Sprachforschung:Das "Äh" als Genialitätsbeweis

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Als "Ähdmund Stoiber" wurde er verspottet. Doch schottische Sprachwissenschaftler haben herausgefunden, dass Versprecher die Aufmerksamkeit der Zuhörer erhöhen. Demnach besäße Stoiber die Sprachkompetenz-Kompetenz.

"Ich habe auch, äh, deutlich gemacht, dass äh, äh, auch äh, oder mit äh, einem..." Und so weiter. Edmund Stoibers Rhetorik mutet zuweilen etwas eigenwillig an, manchmal gar ein wenig unbeholfen.

"Ich habe auch, äh, deutlich gemacht, dass äh, ... ": Edmund Stoibers Versprecher sind legendär - sind sie gar genial? (Foto: Foto:)

Doch dieser Sichtweise liegt ein Missverständnis zugrunde, das es zu klären gilt, bevor der CSU-Politiker am Samstag als bayerischer Ministerpräsident abtritt: "Stoiber weiß immer, wovon er redet", sagt Kabarettist Wolfgang Krebs, der den Landesvater bislang wöchentlich in der BR-Fernsehsendung "Quer" parodiert. Der Wortfluss des Ministerpräsidenten gerate nur deshalb ins Stocken, weil er so schnell denke, dass ihm seine Gedanken beim Sprechen davoneilten.

Das "Äh" als Beleg für Stoibers Genialität - darauf deuten auch mehrere Studien hin: Versprecher seien "das Salz in der Suppe des Sprachflusses", heißt es in der Oktober-Ausgabe des Magazins Bild der Wissenschaft. So habe etwa der Psycholinguistiker Martin Corley von der schottischen University of Edinburgh bewiesen, dass sich Zuhörer besser an Worte erinnern könnten, die auf ein "Äh" folgten.

Einheit von Form und Inhalt

Stoiber war das offenbar schon vor Jahren klar. Er verinnerlichte diese Erkenntnis, erhob sie zur Methode, verfeinerte und erweiterte sie. Den Transrapid machte er so mit einer einzigen Rede über Jahre zu einem Top-Thema in den Medien und auf den Kabarettbühnen.

Doch für Stoiber ist Sprache nie bloßes Mittel zum Zweck. "Die wahre Form ist zugleich Inhalt" - der CSU-Politiker hat sich jenen Satz aus Ludwig Reiners' Buch über die Stilkunst zu Herzen genommen.

Regelmäßig zelebriert er die Schönheit der Sprache - mit Sätzen wie dem Folgenden: "Dann hätte man für Deutschland eine Regelung, hätte keine regellose Regelung, und die Länder, die, die das nicht regeln wollen, die haben, haben dann eine Bundesregelung, und die Länder, die das regeln wollen, können dann das für sich regeln."

Föderalismus ist verwirrend, Satzkonstruktion und Wortwahl Stoibers sind es hier nicht minder. Form und Inhalt sind bei ihm identisch, sie verschmelzen - Stilkunst in Vollendung. So kommt es, dass Stoiber auch von seinen schärfsten Kritikern in Wahrheit verehrt wird.

Vom Dadaismus zum Gagaismus

Hans Well von der Musikkabarettgruppe Biermösl Blosn etwa bekannte vor Kurzem, dass er den scheidenden Ministerpräsidenten für "einen der genialsten Humoristen, einen begnadeten Meister der surrealen Semantik, einen abgedrehten Neo-Dadaisten" halte. Stoiber habe den Dadaismus in unnachahmlicher Weise über den Äh-Äh-ismus zum Gagaismus weiterentwickelt.

Nun tritt der Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende ab. Doch das bedeutet nicht, dass er dem Kabarett gänzlich verloren ginge. Es ist ja nicht so, dass er fortan nur noch Blumen in seinem Wolfratshausener Garten "hinrichten" würde. Er hat schon einen neuen Job: Die EU-Bürokratie in Brüssel soll er zurechtstutzen.

Doppelgänger Krebs freut sich - für Stoiber und für sich selbst: "Mir eröffnet sein neues Amt ungeahnte Möglichkeiten. Ich kann künftig auf europäischer Ebene arbeiten, mit Auftritten in Rom, in London, in Athen oder sonstwo."

Und nicht nur sein Double - das gesamte politische Kabarett könnte mit Stoiber in völlig neue Dimensionen vordringen. "Hat Europa von sich aus schon die Kompetenz-Kompetenz?", lautet eine der Fragen, die den bayerischen Ministerpräsidenten stets umtrieben und ihn auch in der Unterhaltungsbranche populär machten.

Nun soll Stoiber also die Kompetenz bekommen, die Kompetenzen Brüsseler Beamter neu zu ordnen - die Kompetenzen jener also, deren Kompetenz er in Frage stellt.

Stoiber traut sich demnach gewissermaßen die Kompetenz-Kompetenz-Kompetenz zu.

(ddp/Philipp Grüll)

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