Verbieten:Suchtmaschine

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Manfred Spitzer hält Smartphones im Unterricht für schädlich

Das Smartphone gibt es seit zehn Jahren. Kein technisches Gerät hat je so schnelle Verbreitung über die gesamte Erde erlangt. Bei dieser Vermarktungsorgie blieb leider jegliche verantwortungsvolle Technikfolgenabschätzung auf der Strecke. Nach dem gegenwärtigen Stand unseres Wissens schaden Smartphones bei unkritischer Verwendung der körperlichen, emotionalen, geistigen und sozialen Entwicklung junger Menschen. Nachgewiesen wurden Bewegungsmangel und Haltungsschäden, Kurzsichtigkeit, Übergewicht, Bluthochdruck, eine prä-diabetische Stoffwechsellage, Schlafstörungen sowie erhöhtes Risikoverhalten beim Geschlechts- und Straßenverkehr: Die Nutzung von Geosocial Networking Apps fördert Gelegenheitssex und damit auch die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten; Smartphones haben bei jüngeren Verkehrsteilnehmern den Alkohol als Unfallursache Nummer eins abgelöst. Außerdem kommt es zu Aufmerksamkeitsstörungen, Ängsten, Depressionen, Sucht sowie zu geringerem akademischen Erfolg bis zum Schulversagen. Zudem vermindern Smartphones die Lebenszufriedenheit und die Empathiefähigkeit, das Mitgefühl gegenüber Eltern und Freunden.

(Foto: SZ-Grafik)

Den bekannten Nebenwirkungen stehen behauptete Wirkungen gegenüber, die bislang nicht nachgewiesen wurden. Schon 2011 verteilte man Smartphones im Rahmen einer Studie in den USA an 17-Jährige, die noch kein iPhone hatten. Ein Jahr später waren sie enttäuscht darüber, dass sie weniger gelernt hatten, mehr abgelenkt und in ihren Leistungen abgesunken waren. Verbietet man Smartphones an Schulen, geschieht das Gegenteil: Das Verwenden von digitaler Informationstechnik im Unterricht lenkt ab und führt allein aus diesem Grund zu vermindertem Lernen. Suchmaschinen dienen nur dann der Informationsbeschaffung, wenn der Suchende schon sehr viel weiß. Weiß er wenig oder nichts, sind sie Lehrbüchern unterlegen. Smartphones verführen zur Oberflächlichkeit und bewirken, dass weniger gelernt und behalten wird. Eine sehr große Studie an 90 Schulen im Großraum London, die zwischen 2002 und 2012 ein Handyverbot eingeführt hatten, ergab bei mehr als 130 000 Schülern eine signifikante Verbesserung der Leistungen in den Jahren nach dem Verbot. Besonders wichtig: Je schlechter Schüler vor dem Verbot waren, desto mehr steigerten sich ihre Leistungen. Die 20 Prozent besten Schüler wurden nach dem Handy-Verbot nicht besser, die 20 Prozent schwächsten Schüler verbesserten sich hingegen am deutlichsten. Das Handy bewirkt also nicht mehr Bildungsgerechtigkeit (wie oft behauptet wird), sondern führt bei geringerer Bildung zu einer zusätzlichen Benachteiligung.

"Einfach das Ding ausschalten, hilft nicht." Der Psychiater und Hirnforscher Manfred Spitzer, 59, lehrt an der Uni in Ulm, ist seit 1998 Direktor der Psychiatrischen Uniklinik und leitet dort das Transferzentrum für Neurowissenschaften und Lernen. (Foto: Markus Koelle)

Neueste Studien belegen: Das Smartphone bewirkt allein durch seine Präsenz eine Beeinträchtigung der kognitiven Leistungsfähigkeit, man spricht von Denkstörung. Je abhängiger man vom Smartphone ist, desto größer ist die Störung. Einfach "das Ding" ausschalten oder mit dem Bildschirm nach unten hinlegen, hilft nicht! Man sollte es in ein anderes Zimmer bringen und damit geschützte Zeiträume schaffen, um konzentriert arbeiten oder einfach nur gute Gespräche führen zu können. Das trifft für alle zu - vom Schüler bis zum Topmanager!

Ein Blick ins Ausland: Süd-Korea produziert weltweit die meisten Smartphones, die von jungen Menschen täglich im Durchschnitt 5,4 Stunden benutzt werden. Das dortige Wissenschaftsministerium gibt den Anteil der Smartphone-Süchtigen unter den Zehn- bis 19-Jährigen mit mehr als 30 Prozent an. Um die junge Generation vor den schlimmsten Auswirkungen des Smartphones zu schützen, wurde vor einigen Jahren die Smartphone-Nutzung von Menschen unter 19 Jahren per Gesetz einschränkt. Süd-Korea hat weltweit die meisten Erfahrungen mit der Smartphone-Nutzung bei Jugendlichen. An diesem Land sollten wir uns ein Beispiel nehmen.

© SZ vom 09.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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