Traditionsunternehmen:Puppen, die die Welt bedeuten

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Tri, tra, trullala... Die Puppen für das Kasperltheater werden bei Kersa wie eh und je per Hand gefertigt. (Foto: www.roggenthin.de)

Kasperl, Prinzessin, Krokodil: Seit fast 90 Jahren werden im Familienunternehmen Kersa in Mindelheim Puppen handgefertigt. Neue Figuren kommen laufend hinzu - doch erst, nachdem sie von strengen Testern für gut befunden wurden.

Von Anna Günther

Dutzende Köpfe liegen herum: Holzköpfe mit braunem Schnurrbart und Knubbelnase, Stoffköpfe mit blauen Augen und Schmunzelmund. In Kisten stapeln sich Teile der Prinzessin mit rosa Spitzenkleid, der kopflose Prinz ruht in den Schachteln daneben. Das Spielwaren-Atelier von Kersa in Mindelheim ist menschenleer. In der Dunkelheit könnte einen leichtes Gruseln befallen, doch die Sonne scheint herein und die körperlosen Gesichter blicken freundlich. Kinder sollen ja später mit ihnen spielen oder gar kuscheln und nicht von ihnen im Traum heimgesucht werden.

Hunderte Handpuppen wandern jedes Jahr aus dieser Halle in die Welt. Kersa ist nach eigenen Angaben deutschlandweit der einzige Produzent von Kasperlpuppen. Zwar stellt auch Käthe Kruse Handpuppen her, die in Donauwörth entworfen werden, doch nähen lässt das Unternehmen in Lettland. Bei Kersa entstehen die Spielfiguren seit fast 90 Jahren in Handarbeit, heute macht das Familienunternehmen einen Jahresumsatz im höheren sechsstelligen Bereich. Das Design ändert sich kaum und dies stellt Günter Schubert, Geschäftsführer und Urenkel der Firmengründerin Wilhelmine Walter, zuweilen vor große Herausforderungen: "Auch die Omas wollen die Puppen wiedererkennen, mit denen sie damals schon gespielt haben, aber die Stoffe sind kaum noch zu bekommen.

Alles Handarbeit

300 Hand- und Fingerpuppen mit Holz- oder Stoffköpfen hat Kersa im Sortiment, jedes Jahr kommen 20 neue dazu und verdrängen andere Modelle. Das Sortiment muss in Bewegung bleiben, findet Schubert. Nächstes Weihnachten könnte eine Zahnfee in den Läden stehen, falls die Figur sich wie erdacht umsetzen lässt. Und falls die schärfsten Kritiker zufrieden sind. Denn bevor eine Kersa-Handpuppe in Serie geht, muss sie zum Vierfach-Check: Die wichtigsten Tester der Zahnfee und anderer neuer Geschöpfe sind die örtlichen Kindergärten. Wenn die Kleinen samt Erzieherinnen die Puppen absegnen, kommt noch das Urteil von Müttern und Omas dazu.

Eine Prinzessin aus dem Morgenland im violetten Glitter-Kleid samt Schleier hat die Prüfung bestanden, sie steht im Showroom neben Sonne und Mond, einem geschnitzten König Ludwig und Sankt Nikolaus. Daneben allein zehn verschiedene Kasperle - mit geschnitztem oder gedrechseltem Holzkopf und das Original aus Stoff. Das Design dieser Klassiker wird nicht angerührt, die verkaufen sich am besten. "Kasperl, Seppl, Gretl, da kommen die Randfiguren gar nicht hin", sagt Schubert. Auf drei Puppen mit Zipfelmütze kommt eine andere Figur.

Kasperl bleibt die Lieblingsfigur

Dass seine Lieblingspuppe schon als Kind der Kasperl war, liegt nahe. "Das war immer so lustig, wie der Kasperl Worte verdrehte und das Krokodil hat für Action gesorgt", sagt Schubert. Auch seine Tochter Julia spielt mit Handpuppen. Natürlich. Sie sei sein Versuchsobjekt und bekomme die Neuheiten immer zuerst. Aber mehr als drei oder vier Puppen habe die Kleine nie daheim. Die Vierjährige ist wie viele kleine Mädchen ihres Alters derzeit pink-fixiert. Entsprechend spielt Julia meist mit der blond gelockten Prinzessin im roséfarbenen Spitzenkleidchen. Kasperltheater in fünfter Generation.

Schuberts Urgroßmutter Wilhelmine Walter bastelte 1925 im Sudetenland für ihre Kinder die ersten Puppen und Plüschtiere aus Stoff. Bald fragten Fachhändler an, das Sortiment wuchs. 1947 wurde die Familie vertrieben, kam nach Mindelheim und blieb. Die Stadt wird heute auch "Heimat des Kasperls" genannt, zur Faschingszeit zieren der Dura-Hansl und die Amme turmhoch die Mindelheimer Stadttore.

Eine Anfrage aus Amerika brachte die Firmengründerin in den Fünfzigerjahren auf die Idee, Handspielpuppen zu fertigen. Der Grundstein für Kersa war gelegt. Das Wissen seiner Urgroßmutter aus der Puppenmacherei seien noch heute unentbehrlich, sagt Schubert. Nach dem Tod von Wilhelmine Walter übernahm ihre Tochter Helma Unglert die Firma und weitete das Sortiment aus Stoff und Plüsch aus. Erst 1987 kamen Handpuppen mit Holzköpfen dazu. Heute leitet Günter Schubert die Firma mit seinem Vater Walter, 71, der sich um die Buchhaltung kümmert.

Doch wer bemalt die Holzköpfe, näht die Kleidchen, bestickt die Gesichter der Stoffpuppen? Das Atelier ist menschenleer, bis auf eine Dame mit dröhnendem Staubsauger. "Es ist ja auch Freitag", sagt Kersa-Geschäftsführer Günter Schubert. Die Angestellten haben frei. Die Arbeitsbedingungen im Spielwaren-Atelier erinnern an eine lang vergessene Welt. Wer zehn Jahre für Kersa arbeitet, gilt als Neuling, die Damen - 99 Prozent der 80 Mitarbeiter sind Frauen - arbeiten meist zu Hause.

Das habe sich in vielen Jahrzehnten so bewährt, sagt Schubert. "Die Frauen holen sich auf dem Weg zum Supermarkt in Mindelheim ihre Kisten ab und bringen die Puppen beim nächsten Mal wieder mit." Jede entscheidet, wie viel sie produzieren möchte, die zwölf Arbeitsschritte sind mehrfach besetzt. Wenn eine Dame ausfällt, gerät die Produktion nicht ins Stocken. Personalwechsel kennt Schubert kaum, oft malen oder nähen mehrere Generationen einer Familie für das Unternehmen. "Wenn die Oma schon zuverlässig war, gilt das meist auch für die Enkelin."

Heimarbeit wie eh und je

2,5 Millionen Stoffteile verarbeiten die Kersa-Mitarbeiter im Jahr. Mit eigens geschmiedeten Formen aus Eisen stanzen Hydraulikpressen den weichen Stoff, aus dem die Näherinnen Gesichter, Kleidchen und Hände fertigen. Nur wenige Arbeiten werden ausschließlich im Atelier durchgeführt, das Stopfen der Puppenköpfe zum Beispiel. "Das können nur zwei Damen", sagt Schubert - eine diffizile Angelegenheit: "Ist der Kopf zu prall, platzt er beim besticken. Ist zu wenig Wolle drin, hängt die Nase."

Die Malerinnen zeichnen Gesichter und hauchen den Puppen Leben ein, im Airbrush-Raum bekommen sie Apfelbäckchen. Die Herren dunkler als die Frauen, König Ludwig ist blasser als der Gendarm - eine Wissenschaft für sich. Vier Wochen dauert es, bis eine Handpuppe fertig ist.

Die Holzarbeit übernehmen bei Kersa die Männer. Der Holzbildhauer Sano Geatano etwa gibt den vorgefrästen Puppenköpfen aus Weißbuche Gesichtszüge, schnitzt kunstvoll Hexennasen und tiefe Runzeln, Apfelbäckchen und freche Lachfalten. Die Figuren der Micha-Reihe sind das Premiumprodukt, etwa 50 Euro kostet eine Handpuppe mit geschnitztem Holzkopf - die Stoffklassiker etwa die Hälfte. Für Holzliebhaber mit kleinen Rabauken gibt es unempfindliche, Puppen mit gedrechseltem Kugelkopf.

Um die kümmert sich Ernst Zoller. "Ein begnadeter Nasenbohrer und er wird auch noch dafür bezahlt", sagt Günter Schubert und lacht. Zollers Job klingt lustig, ist für die Firma aber immens wichtig: Wo er die Löcher für 16 verschiedene Nasenformen bohrt, ist entscheidend. Jede Holzkugel ist anders, wenn die Nase nicht in der Mitte der Maserung eingepasst wird, scheint die Puppe zu schielen. "Die Augen können perfekt sitzen, das kriegen Sie nicht mehr weg", sagt Schubert.

© SZ vom 15.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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