Zigarrenmanufaktur:Klein-Havanna in Perlesreut

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Cornelia Stix leitet in dritter Generation die Zigarrenmanufaktur in Perlesreut. (Foto: Stephanie Probst)

Die letzte Zigarrenmanufaktur im Freistaat, in der von Hand gerollt wird, steht im Bayerischen Wald. Ohne einen zweiten Beruf wäre es Inhaberin Cornelia Stix kaum möglich, das Familienunternehmen zu halten.

Von Stephanie Probst, Perlesreut

Es ist heiß. Das Thermometer zeigt knapp 30 Grad im Schatten, die Luft flackert über dem Asphalt. Hinter den alten Mauern der Zigarrenmanufaktur ist es angenehm kühl, nur das alles überlagernde Aroma der Tabakblätter hängt schwer in der Luft. Drei Frauen arbeiten an den abgewetzten Holztischen und rollen die braunen, ledrigen Blätter zu Zigarren.

Was sich anfühlt wie Havanna, ist Perlesreut im Bayerischen Wald. In der kleinen Marktgemeinde liegt, ein bisschen versteckt in einem Hinterhof, die Zigarrenmanufaktur "Wolf & Ruhland" - die letzte ihrer Art in Bayern. Cornelia Stix leitet in dritter Generation den Familienbetrieb. "Viele lächeln süffisant, wenn ich sage, dass wir zehn Mitarbeiter haben", sagt Stix. "Aber wir haben noch Mitarbeiter. Viele Zigarrenmanufakturen, die in den letzten hundert Jahren entstanden sind, mussten schließen." Stix' Manufaktur ist die letzte in Bayern, die Zigarren von Hand rollt.

Es war im Jahr 1909, als der Mannheimer Kaufmann Hermann Wolf mit seiner Schwägerin Käthe Ruhland die Zigarrenfabrik gründete - und zwar in München. Denn ursprünglich war die Manufaktur in Perlesreut nur ein Zweitwerk. Die Fabrik in München wurde nämlich so erfolgreich, dass Wolf und Ruhland 1917 einen Standort für ein zweites Werk suchten. Dank der Freundschaft mit Karl Hilz, dem Großvater von Cornelia Stix, entschied sich Wolf für das Bayerwald-Dorf und stellte 170 Mitarbeiter ein, fast alles Frauen.

Damit diese Kindererziehung und Beruf unter einen Hut brachten, stiftete Wolf einen Kindergarten - durchaus revolutionär für die damalige Zeit. "Bei uns waren die Leute noch dankbar", sagt Stix. "Dankbar für die Arbeit und dankbar für das Geld." Die Perlesreuter nannten den Firmenchef alsbald "Vater Wolf". Sein Bild hängt noch heute an einer Wand in der kleinen Fabrik. Mit Vollbart und runder Brille lächelt der kräftige Patriarch auf die Arbeiterinnen hinab.

Die Zigarren werden in Perlesreut noch immer wie vor hundert Jahren hergestellt. Das ganze Jahr über rollen die Arbeiterinnen Zigarren und Zigarillos, die dann in den Kellern unter der Werkstatt bei konstanter Luftfeuchtigkeit wie in einem großen Humidor gelagert werden. Bianca Hofbauer ist eine von acht Zigarrenrollerinnen, die in der Fabrik angestellt sind.

Für einige Formate wird sogar das Innenleben manuell angefertigt. (Foto: Stephanie Probst)

Heute stellt sie Virginias her. Diese Zigarren sind das Markenzeichen der Manufaktur. Mit einem großen Pinsel streicht die junge Frau ein dunkelbraunes, ledriges Tabakblatt mit Zigarrenkleber aus Stärke und Wasser ein. Dann schneidet sie es fingerfertig der Länge nach in drei gleich große Teile und rollt jeweils einen Teil um das bereits vorbereitete Innenleben einer Zigarre. Bianca Hofbauer arbeitet schnell und präzise - an einem Vormittag schafft sie bis zu 250 Zigarren.

Geschäftsführerin Cornelia Stix mag die schmale Virginia-Zigarre am liebsten: "Ihr Duft ist fantastisch. Nach Geräuchertem und Honig - eigentlich riecht die Virginia wie der Bayerische Wald." Für den besonderen Geschmack der Zigarren ist Stix' Sohn Martin zuständig. Er kümmert sich darum, dass die Tabakmischung stimmt und die Zigarren immer gleich schmecken. Die genauen Mischungen sind geheim, einige Rezepturen stammen noch von Karl Hilz, andere wurden dem heutigen Kundengeschmack angepasst. Aber: "Geschmacksverstärker oder Parfümierungen kommen bei uns sicherlich nicht in die Zigarre", sagt Cornelia Stix.

Der Wendepunkt in der Firmengeschichte kam nach dem Zweiten Weltkrieg. Mit den US-Soldaten hielt in Deutschland die Zigarette Einzug, die Zigarre war bald nicht mehr zeitgemäß. Außerdem verbreitete sich immer mehr, dass Rauchen sehr gefährlich ist für die Gesundheit, die Zahl der Raucher nimmt kontinuierlich ab. Das Stammwerk in München ist schon vor vielen Jahren geschlossen worden, auch in Perlesreut fielen viele Stellen weg. In dieser schwierigen Zeit übernahm Karl Hilz die Firma.

Allein von der Zigarrenproduktion ließ sich aber bald nicht mehr leben. Sein Sohn Hermann Hilz hielt sich mit einer Tankstelle und einer Autowerkstatt über Wasser. Auch Cornelia Stix, die seit 2006 in dritter Generation das Unternehmen führt, hat einen zweiten Beruf - sie ist Lehrerin. "Es ist schwierig, die Manufaktur zu halten", sagt sie. "Man wird nicht reich damit. Aber man kann über die Runden kommen und man kann die alten Gebäude erhalten - aber es ist nicht rentabel." Jeder Betriebswirtschaftler würde ihr "den Vogel zeigen", sagt die 55-jährige Firmeninhaberin. Aber sie begreift es als ihre Aufgabe, die Manufaktur am Leben zu halten. Aufgeben komme nicht in Frage - "mein Herzblut hängt daran", sagt sie.

Es kostet Nerven, bis der Tabak an seinem Ziel ist

Die Zigarrenrollerinnen haben nur eine einzige Maschine zur Verfügung. Sie ist laut und wuchtig und stellt die Wickel her - also das Innenleben der Zigarre. Die große Maschine ist auch schon mehr als 60 Jahre alt. Für manche Zigarrenstile stellen die Frauen die Wickel auch in Handarbeit her - an einer Rollapparatur her, die mit dem Fuß bedient wird. Dabei wird ein befeuchtetes Umblatt mit ausgewählten Tabaksorten befüllt. Insgesamt hat die Manufaktur 13 Formate im Sortiment. Von der größten, der Toccata Torpedo, deren Banderole die Firmenchefin von Hand beschriftet, bis zu den kleinen Zigarillos, die in Holzschachteln verkauft werden.

Den Tabak bezieht Firmenchefin Cornelia Stix aus Java, Sumatra oder Mexiko. Die teure Ware gelangt dann über den Seeweg nach Europa - ein großes hölzernes Schiff über den Arbeiterinnen erinnert daran. Lastwagen bringen den Tabak dann nach Perlesreut. Doch ganz einfach ist das nicht. Von der Autobahn bis nach Perlesreut sind es knapp 30 Kilometer, die Straßen sind schmal und die Kurven eng, oft geht es durch den Wald und die meiste Zeit bergauf. Das kostet die Lastwagenfahrer viel Zeit - und vor allem viele Nerven. Schon oft hat Stix überlegt, ihre Manufaktur näher an die Autobahn zu verlegen. Aber sie hat den Gedanken immer wieder verworfen. "Ich liebe meine Heimat einfach viel zu sehr", sagt die Firmeninhaberin, "ich kann hier doch nicht einfach weg."

Außer den acht Zigarrenrollerinnen arbeiten Stix' Mann, ihre Mutter und die erwachsenen Kinder in der Manufaktur mit. "Wir sind ein Familienbetrieb, da helfen alle zusammen. Oder müssen zusammenhelfen", sagt Stix und lacht. Ob einmal eines ihrer Kinder die Manufaktur übernehmen wird, kann sie heute noch nicht sagen. "Auch der Martin hängt wahnsinnig an der Firma, aber ich weiß, was für eine unfassbare Arbeit dranhängt", sagt Stix. "Das möchte ich meinen Kindern eigentlich nicht antun." Trotzdem ist es ihr Herzenswunsch, dass es irgendwie weitergeht. Der Tradition zuliebe.

© SZ vom 08.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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