichtsgruppen mit festem Fächerkanon und vorgegebenem Pensum. Und vor allem Lehrer, die ganzen Schülergruppen in derselben Zeit dasselbe Fachpensum vorexerzieren und abverlangen, womöglich per "Frontalunterricht", obwohl doch jeder Schüler anders tickt und das wirkliche Leben nicht in den Schubladen von Fächern verläuft.
Schluss damit, fordert die neoliberale Bildungsideologie. Zeitgemäßer Unterricht orientiert sich an den persönlichen Interessen und am individuellen Tempo der Lernenden. Er braucht keine Lehrer, sondern Lernbegleiter, die überall zur Stelle sind, wo jemand mal nicht weiterkommt und spezielle Förderung nötig hat. Mobile Coaching-Teams, die den Umgang mit der neuen medialen Lernwelt einüben, in offenen Lernräumen, aber auch online beraten, sind das Gebot der Stunde. An die Stelle von Lehrplänen, die alle auf die Erlangung bestimmter Sach- und Fachkompetenzen verpflichten, tritt ein flexibles Kompetenzdesign.
Soft Skills
Bei den Kompetenzen stehen Soft Skills obenan. Sie sind schon in den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz für die Grundschule angelangt: "Anstelle von trägem Wissen, das die Schülerinnen und Schüler nur zur Beantwortung von eng begrenzten und bekannten Aufgabenstellungen nutzen können, soll vernetztes Wissen entwickelt werden."
Für den Schreiblehrgang etwa bedeutet das: Nach vier Jahren verfügen die Schüler "über grundlegende Rechtschreibstrategien. Sie können lautentsprechend verschriften und berücksichtigen orthografische und morphematische Regelungen und grammatisches Wissen. (. . .) Sie erproben und vergleichen Schreibweisen und denken über sie nach. Sie gelangen durch Vergleichen, Nachschlagen im Wörterbuch und Anwenden von Regeln zur richtigen Schreibweise. Sie entwickeln Rechtschreibgespür und Selbstverantwortung ihren Texten gegenüber."