Verdächtiger im Fall Ursula Herrmann:"Wir sind überzeugt von seiner Unschuld"

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Nach dem Vorpreschen eines Staatsanwaltes steht nicht nur für den Boulevard fest: Werner M. ist der Entführer von Ursula Herrmann. Doch die Wirklichkeit ist schwerer zu fassen.

Ralf Wiegand, Kappeln

Am Abend hat er sie noch einmal besucht, die Frau, die jetzt daheim hockt hinter heruntergelassenen Jalousien, obwohl draußen die Sonne scheint, und die die Welt nicht mehr versteht. Norbert Stark hat einen Schlüssel zu der Wohnung am Kappelner Hafen, der Wohnung der Familie M.

Ist der Mordfall Ursula Herrmann nach 27 Jahren aufgeklärt? Für manche Boulevardzeitung scheint dies gewisser als für die Freunde des Verdächtigen Werner M. (Foto: Foto: dpa)

"Wir arbeiten gerade gemeinsam noch ein paar Sachen auf, und vielleicht können wir bald mehr sagen zu der ganzen Geschichte", sagt Stark. Die ganze Geschichte steht am Samstag in allen Zeitungen; auch der in Kappeln erscheinende Schlei-Bote schreit auf der Titelseite: "Nach 27 Jahren: Polizei fasst Kindermörder in Kappeln".

Für auch nur einen Hauch von Zweifel ist kein Platz in solchen Schlagzeilen. Bild druckt riesengroß auf der Titelseite sogar das Foto des "Familienvaters Werner M. (58)", wie es im Bildtext heißt. Die Mühe, das Porträt des vollbärtigen Mannes wenigstens mit einem Balken zu verfremden, macht sich das Blatt nicht.

Werner M. ist der Freund von Norbert Stark, und seit Mittwoch kümmert sich der Gastronom um die Frau des mutmaßlichen Mörders. Seit Mittwoch, als am Morgen Polizisten in Zivil nach Kappeln in Schleswig-Holstein kamen und Werner M. unter dem Verdacht verhafteten, die Entführung von Ursula Herrmann und den Tod des damals zehnjährigen Mädchens zu verantworten zu haben.

"Schreckliche Gräueltat"

1981 war das, und das tote Mädchen in der im Boden vergrabenen Holzkiste ging als einer der spektakulärsten Fälle in die bayerische Kriminalgeschichte ein, ungelöst. Bis jetzt.

"Ich habe das auch alles gelesen, die Gräueltat. Grausam, schrecklich", sagt Norbert Stark, dessen Restaurant nur ein paar Schritte vom Geschäft von Werner M. entfernt liegt, direkt am Kappelner Hafen, wo schicke Segelboote und kleine Yachten in der Abendsonne schaukeln.

Stark sagt, er könne "diese Vorverurteilung" nicht verstehen. Er habe Werner M. als ordentlichen und korrekten Mann kennen gelernt, "ein bayerischer Grantler", aber ein freundlicher. Persönlich seien sie Freunde, "dazu stehe ich auch". Stark glaubt an M.s Unschuld.

Aber wenn es anders käme? Wenn sich seine Schuld herausstellen sollte? "Dann schließe ich das Thema unserer Freundschaft ab. Und werfe den Schlüssel in das tiefste Loch, das ich kenne."

Auch geschäftlich hatten die beiden miteinander zu tun. Stark und M. grillten jeden Dienstagabend um halb sieben am Hafen "ein Schwein". Hinter dem Laden für Segelbedarf von Werner M. ist eine kleine Freifläche, wo dann Biertische und Heizstrahler aufgebaut wurden, es gab bayerisches Bier.

Weit entfernt vom Ammersee

Und jeden Sonntag, wenn Fischmarkt ist, hatte Werner M. seine Bude aufgemacht, die auch hinten im Hof steht: "Bayerische Spezialitäten" steht auf dem blau-weißen Schild.

Wie lange der Inhaber eines Radio- und Elektrogeschäfts schon in Kappeln ist, weiß nicht mal Norbert Stark so ganz genau. Manche sagen, er sei erst vor drei Jahren gekommen. Stark glaubt, "es war wohl so 2001".

Auf jeden Fall hat sich M. einerseits eine Stadt ausgesucht, die weiter kaum entfernt sein könnte vom bayerischen Ammersee, wo man die Leiche von Ursula Herrmann einst fand. M. hatte dort, mit seiner Frau und seiner Tochter, ganz in der Nähe gewohnt.

Andererseits: Kappeln an der Schlei ist auf seine norddeutsche Art ähnlich idyllisch wie das Alpenvorland. So schön ist es, dass Kappeln seit 20 Jahren als der fiktive Ort "Deekelsen" Fernsehgeschichte schreibt: Die ZDF-Serie "Der Landarzt" wird hier gedreht.

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:Mordfall Ursula Herrmann

1981 wurde die zehnjährige Ursula Herrmann auf dem Heimweg vom Turnunterricht in Eching am Ammersee entführt. 19 Tage später fand die Polizei ihre Leiche in einer im Waldboden eingelassenen Holzkiste.

"Werner und seine Frau wollten hier ihren Lebensabend verbringen", sagt Norbert Stark, aber er fürchtet, dass das nicht mehr gehen wird. Auch M.s Frau vertraute dem Freund der Familie an, sie habe Angst, "dass ein Leben in der Stadt kaum mehr möglich sein wird - egal, wie die Sache ausgeht".

Die M.s hatten sich hoch im Norden eine offenbar funktionierende Existenz aufgebaut. Die Segler vom ASC Kappeln kauften gern bei Werner M. ein. Mit einer "Riesenauswahl an Bootszubehör" warb er für seine Ware, "stark in Edelstahl", textete er dazu. Der Laden hat sich auf Schrauben und Muttern, die nicht rosten, spezialisieren. Entsprechend heißt das Geschäft: "Niro Werner", für Niro-Stahl.

"Wir glauben das nicht"

Peter Seifert hat auch in dem Laden für Bootszubehör am Kappelner Hafen eingekauft. "Er hatte immer gute Preise und ein gutes Angebot", sagt Seifert. Was er nicht auf Lager hatte, hat Werner M. prompt besorgt, und wenn er auch nicht glaubt, dass M. selbst segelte, so sei er doch sehr kompetent.

Freundlich und nett sei er zu den Kunden stets gewesen, sagt Seifert, aber ansonsten "recht wortkarg. Man konnte nicht viel mit dem schnacken." Und dann M.s Frau, die sich nur im Elektrorollstuhl fortbewegen könne. Auch M. selbst habe Schwierigkeiten mit dem Gehen gehabt. Seifert und seine Segelkumpels haben beschlossen: Solange Werner M. nicht verurteilt sei, glaubten sie nicht an seine Schuld.

Norbert Stark sucht derweil nach Fakten, die seinen Freund entlasten. Er weiß von dem Verdacht, den die Ermittler schon lange gegen Werner M. hegten, seit vergangenen Oktober. Damals hatte Stark die Hausdurchsuchung mitbekommen, bei der schließlich laut Staatsanwaltschaft das Tonbandgerät gefunden wurde, auf das sich jetzt die Verhaftung stützt.

M. habe ihm damals alles erzählt und seine Unschuld beteuert, sagt Stark und deutet an, dass die Familie M. zu jener Zeit, als Ursula Herrmann entführt wurde, viel durchgemacht habe. Es habe damals "diesen Unfall" gegeben, von dem auch die Gehbehinderung von Frau M. herrühre. "Sie hat damals um ihr Leben gekämpft", sagt Stark. Aber wie gesagt, sie arbeiteten das gerade auf, vielleicht könne er bald mehr sagen.

Werner M. hat in Kappeln jedenfalls nicht so gelebt, als müsse er damit rechnen, dieses Leben bald aufgeben zu müssen. In den letzten Wochen baute er den großen Wohnwagen hinterm Haus aus; ob er denn auf große Reise gehen wolle, hat Peter Seifert ihn gefragt. Mal sehen, habe M. geantwortet.

In Zivil nach München

Am vergangenen Dienstag hatten M. und Stark zum vorerst letzten Mal zusammen am Hafen gegrillt, wie immer. "Norberts Schwein und Werners Bier, das Feinste an der Hafenpier", lautete ihr Slogan. Als Stark am Mittwochmorgen gegen ein Uhr aufräumen wollte, war schon die Polizei da und das Anwesen von M. abgesperrt.

Die örtliche Polizei war gar nicht involviert, "wir wussten von nichts", heißt es auf dem Kappelner Revier. Die Beamten kamen in Zivil, sie führten Werner M. ab und flogen mit ihm in einer Linienmaschine nach München.

Am kommenden Dienstag, wie immer um halb acht, wird Norbert Stark aber wieder ein Spanferkel grillen im Kapplner Hafen. Als Zeichen dafür, "dass wir überzeugt sind: Er ist unschuldig".

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