Stimmkreis München-Land Nord:"Alter Adler" mit Spannkraft

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Der 69-jährige Peter Paul Gantzer (SPD) strebt abermals ins Maximilianeum. Der Notar sieht sich als Anwalt der Bürger.

Michael Morosow

Wer schön sein will, muss leiden. So humpelt Peter Paul Gantzer für die Pressefotografen einige Meter, ehe er neben dem Spitzenkandidaten der Bayern-SPD, Franz Maget, strahlend lächelnd auf das Blitzlicht der Kameras wartet. Die Krücke hat er zuvor an die Wand der Hachinga Halle gelehnt, als sei diese ein verräterisches Signum der Gebrechlichkeit.

Oberst der Reserve für die SPD: Peter Paul Gantzer. (Foto: Foto: Ulla Baumgart)

Eitel ist er schon, der 69-Jährige. Dabei könnte er die Krücke triumphierend in die Höhe reißen als Zeichen seiner Vitalität. Es ist gerade einmal sechs Wochen her, da ist er in New Orleans mitten auf einem Zebrastreifen von einem Auto angefahren worden. Diagnose: Außen-, Innen- und Kreuzband gerissen, Schienbeinkopf gebrochen, Fraktur am unteren Oberschenkelkopf. Und jetzt bereits wieder mittendrin im Wahlkampf, voller Elan und Ehrgeiz. Das soll ihm erst einmal einer nachmachen.

Kräftiges Zugpferd

Sein Alter hat im Vorfeld der Landtagswahl am 28. September schon öfter eine Rolle gespielt. Weil er nicht Platz machen wollte für junge Nachrücker wie Marcel Schaller oder Ingrid Lenz-Aktas, sondern abermals ins Parlament strebt, wurde er von einigen Kritikern mit seinem Parteifreund und Ex-Bundesinnenminister Otto Schily, 76, der sein Bundestagsmandat nicht abgeben wollte, in einen Topf geworfen.

Eigentlich würde dem Oberst der Reserve zu seiner Verteidigung der Hinweis auf die Tatsache genügen, dass er sich nicht selbst auf den Kandidatenthron gesetzt hat. Bei der Aufstellungskonferenz der Kreis-SPD hatte er sich bereits im ersten Wahlgang gegen die beiden jungen Mitbewerber behauptet. Die Mehrheit setzte also auf das alte Zugpferd, weil es noch kräftig ziehen kann. "Glauben sie mir, ich war froh, dass die beiden gegen mich kandidiert haben", sagt der Sieger.

Doch Peter Paul Gantzer hat offenbar Gefallen daran gefunden, mit seinem Alter zu kokettieren. Er dreht den biologischen Nachteil geschickt in einen Vorteil um, so als wendete er ein altes Fünfmarkstück, so dass nicht mehr die Zahl, sondern der Adler erhaben ist.

"Alte Adler fliegen auch", sagt Gantzer und spielt damit auf ein weiteres Zeugnis seiner Spannkraft an. Nach seiner Ausbildung zum Fallschirmjäger der Bundeswehr ließ ihn das waghalsige Abenteuer nicht mehr los.

Bis heute ist er 4046 Mal aus den Wolken gefallen, hat dabei so manche Erfolge gelandet, wie einen Weltrekord im Formationsspringen. Vor drei Jahren in Haßfurt stürzte er aus acht Metern ungebremst zu Boden, es stand Spitz auf Kopf mit ihm, es bestand die Gefahr einer Querschnittslähmung. Gantzer rappelte sich wieder auf.

Im Vorjahr hat er ein Buch geschrieben. "Alt ist was? - eine Verteidigung des Alters" " lautet der Titel. Die Quintessenz des Ratgebers: Ernährung, Bewegung, geistige Beweglichkeit und Sexualität - wenn man auf diesen vier Beinen steht, muss man keine Angst haben vor dem Alter. Dass die Abendzeitung daraufhin titelte: "Sex-Tipps aus dem Landtag", steckte Gantzer weg.

Jünger als McCain

Mit seinem Buch erreichte er in jedem Fall eine Bevölkerungsschicht, auf die er am 28. September setzt. Das Alter ist nicht von ungefähr eines seiner Wahlkampfthemen, das er mal ernst, mal heiter behandelt. "Ich bin 69 Jahre alt, also elf Jahre jünger als der Papst und zwei Jahre jünger als der amerikanische Präsidentschaftskandidat McCain", schreibt er in einem Wahl-Flyer über sich selbst.

Eine Bronze von Paul Wunderlich, einen Minotaurus darstellend, steht mitten in seinem Büro im Bayerischen Landtag. Auf dem Fenstersims eine Medaille aus Washington, daneben ein Bär aus Moskau. Im Regal ein Grundbuch aus Madrid aus dem Jahr 1722.

Peter Paul Gantzer ist seit 2003 stellvertretender Landtagspräsident, hat von Alois Glückalle europäischen Angelegenheiten übertragen bekommen. "74 Regionen, 210 Millionen Menschen, das ist schon interessant", lässt Gantzer den Besucher wissen.Aber auch zeitaufwendig, weshalb er vor drei Jahren sein Notariat aufgab.

Im Landtagsamt, aber auch im Landtag ist Peter Paul Gantzer offenbar gut gelitten, auch von seiner politischen Konkurrenz. "Der ist zwar von einer anderen Farb', aber sonst a netter Mensch", sagte CSU-Chef Erwin Huber am Keferloher Montag im Bierzelt über den Sozialdemokraten. Auf den Feldern, die der Ehrenkommissar der Bayerischen Polizei im Landtag beackert, zieht normalerweise die CSU ihre Furchen: Innere Sicherheit, Polizei, Verfassungsschutz, Verteidigung.

"Im Gegensatz zur CSU bin ich allerdings nicht der Meinung, dass die Gesetze verschärft werden müssen, sondern die Arbeitsbedingungen für die Polizei verbessert und deren Personalprobleme gelöst werden müssen", erklärt Gantzer, der nach eigenen Worten bereits 300 der 420 Polizeidienststellen besucht hat.

In Europa auf Reisen, in Bayern zuhause, im Landkreis München präsent, so lässt sich der Aktionsradius des umtriebigen Politikers beschreiben. Das stete Wechseln von der europäischen Bühne auf die kommunale und umgekehrt findet er "unheimlich spannend".

"Wenn ich wo hinkomme, ist meistens der Peter schon da", lobt Landrätin Johanna Rumschöttel den Fleiß ihres Parteifreundes. Und Gantzer ist wirklich überall, im Forschungsreaktor Garching mit Umweltminister Gabriel ebenso wie beim Seniorenfrühstück in Oberschleißheim oder beim Verbandstag der bayerischen Bienenzüchter in Ottobrunn.

Und sehr oft hält er Vorträge über Patienten-, Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht. Basislager für Gantzer ist dabei sein Bürgerbüro, mit dem er inzwischen von seinem Notariat in einen Nebenraum seines Abgeordnetenbüros im Maximilianeum umgezogen ist. "Ärger mit Ämtern? - Gantzer hilft weiter!" lautet seit 1. Mai 1978 sein Slogan. Gantzer sieht sich als Bürgeranwalt und ist nach seiner Rechnung bereits 20000 Hilfesuchenden beigestanden.

Er habe sehr viele Fälle auf den Tisch bekommen, in denen Bürger im Landratsamt ungerecht behandelt worden seien, berichtet Gantzer, der sich nie scheute, die Fälle als Beweis sozialer Kälte des früheren Landrats Heiner Janik (CSU) und seiner Sozialsachbearbeiter öffentlich zu machen. Nicht nur in Wahlkampfzeiten. Er gehe davon aus, dass während der Ägide der neuen Landrätin Johanna Rumschöttel (SPD) deutlich weniger Beschwerden bei ihm auf dem Tisch landen werden.

Schwäche des Konkurrenten

Dass er den Platzhirschen der CSU im Landkreis-Norden diesmal das Direktmandat abnehmen kann, hält Gantzer für nicht unwahrscheinlich. 2003 hatte er es auf 16540, Ernst Weidenbusch auf 34504 Erststimmen gebracht. "Es müssten also 9000 Wähler zu meinen Gunsten kippen", rechnet Gantzer vor.

Diesmal sieht der Jurist seine Stärke vor allem in der Schwäche seines Konkurrenten. "Weidenbusch hat sich zuletzt einiges geleistet, das war die Härte, diesmal muss er Angst haben", glaubt der SPD-Mann. Der CSU-Kreisvorsitzende Ernst Weidenbusch habe sich mit Frauenfeindlichkeit und Altersdiskriminierung disqualifiziert, noch dazu im eigenen Lager.

So habe Weidenbusch bewirkt, dass kein Parteimitglied über 60 Jahren auf der Kreistagsliste kandidiert. Außerdem habe er versucht, wenn auch vergeblich, die bereits nominierte Kerstin Schreyer-Stäblein wieder zurückzupfeifen, um Georg Fahrenschon das Direktmandat zu sichern.

Als Peter Paul Gantzer am Dienstag beim Wahlkampfauftritt von Franz Maget für eine kurze Rede das Podium in der Hachinga Halle ansteuert, vertraut er lieber doch seiner Krücke. Er verspüre eine starke Strömung zugunsten der SPD, "Bayern ist reif für ein Ende der absoluten Mehrheit der CSU", sagt er.

Und schließlich kokettiert er wieder mit seinem Alter. Die Aussage des Wahlplakats, auf dem er und die junge Süd-Kandidatin Natascha Kohnen abgebildet ist, sei: "Ich will in den Landtag, aber nicht ohne meine Tochter". Der Gag kommt gut an. Dann geht Gantzer zu seinem Tisch zurück, und man muss genau hinschauen, um zu sehen, dass er ein wenig humpelt.

© SZ vom 19.09.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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