Unwetter in Bayern:Treibhaus unter Hochspannung

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Festzelte fliegen durch die Luft, der Regen steht waagerecht: Mehr als 93.000 Blitze hat es bis Anfang Juli allein in Bayern gegeben. Doch wer glaubt, dieses Jahr sei besonders schlimm, der irrt.

Heiner Effern und Christian Sebald

Sabine Vetter und ihre Kollegen waren noch glücklich am Aufräumen, als am Freitagabend gegen 19.15 Uhr der Himmel plötzlich dunkel wurde. Die Feier zur Eröffnung des Radoms, eines Industriedenkmals in Raisting nahe dem Ammersee, war bei warmem Sommerwetter bestens gelaufen. Die ersten Regentropfen fielen, ein erster Windhauch kam auf. Und dann brach binnen Sekunden eine Urgewalt los, die Sabine Vetter nicht vergessen wird. "Ein erschreckender Moment war das, uns blieb nur noch hilfloses Zusehen."

Bis Anfang Juli hat der Blitz Informationsdienst mehr als 93.000 Blitze im Freistaat registriert. (Foto: Josef Rauscher)

Vom Radom aus, in das die meisten Helfer geflüchtet waren, wurden sie Zeugen, wie der Gewittersturm mit 90 Kilometern pro Stunde das 300 Quadratmeter hohe Festzelt einfach wegriss. "Es wurde hinten angehoben und dann über eine Hecke auf die Straße gewickelt." Bierbänke flogen durch die Luft, der Regen stand waagrecht. Sechs Helfer waren noch im Zelt als es abhob, eine Frau musste in die Unfallklinik nach Murnau gebracht werden.

Plötzliche heftige Gewitter wie am vergangenen Wochenende suchen Bayern seit Wochen heim. "Seit Mitte Juni ist Bayern eingekeilt zwischen schwül-warmer Mittelmeer-Luft, die von Südwesten her einströmt, und relativ stabilen Tiefdruckgebieten im Norden und den britischen Inseln", sagt Volker Wünsche, Meteorologe beim Deutschen Wetterdienst (DWD) in München. "Da wir genau im Grenzbereich liegen, führt das zwangsläufig zu heftigen Gewittern und bisweilen auch Stürmen." Wer nun glaubt, dieses Jahr ist das Geschehen am Himmel besonders heftig und über Bayern entladen sich besonders viele Gewitter, der täuscht sich aber. "Dieser Frühsommer ist nicht besonders auffällig", sagt Wünsche. "Im Gegenteil: Zumindest bisher liegt er im langjährigen Mittel."

Das gilt auch für die Blitzeinschläge, also die Blitze, die tatsächlich auf die Erde prallen. 93.208 registrierten die Antennen des Blitz Informationsdienstes von Siemens (Blids) bis einschließlich 8. Juli in Bayern. "Das liegt im jährlichen Mittel", sagt Blids-Leiter Stephan Thern. Allerdings habe die Blitz-Saison dieses Jahr erst Ende Juni richtig begonnen, weshalb der Eindruck richtig sei, dass es in den vergangenen Wochen häufig eingeschlagen habe. Heftiger seien die Einschläge nicht geworden: "Die Stromstärke hat sich die letzten 20 Jahre nicht geändert", sagt Thern

Auch die Unwetterwarnungen liegen 2012 im Durchschnitt. Im Juni gab der DWD für alle 71 Landkreise im Freistaat 354 Meldungen heraus, im Vorjahreszeitraum waren es 347 und wieder ein Jahr davor waren es 338. Keine besonderen Ausreißer auch bei den Niederschlägen. "Zwar hat es im Juni ungefähr die Hälfte mehr geregnet wie im Juni 2011", sagt Markus Garhammer, Meteorologe an der Ludwig-Maximilian-Universität München. "Aber dafür war der Mai so trocken, dass wir jetzt gerade mal wieder auf dem Durchschnittslevel angelangt sind."

Den Einzelnen, der mitten in einem Gewitter steckt oder dem womöglich gerade die Garage oder der Keller vollläuft, mag das wenig trösten. Aber auch das lässt den Meteorologen kalt. "Denn ist ja gerade das Wesen einer Gewitterfront", sagt Garhammer. "Die Zellen bauen sich kleinräumig auf, zum Beispiel südlich des Starnberger Sees, und gehen dann auch dort nieder. Die Münchner können derweil den ganzen Abend im Garten grillen, ohne auch nur einen Tropfen abzubekommen." Wie überhaupt das Alpenvorland das Unwetterzentrum ist in Bayern, gefolgt vom Bayerischen Wald an zweiter Stelle. "Das liegt an den Bergen und am Mittelgebirge, da können sich die Gewitterzellen besonders gut ausbilden."

Wie am vergangenen Wochenende in Raisting und auch in der Kreisstadt Schongau. 95 Einsätze zählte Michael Benkert von der Freiwilligen Feuerwehr. Der Großteil des Dachs vom Heilpädagogischen Zentrum riss sich los, flog durch die Luft und landete auf einer viel befahrenen Hauptstraße. "Glück im Unglück", sagt Kommandant Benkert, "dass nur eine Frau leicht verletzt wurde.

Nicht alle ärgern sich über Blitz und Wolkenbrüche. Kartoffeln, Getreide, Mais und all die anderen Feldfrüchte gedeihen so gut wie seit langem nicht mehr. Auch auf den Weiden steht das Gras so üppig wie selten. "Wir fahren gerade den zweiten Schnitt ein", sagt der Landwirt Peter Seidl, "so gute Erträge hatten wir schon lange nicht mehr.". Auch die Forstleute sind guter Dinge. "Egal ob Fichten, Tannen, Buchen oder Bergahorn, so prächtige und üppige Triebe wie in diesem Jahr habe ich selten gesehen", sagt Meinhard Süß von den Staatsforsten in Oberammergau. "Man meint, man ist in einem einzigen Treibhaus."

© SZ vom 10.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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