Vor der Europawahl:Die Segnungen des Apparats

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Fällt das Wort Europa, dann denken viele sofort an einen gigantischen bürokratischen Apparat. Doch ohne Förderprogramme und Regelungen der EU wären die Standards auch in Bayern nicht so hoch.

Christian Sebald

1,3 Milliarden für Bayerns Bauern

(Foto: Foto: AP)

Ohne die EU hätten Andrea und Alfred Federholzner ihren Bauernhof längst zusperren müssen. 40 Milchkühe halten die Bauersleute im niederbayerischen Dietersburg, dazu ungefähr 50 Kälber und Jungrinder. Außerdem bewirtschaften sie etwa 47 Hektar Weide- und Ackerland. "35 Cent haben wir letztes Jahr noch für den Liter Milch bekommen", sagt Andrea Federholzner. "Inzwischen sind es nur noch 25, Tendenz fallend."

Auf 3000 Euro summiert sich der Einnahmenverlust der beiden inzwischen - im Monat. "Wären da nicht die Zahlungen der EU, wären wir völlig verloren", sagt Andrea Federholzner. Ungefähr 15000 Euro Agrarförderung erhält die Bauersfamilie im Jahr, der Löwenanteil davon sind Direktzahlungen aus Brüssel.

So wie Andrea und Alfred Federholzner geht es allen Bauern in Bayern. Natürlich geben auch hier Landwirte auf - binnen zehn Jahren waren es 40000. Trotzdem hat sich im Freistaat die typische Kulturlandschaft mit den vielen, vergleichsweise kleinen Familienbetrieben erhalten.

Ohne die EU wären sie längst von wenigen Großbetrieben und Agrarfabriken abgelöst worden - mit all den dramatischen ökologischen, sozialen und landeskulturellen Folgen für die ländlichen Regionen. Allein an Direktzahlungen für die ungefähr 110.000 Bauernhöfe im Freistaat überweisen die Brüssler Behörden jedes Jahr 1,1 Milliarden Euro nach Bayern.

Hinzu kommen weitere 200 Millionen im Jahr für Agrar-Umweltprogramme, Investitionen oder den Erhalt der Kulturlandschaft. Milchbauern etwa, die für ihre Kühe einen neuen Stall bauen, bekommen aus dem Topf bis zu 30 Prozent Zuschuss. Aber auch die Weideprämie von 30 Euro für jede Kuh, die im Sommer wenigstens ein Vierteljahr lang auf die Alm oder täglich auf das Grünland getrieben wird, wird so finanziert. Allerdings muss der Freistaat diese 200 Millionen "kofinanzieren" - also zu jedem EU-Euro einen weiteren aus seiner Kasse dazulegen.

Starke Forscherteams

"Das Wissen der Menschheit ist gigantisch", sagt Francois Bry, Professor für Informatik an der Ludwig-Maximilian-Universität in München. "Es ist aber oft so schlecht aufbereitet, dass man nicht so davon profitiert, wie man könnte."

Bry will das ändern. Zusammen mit Informatikern von sechs weiteren europäischen Universitäten und Unternehmen forscht er an einer Software für ein Wissensmanagement, das den Datenaustausch für alle erleichtert, die gemeinsam an einem Projekt arbeiten - gleich ob sie nun Wissenschaftler, Politiker, Wirtschafts- und Verwaltungsleute sind oder einem anderen Beruf nachgehen. Und gleich ob sie im selben Gebäude sitzen oder über die ganze Welt verstreut sind. "Kiwi-Projekt" nennt sich die Initative, die EU fördert sie mit knapp 2,7 Millionen Euro.

Ohne die EU wären Forschungsprojekte dieser Art nicht möglich. "Bayern alleine hat ebenso wie Deutschland, aber auch jeder andere EU-Staat nicht genügend Ressourcen an Wissenschaftlern und an Geld, um ein Projekt wie Kiwi voranzutreiben", sagt der Informatiker Bry. "Im europäischen Verbund dagegen können wir mit der Konkurrenz in den USA und anderswo sehr wohl mithalten."

Und das stärkt wiederum den Wissenschaftsstandort Bayern. Wobei sich die Forschungsförderung der EU natürlich nicht auf Informatikprojekte beschränkt. Sie erstreckt sich auf die Ingenieurwissenschaften ebenso wie auf die Sozial- und die Geisteswissenschaften und alle möglichen weiteren Disziplinen. Allen geförderten Projekten gemeinsam ist ihr starker Bezug zur Praxis - "da legt die EU sehr viel mehr Wert darauf als andere Förderstellen", sagt Bry.

Gleichwohl ist das EU-Geld in Bayern hochwillkommen. Von den 1,1 Milliarden Euro Forschungsgeld, das die EU bis 2013 an deutsche Hochschulen ausreicht, gehen allein 300 Millionen an jene im Freistaat.

Schutz für Biotope

(Foto: Foto: dpa)

Wer mit dem Auto auf der Salzburger Autobahn kurz vor dem Inntaldreieck in Richtung Süden braust, kann bisweilen Schwarzstörche am Himmel fliegen sehen. Sie sind im Rosenheimer Moor daheim, einem der größten zusammenhängenden Moorgebiete überhaupt im nördlichen Voralpengebiet. Nicht nur Schwarzstörche leben hier, auch der immer seltenere Sperlingskauz und der Brachvogel. Auch stößt man auf vom Aussterben bedrohte Sumpforchideen und den Sonnentau.

Allerdings wurde dem Rosenheimer Moor, das nach europäischem Naturschutzrecht streng geschützt ist, durch jahrzehntelangen Torfabbau arg zugesetzt. Im Rahmen eines EU-Projekts wird es nun so weit wie möglich wiederhergestellt. Von den knapp 1,9 Millionen Euro Kosten finanziert die EU die Hälfte.

So wie das Rosenheimer Moor sind weite Teile des Freistaats nach europäischem Naturschutzrecht streng geschützt - insgesamt knapp 800.000 Hektar oder 11,3 Prozent der Landesfläche, Moore ebenso wie Magerrasen, Flüsse, Schluchtwälder und alle möglichen anderen Biotope. "Das Naturschutzrecht der EU ist einzigartig, weil es besondere Lebensräume um ihrer selbst willen schützt", sagt Hubert Weiger, der Chef des Bundes Naturschutz. "Es ist Rettungsanker für unzählige Biotope, sei es, weil der Freistaat sonst Finanzen und Personal im Naturschutz noch mehr kürzen würde, sei es, weil er noch rücksichtsloser, etwa mit Verkehrsprojekten, die Natur zerstören würde."

Dass aber auch die EU keinen vollkommenen Schutz wertvoller Landschaften bietet, zeigt das sture Festhalten der Staatsregierung an der Isentalautobahn, die - wenn sie nun tatsächlich kommt - eines der letzten völlig naturbelassenen und natürlich nach EU-Recht streng geschützten Flusstäler Bayerns zerstören wird.

Doch nicht nur im Naturschutz setzt die EU die Standards. Auch im technischen Umweltschutz. "Kein Mensch würde heute über die Feinstaubbelastung in unseren Innenstädten debattieren, gäbe es nicht die Vorgaben der EU", sagt Weiger. Die Umweltzone in München zum Beispiel geht auf Vorgaben der EU zurück, ebenso die Luftreinhaltepläne in Augsburg, Nürnberg und Neu-Ulm.

Nicht zu vergessen ist auch die Badegewässerrichtlinie. Sie stellt sicher, dass Erholungssuchende an heißen Tagen in mehr als 370 Flüssen, Seen und anderen Gewässern Bayerns sorglos baden können - zumindest was die Wasserqualität anbelangt.

Förderung schwacher Regionen

Was haben das José-Carreras-Zentrum zur Behandlung von Krebspatienten an der Regensburger Uniklinik, das Umweltprogramm des fränkischen Getriebemotorenherstellers Zeitlauf, die Neugestaltung des Passauer Klostergartens, die Informationsoffensive Oberflächennahe Geothermie und der Zentrale Busbahnhof in Grafenau miteinander zu tun?

Sie alle wurden oder werden aus dem Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) finanziert. Mit diesem Fonds will die EU "gleichwertige Lebens- und Arbeitsbedingungen" für die Bevölkerung in allen ihren Regionen ermöglichen.

Einst floss EFRE-Geld hauptsächlich in strukturschwache Gegenden und das Grenzland. Der Busbahnhof in Cham ist ein Beispiel dafür. Inzwischen werden auch Kompetenzzentren (das José-Carreras-Zentrum), Qualitätsoffensiven von Firmen (Zeitlauf), städtebauliche Projekte (der Passauer Klostergarten) sowie besonders ressourcenschonende Techniken der Energiegewinnung (Informationsoffensive Geothermie) gefördert.

Die Zuschüsse reichen von Anerkennungsbeträgen bis zu Millionensummen. Sämtliche Föderungen werden allerdings nach einem strengen Verteilungsschlüssel zugeteilt. So überwies Brüssel der Firma Zeitlauf 1375 Euro für ihr Umweltprogramm, die Erdwärme-Offensive wird mit zehn Millionen unterstützt und den Neubau des José-Carreras-Zetrum fördert die EU mit 1,35 Millionen Euro.

In den Jahren 2007 bis 2013, so lange dauert eine Förderperiode der EU, erhält der Freistaat ungefähr 660 Millionen Euro EFRE-Geld. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums, das die Regionalförderung koordiniert, sind das 15Prozent mehr als früher. Ähnlich wie bei vielen Agrarprojekten ist auch die Regionalförderung an eine Kofinanzierung des Freistaats und jener Kommunen gekoppelt, die von ihr profitieren.

Mit Russisch zum Erfolg

Die Idee des Bamberger Sozialwissenschaftlers Wulf Bott war einfach, aber bestechend: Junge Aussiedler aus Russland sollten erst einmal richtig Russisch lernen und dann Deutsch. "Denn die meisten reden nur die russische Umgangssprache", sagt der emeritierte Professor Bott, "sie beherrschen die Grammatik nicht und tun sich daher extrem schwer, wenn sie plötzlich auch noch eine Fremdsprache lernen sollen."

Zwar beurteilten Boots Kollegen das Projekt sehr skeptisch. Aber bei der EU und im Münchner Sozialministerium fand der Sozialwissenschaftler Gehör. Dank der Förderung aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) konnte er seinen Sprachkurs an der Bamberger Uni anbieten. Mit einzigartigem Erfolg: Binnen weniger Monate verbesserten sämtliche Teilnehmer, allesamt russischstämmige Hauptschüler, ihre Deutschnote, keiner erhielt im Abschlusszeugnis eine schlechtere Beurteilung in Deutsch als Note 3, alle bekamen einen Ausbildungsplatz oder besuchten eine weiterführende Schule.

Aus dem ESF fließen Jahr für Jahr 50 Millionen Euro nach Bayern. Im Vergleich zu den Zahlungen für die Landwirtschaft ist das natürlich wenig. Aber jeder Euro soll helfen. Werden doch Projekte bezuschusst, die sonst geringe Aussichten auf Förderung hätten. Die aber bitter nötig sind: Schulungen für Langzeitarbeitslose, Praktika für Jugendliche, denen keiner mehr eine Chance gibt, berufsfördernde Maßnahmen für Migrantinnen und sogar die Sanierung weitläufiger maroder Stadtquartiere wie der Nürnberger Südstadt.

Und immer wieder gibt die EU-Förderung den Anstoß für weitere Unterstützung. Die Robert-Bosch-Stiftung und die Oberfrankenstiftung etwa wurden erst durch die ESF-Förderung auf Botts Russischkurse aufmerksam. Anschließend waren sie so davon überzeugt, dass sie das Projekt ebenfalls unterstützten.

Damit Bio Bio ist

Die Bio-Bananen aus Ecuador, die der Discounter um die Ecke so günstig verkauft, sind die wirklich Bio? "Ja", sagt Andrea Danitschek, Ernährungswissenschaftlerin an der Verbraucherzentrale Bayern. "Dank der EU kann man da sicher sein." Die EU-Ökoverordnung garantiert, dass überall in Europa und damit auch in Bayern Bio drin ist, wo Bio draufsteht - egal ob im Ökoladen oder im Supermarkt, egal ob das Lebensmittel aus einem EU-Staat oder von irgendwoher stammt.

"Das ist ein Riesenvorteil für die Verbraucher", sagt Danitschek, "wegen des Biobooms wird der Markt für sie ja immer unübersichtlicher." Genau das ist auch der Grund, warum die EU ihre Ökoverordnung fortlaufend anpasst. So wurden jüngst Ökokriterien für Aquakulturen aufgenommen, sind doch Bio-Garnelen gegenwärtig der Renner. Die EU legt freilich nicht nur für Bioprodukte die Standards fest, sondern für Lebensmittel überhaupt.

Mehr Rechte für Verbraucher

Das Kleingedrucke im Kaufvertrag für das neue Auto zum Beispiel - basiert auf einer EU-Richtlinie. Das Rückgaberecht im Versandhandel auch, ebenso die Zahlungsmodalitäten für Bestellungen im Internet, aber auch die Vorgaben für Überweisungen ins Ausland. Auch die Garantiepflicht des Herstellers von Haushaltsgeräten hat die EU geregelt, ebenso die Rechte eines Fluggastes auf einem Interkontinentalflug. "Ohne die EU hätten wir in Bayern wie im übrigen Deutschland kein so hohes Niveau im Verbraucherschutz", sagt Markus Saller, Jurist und Experte für rechtlichen Verbraucherschutz an der Verbraucherzentrale Bayern.

Die meisten Menschen und selbst Juristen wissen das freilich nicht. Die Vorgaben basieren zumeist auf sogenannten EU-Richtlinien. Sie gelten nicht unmittelbar, die Mitgliedsstaaten müssen sie in nationales Recht übersetzen. Deshalb denken die meisten, Verbraucherschutz sei eine urdeutsche Sache. "Eine andere Entwicklung ist, dass die EU ihren Mitgliedern gerade im Verbraucherschutz immer weniger Spielräume lässt", sagt Saller. "Die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie von 1999 etwa regelt alles, was Kaufverträge betrifft. Sie ist so eng gefasst, dass Sie auf Malta das gleiche Kaufrecht haben wie in Estland und den anderen Mitgliedsstaaten."

Bei der Verbraucherkreditrichtline aus den achtziger Jahren ist das noch anders. "Da hat man den Mitgliedsstaaten noch so viele Freiräume gelassen, dass es im Kreditwesen große Unterschiede gibt." Nicht mehr lange. Die Richtlinie wird neu gefasst.

© SZ vom 6.6.2009/bica - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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