SZ-Serie: Familientreffen, Folge 3:Familie in Betrieb

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Die Kilgers führen eine Gerberei in fünfter und sechster Generation - und stecken mitten im schwierigen Prozess, einen Betrieb so zu übergeben, dass aus Familientradition kein Familienstreit wird

Von Maximilian Gerl, Viechtach

Die Familie überlegt, was sein wird. Bisher hat Anton Kilger die Dinge gemacht, wie er sie für richtig hielt, bald soll der Sohn die Dinge machen, wie er selbst sie für richtig hält. Kilger muss dann losgelassen haben von der Firma, die er 40 Jahre lang lenkte; die Firma, die seine Familie prägte und umgekehrt. Ein schweres Thema. "Das Loslassen habe ich noch vor mir", sagt er. "Aber ich setze mich damit auseinander." Seine Frau Veronica Malmros-Kilger klingt fast tröstend. Aufhören von heut auf morgen, sagt sie, "das wird es ja nicht geben". Sohn Michael Kilger scherzt: "Ich glaube, das Loslassen ist für die Mama schwieriger als für den Papa."

Die Kilgers führen in Viechtach (Landkreis Regen) eine Gerberei, ein Familienunternehmen, wie es so viele in Bayern gibt. Gerade stecken sie in der Betriebsübergabe. Loslassen und weitermachen, ein schwieriger Prozess. Eigentlich soll eine Generation auf der anderen aufbauen. Doch wo Familie und Firma eins sind, wird das Berufliche schnell persönlich. Gerade wenn die Generationen wechseln, drohen alte Konflikte aufzubrechen. Die einen wollen endlich alles anders machen, die anderen fürchten um ihr Lebenswerk. Aus Familientradition wird dann Familienstreit.

Familienunternehmer in fünfter und sechster Generation: Seniorchef Anton und Juniorchef Michael Kilger mit Frau und Mutter Veronica Malmros-Kilger. (Foto: Maximilian Gerl)

Seit 160 Jahren gerben die Kilgers in Viechtach. Dass die Jungen das Werk der Alten fortführen, gehört dazu und ist doch für alle Beteiligten neu. Also haben sie einen Berater engagiert, um den Austausch der Generationen zu moderieren. Vor allem aber wollen sie sich Zeit für die Übergabe lassen, fünf Jahre, in etwa. Juniorchef Michael Kilger ist 29 Jahre alt und die sechste Generation im Familienunternehmen. Seniorchef Anton Kilger ist mit 61 Jahren in einem Alter, in dem viele Unternehmer noch nicht an die Rente denken, aber die Familie scheint erstens weiter harmonisch zusammenleben und zweitens nichts übers Knie brechen zu wollen. Man müsse in eine Firma reinwachsen, sagt Veronica Malmros-Kilger, "mit Druck funktioniert Nachfolge nicht". Anton Kilger sagt: "Der Druck kommt natürlich leicht, wenn du die sechste Generation bist." Michael Kilger sagt: "Ich musste mich nie beweisen." Sein Bruder ging nach München und gründete ein Start-up. Er blieb in Viechtach und trug Gründergeist in die Gerberei. Die Eltern ließen ihn.

Viele Gerbereien gibt es nicht mehr in Deutschland, mit den Produktionskosten in Fernost lässt sich schwer konkurrieren. Die Lederfabrik Kilger setzt darum auf Qualität und eine Nische: die vegetabile Gerbung. Das Verfahren nutzt Rindenextrakte statt Chlor. Bis zu acht Wochen verbringen die Rinderhäute an Rahmen aufgehängt im Wasserbecken. Nach dem Trocknen sind sie zunächst hart wie Holz. Darum werden sie anschließend gefettet, in großen Trommeln geschleudert, gewalzt. Im Lager wartet das fertige Leder auf die Auslieferung. Andere Firmen machen Schuhsohlen daraus oder Pferdesättel. Erst vor ein paar Jahren fingen die Kilgers an, das Leder selbst zu Endprodukten zu verarbeiten; es war Michaels Idee. In einer Manufaktur nähen er und Mitarbeiter Ledergürtel, Anhänger und Geldbeutel. Der Vertrieb läuft über einen eigenen Onlineshop.

Sippen, Sitten, Soziotope - wie Familien heute leben, SZ-Serie. (Foto: Mainka)

Anton Kilgers Vater starb, da war er 15 Jahre alt. Damals habe sich nicht die Fragegestellt, ob er den Betrieb übernehmen wolle, sagt er heute: Er machte es halt. "Ich bereue es absolut nicht." Er lernte erst Industriekaufmann, später Gerber. Sohn Michael Kilger studierte Kommunikation, Marketing und Betriebswirtschaftslehre. Als 16-Jähriger hatte er keinen passenden Gürtel gefunden, also entwarf er eigene. Er begann mit Leder zu experimentieren, machte immer mehr Gürtel, bis aus dem Klein- ein richtiges Gewerbe wurde. Daher besteht die Gerberei bis heute aus zwei Gesellschaften. Die Manufaktur gehört dem Sohn allein, die Lederfabrik führt er mit dem Vater, die Mutter organisiert das Büro. Entsprechend fließend gehen die Räume ineinander über. Vom Lederlager und den Walzmaschinen sind es nur wenige Schritte zu den Werktischen.

Familien- und Firmenleben eint: Wer miteinander spricht, kann manchem Missverständnis vorbeugen. Trotzdem bleiben genug andere Hürden bei einer Übergabe. Mal ist der Maschinenpark veraltet, mal klaffen die Vorstellungen über die Zukunft zu weit auseinander, mal will der Patriarch nicht loslassen. Schon manche Übergabe mündete darin, dass Tochter, Sohn, Enkel entnervt hinwarfen. In den besten dieser schlechten Fälle reden die Beteiligten trotzdem weiter miteinander. In den schlechtesten brechen sie den Kontakt ab.

Es dauert, bis Leder daraus wird: Mehrere Wochen werden die Tierhäute mit Wasser behandelt, das mit Rindenextrakt versetzt ist. (Foto: Gebrüder Kilger Lederfabrik/oh)

In Viechtach scheint diese Gefahr nicht zu drohen. Alle reden mit, aber jeder hat auch seins. Veronica Malmros-Kilger bescheinigt ihrem Mann, dem Sohn Freiraum zu lassen; und Junior- und Seniorchef bescheinigen sich gegenseitig, ähnlich und doch anders zu ticken. Der Vater fühlt sich dem Kaufmännischen, der Sohn der Produktion näher. Dem Vater gefällt, dass der Sohn einen neuen Geschäftszweig aufgebaut hat, dass er eine andere Sicht mitbringt und Gespür für gute Produkte. Der Sohn lobt den Mut des Vater, 2002 eine neue Gerberei gebaut zu haben. Viele hätten ihn damals für verrückt erklärt, das lohne sich doch nicht mehr. Doch Anton Kilger wollte die Firma gut dastehen sehen, sollte er mal aufhören.

Inzwischen hat die Lederfabrik expandiert. Mit zwei anderen Unternehmen aus der Lederbranche übernahmen die Kilgers einen Betrieb in England. Es war die erste große Entscheidung, die Junior- und Seniorchef zusammen treffen mussten. Diskussionsbedarf verspürten offenbar beide nicht: An einem Freitag trafen sie sich mit den Kollegen, am Montag drauf gaben sie ihr Angebot ab, so erzählen sie es. "Wir haben beide die Möglichkeiten höher eingeschätzt als die Risiken", sagt Anton Kilger. Tradition sei auch immer Ansporn, sich weiterzuentwickeln. Wo das fehle, werde Tradition zur Belastung.

Irgendwann wird der Tag kommen, an dem nur noch Michael Kilger Chef ist. Anton Kilger weiß noch nicht, welche Rolle ihm dann bleibt in dem Unternehmen, das früher seins war; ob ihm überhaupt eine Rolle bleibt. "Natürlich kann es sein, dass der Michi sagt: Geh zum Golfen und halt still", sagt er. Der Sohn kann sich das eher nicht vorstellen: "Ein Familienunternehmen ist mehr als ein Job", da könne man nicht einfach kündigen. Er erzählt von einem Bauunternehmen aus der Gegend. Der Senior habe von heute auf morgen aufgehört und sich komplett aus dem Betrieb zurückgezogen. Bis die Sehnsucht doch zu groß wurde. Anton Kilger grinst. "Jetzt", sagt er, "fährt der dort den Bagger."

© SZ vom 09.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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