Wirtschaft:So ein Feiner

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Der Markt für Tierfutter wächst, Frauchen und Herrchen geben immer mehr Geld für ihre Lieblinge aus. Die meisten Hersteller sitzen im Norden, in Bayern produzieren nur zwei Firmen für Hunde und Katzen

Von Maximilian Gerl, Wehringen

Georg Müller öffnet die Tür zu seiner Fabrik. Sofort wird der Geruch stärker, strömt ein Duft von Trockenfutter heraus. In der Lagerhalle stapelt sich säckeweise Tiernahrung. Im Raum nebenan laufen große und kleine Rohre die Decke entlang, von Kessel zu Kessel, von Maschine zu Maschine. Müller öffnet eine Abdeckung, holt ein paar braune Kroketten aus dem Rohr. Warm liegen sie in der Hand. Bis zu 250 Tonnen Tierfutter verlassen Müllers Fabrik täglich, 65 000 Tonnen sind es im Jahr. Eine ordentliche Menge. Das bekommt nur kaum jemand mit.

Hersteller von Hunde- und Katzenfutter geraten selten in den Blick der Öffentlichkeit. Bayerische noch seltener. Dabei macht die sogenannte Petfood-Industrie gerade gute Geschäfte. Allein für Hundefutter gaben die Deutschen 2016 rund 1,4 Milliarden Euro aus - 2,4 Prozent mehr als 2015. In Bayern fällt das allerdings kaum auf. Das hat einen einfachen Grund: Es gibt hierzulande wenige Tierfutterhersteller, und darunter noch weniger, die für die klassischen Heimtiere Hund und Katze produzieren. Um sie abzuzählen, braucht man exakt zwei Finger.

Georg Müller sagt: "Außer uns gibt es da jemanden in Aschaffenburg." Klaus Wagner sagt: "Stimmt, das war's dann." Müller ist Vorsitzender des Industrieverbands Heimtierbedarf und Chef von Interquell. Der Firma aus dem schwäbischen Wehringen gehört unter anderem die Marke "Happy Dog", nach eigenen Angaben die deutsche Nummer eins beim Hundetrockenfutter. Wagner ist Geschäftsführer von Josera aus Kleinheubach bei Aschaffenburg in Unterfranken. Die übrigen Tierfutterhersteller in Bayern haben sich auf Nutztiere spezialisiert, auf Kühe, Schweine, Schafe. Oft produzieren sie für Fische, Pferde oder Kaninchen gleich mit, wie zum Beispiel das Dewa-Kraftfutterwerk im mittelfränkischen Emskirchen.

Was kommt in den Napf? Darüber zerbrechen sich so manche Hundehalter mindestens so den Kopf wie über ihr eigenes Essen. (Foto: Meike Engels/imago stock&people)

Die Umsätze auf dem Petfood-Markt wachsen. Was weniger an den Tieren als an Herrchen und Frauchen liegt. Tatsächlich blieb die Zahl der Hunde in Deutschland in den vergangenen Jahren recht stabil, schwankte stets um die sieben bis acht Millionen Tiere. Ähnlich verhielt es sich mit den etwa zwölf Millionen Katzen. Die neue Dynamik liegt im Umdenken beim Kunden - oder, je nach Sichtweise, an seinem Hang zum Verhätscheln. Früher schmiss man seinen Haustieren Reste hin, heute gelten sie als enge Familienangehörige, die ganz selbstverständlich umsorgt werden. "Den Menschen wird ihr Haustier immer wichtiger", sagt Müller, "manche ernähren es besser als sich selbst." Die Currywurst von der Pommesbude für sich, den feinen Thunfisch für die Katz. Futter ist nicht mehr Fressen, Futter ist jetzt Premium.

Die Familiengeschichte der Müllers spiegelt die Entwicklung wider. Fast 200 Jahre lang betrieben sie in Wehringen eine Mühle, mahlten an der Singold Getreide. In den Fünzigerjahren begann der Vater von Georg Müller, Kartoffelflocken für Nutztiere herzustellen. Von 1965 an baute er einen Unternehmenszweig für Hunde-, später auch Katzenfutter auf. Heute steht statt einer Mühle ein kleiner Fabrikkomplex. In 40 Silos lagern die Rohstoffe, die Müller für sein Trockenfutter braucht. Mehrere Sorten Fleischmehl sind darunter, etwa Lachs, Kaninchen und Rentier, genauso wie Kartoffel- und Kastanienmehl. Je nach Rezept werden die Mehle vermischt und gepresst, erhitzt, abgekühlt und per Roboter abgefüllt. Mitarbeiter messen anhand des Gewichts der Pellets, wie viel Feuchtigkeit in ihnen steckt. Im hauseigenen Labor tüfteln Wissenschaftler derweil an neuen Rezepten.

Die Produktvielfalt treibt skurril anmutende Blüten. In den Läden für Heimtierbedarf treten Futterfabrikanten mit immer neuen Mischungen gegeneinander an. Es gibt Futter für Welpen und Kätzchen, für Teenager, Erwachsene und Senioren; Futter für Tiere mit Übergewicht oder Hautproblemen; Futter ohne Fleisch und Gluten oder gleich mit Bio-Siegel. Das neuste Produkt von "Happy Dog" sind herzförmige Kroketten mit Loch in der Mitte. Junge Hunde sollen sie dank ihrer Form leichter zerkauen und besser verdauen können. Josera bewirbt ein Futter für "gemütliche Stubentiger", das den PH-Wert im Katzenurin vermindere und damit das Risiko einer Struvitsteinbildung. Harn- oder Nierensteine bei Katzen bestehen oft aus dem Material Struvit.

Tradition: Unter Helga Müller sen. (2.v.l.) stieg die Familie in die Futterproduktion ein. Heute führt Sohn Georg (Mitte) die Geschäfte. (Foto: Interquell)

Für die Hersteller lohnt sich die neue Vielfalt. Und bringt ein neues Problem mit sich. Jeder neue Ernährungstrend setzt sie unter Druck: Springen sie auf den Zug auf? Oder lassen sie ihn an sich vorbeiziehen? "Das ist eine schwierige Abwägung", sagt Müller.

Um aus der Masse hervorzustechen und sich selbst im Trendchaos zurecht zu finden, setzt die Tierfutterindustrie verstärkt auf Markenbildung. Damit gilt beim Schappi, was in der Mode oder beim Auto Usus ist: Am Ende zählen der Name und die Geschichte hinter dem Produkt. Qualität produzieren und kommunizieren. So auch bei Interquell und Josera. Beide spielen die Karte Familienbetrieb aus, stellen nachhaltige, transparente Produktionsmethoden in den Vordergrund. Sogar eigene Futterberater beschäftigen sie, die Kundenfragen zum perfekten Futter beantworten sollen. "Man muss sich die Nische suchen", sagt Müller. Kollege Wagner: "Das darf nicht nur Marketing sein, das muss authentisch sein." Tierfutter sei in erster Linie Vertrauenssache, also müsse man dafür sorgen, dass das Vertrauen gerechtfertigt sei. "Es gab in den letzen Jahren so viele Lebensmittelskandale, da müssen wir vorbauen."

In der Nische können die bayerischen Firmen erfolgreich sein. Doch die große Musik, ob für Heim- oder Nutztiere, wird auch in Zukunft anderswo gespielt. Etwa 60 Prozent der deutschen Futterfabrikanten kommen aus Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Im weiten flachen Land gibt es größere Anbauflächen, entsprechend kurz ist der Weg zu den wichtigsten Rohstoffen. Im Norden hat auch Europas größter Händler für Heimtierbedarf seinen Sitz: Fressnapf aus Krefeld betreibt fast 1400 Märkte weltweit. Der Jahresumsatz lag zuletzt bei 1,8 Milliarden Euro. Daneben mischen ausländische Konzerne kräftig mit. Mars und Nestlé beherrschen je rund ein Drittel des westeuropäischen Markts, alle anderen teilen sich das übrige Drittel. "So ähnlich ist das auf der Welt fast überall", sagt Müller. Durch eine Tür in der Lagerhalle geht er zurück in ein Verwaltungsgebäude, an den Wänden hängen Afrikafotos. Müller streift Kittel und Haarnetz ab. Der Geruch bleibt in der Fabrik zurück. Bis auf einen Hauch.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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