Tragödie in Himmelstadt:"Sie sehen sich im Himmel wieder"

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Entsetzen in Unterfranken: Steffen S. hat seine Familie ausgelöscht. Das Motiv ist bislang unklar. Der Geschäftsmann galt als Überflieger.

Olaf Przybilla

Am Tag danach liegen zwei Rosen und zwei Kerzen am Gittertor vor der Villa. Im Hof des Hauses in der unterfränkischen Gemeinde Himmelstadt sieht man ein kleines Fußballtor. Ein Nachbar erzählt, dort haben die beiden fünf und sieben Jahre alten Söhne von Steffen S. noch zu Beginn der Woche gespielt.

Familiendrama mit vier Toten in Himmelstadt: Eine Rose und zwei Kerzen liegen am Tag nach der Tag vor dem Gittertor der Villa. (Foto: dpa)

Als die beiden Kinder ein letztes Mal lebend gesehen worden sind, haben sie ebenfalls Fußball gespielt. Das war in einem kleinen Hotel in der Nähe der tschechischen Stadt Cheb. Die Kinder und ihr Vater waren dort die einzigen Gäste, sie durften auf dem Flur des Hotels mit einem Ball toben. Wenig später hat der Vater die beiden Kinder erschossen, und danach sich selbst.

Der Geschäftsmann Steffen S. hat die Villa im Gewerbegebiet von Himmelstadt vor zwei Jahren von einem Architekten gekauft. Makellos ist die Gegend nicht, einen Steinwurf vom Zaun entfernt rauschen die Züge nach Frankfurt vorbei. Aber genug Platz hat man in diesem Stück des Maintals, hinter dem Haus kommt nur noch ein Rapsfeld. Ein Jahr vor dem Hauskauf hat der Vertreter S. einem Businessmagazin anvertraut, wie er es geschafft habe, in seiner Branche zu den Großen zu gehören.

S. verkaufte "multifunktionale Raumreiniger", 50 Stück pro Monat. Wenn es stimmt, was S. dem Magazin erzählt hat, dann ist das sehr viel in seiner Branche. Jedenfalls genug, um als "Überfliegertyp" und als "Topverkäufer" in einem Fachmagazin porträtiert zu werden. Steffen S. wohnte damals noch mit seiner Frau und den beiden Söhnen in einem "von eigener Hand renovierten Haus mit integriertem Büro". Wenig später kauft er die Villa.

Auf die Tragödie von Himmelstadt sind die Ermittler aufmerksam geworden, als alle vier Familienmitglieder bereits tot waren. Einer befreundeten Familie aus Ostdeutschland hat Steffen S., 39, am frühen Dienstagmorgen eine SMS geschrieben. Er teilt ihnen mit, wo seine zehn Jahre jüngere Ehefrau Tina zu finden sei: im "blauen Haus" von Himmelstadt, und dort im Keller.

Er habe keinen Ausweg mehr gewusst, habe die Kinder nicht allein lassen können, diese sollten sich "im Himmel wiedersehen", schreibt er. Ein Sonderkommando der Polizei steht am Dienstag am Hotel bereit, vergeblich. Als die SMS am Morgen bei der befreundeten Familie ankommt, sind die Kinder und ihre Eltern bereits tot.

"Ausgelöscht" habe S. seine Familie, formuliert Würzburgs Polizeipräsidentin Liliane Matthes. In dem Haus in Himmelstadt hat S. seine Frau erschossen. Dann ist er zum Kindergarten gefahren, wo während der Schulferien auch der sieben Jahre alte Sohn betreut wird. Die Oma sei ins Krankenhaus gebracht worden, sagt er den Erzieherinnen, deswegen hole er nun seine Söhne ab.

Danach fährt er über die tschechische Grenze, in ein Haus, in dem sich sonst kein Gast aufhält. Der Inhaber sagt, S. habe keinen auffälligen Eindruck gemacht. Nur dass er gereizt gewirkt habe, sei ihm aufgefallen. Und dass der Geschäftsmann insgesamt einen "etwas schmutzigen Eindruck" auf ihn gemacht habe. Unbeschwert dagegen hätten die Söhne gewirkt. Als die Geiseln ihres Vaters haben sie sich offenbar nicht gefühlt.

Auch vor der Wohnung von Tina S. liegt eine Rose. Um zu dem Mehrfamilienhaus zu gelangen, muss man über den Main fahren, vorbei am Brückenhäuschen, mit dem sich der Ort einen Namen gemacht hat in der Republik. Auch jetzt im Frühling wirbt das Häuschen für das "Weihnachtspostamt" von Himmelstadt. Kurz darauf geht es sanft den Hang hinauf zu der kleinen Wohnung, in die Tina S. mit den Söhnen gezogen ist, als die Ehe nicht mehr funktionierte. Nur zum Arbeiten kam Tina S. noch in die Villa im Gewerbegebiet zurück. Sie war bei ihrem Mann angestellt, half mit beim Verkauf von Raumreinigern. In der Gemeinde erzählt man sich, sie habe demnächst kündigen wollen. Die Architekten-Villa von Himmelstadt hätte dann schon wieder den Besitzer wechseln sollen.

In dem Gebäude schräg gegenüber der Villa steht ein Mann im Lager zwischen Nudelpackungen und Kästen mit Sprudelwasser aus Italien. Das Geschäft beliefert Pizzerien in Unterfranken mit Ware. Manchmal kamen die Kinder von nebenan auf den Hof, um zwischen den Pellegrino-Kisten Fußball zu spielen. "Was soll man denn sagen?", seufzt der Mann. Dass es nicht gut stand um die Eheleute vom Nachbargrundstück, davon hat er nie etwas mitbekommen. "Sehr, sehr freundliche Leute waren das", sagt er.

Über das Motiv für die Tat könne man momentan nur spekulieren, sagt der Leitende Oberstaatsanwalt Dietrich Geuder über den Stand der Ermittlungen. Die Ehe galt als zerrüttet. Ob sich Steffen S. womöglich übernommen hatte mit dem Kauf der Villa, werde nun geprüft, sagt die Polizeipräsidentin. In den Stunden, nachdem Steffen S. seine SMS losgeschickt hatte, habe man sich darauf konzentrieren müssen, die Kinder zu retten.

Alles mache "einen freundlichen, unaufgeregten, integeren und gutbürgerlichen Eindruck", ist in der Story über den kometenhaften Aufstieg von S. zu lesen. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der in einer "heilen, kleinen Familienwelt" aufwuchs. Und der sich sein Geld in einem Sägewerk und als Dachdecker verdiente, ehe sich der große Erfolg als selbstständiger Vertreter einstellte.

© SZ vom 04.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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