SPD in Bayern:Stimmenkönig von Nürnberg

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Arif Tasdelen war in Nürnberg-Nord erfolgreicher als einst Renate Schmidt. (Foto: dpa)

Dass ein Kandidat mit türkischen Wurzeln inzwischen Stimmen zieht, auch in Bayern, sei ein Zeichen: Der Sozialdemokrat Arif Tasdelen vertritt die Stadt Nürnberg künftig als Abgeordneter im Landtag. Er hat es vom Migrantenkind aus Anatolien ins Maximilianeum geschafft.

Von Olaf Przybilla

Nürnberg war für Arif Tasdelen lange ein Sehnsuchtsort. Etwas, wovon er viel gehört hatte, das aber kaum erreichbar zu sein schien. Wobei sich seine Vorstellungen nicht so sehr auf die Stadt an sich richteten. Eher auf den Tiergarten in Nürnberg, auf jenen Ort also, zu dem die Klassenkameraden oft zum gemeinsamen Schulausflug chauffiert wurden.

Acht Mark kostete so ein Ausflug, für seine Eltern war das nicht bezahlbar. Tasdelen ist mit neun Jahren aus Anatolien nach Bayreuth gekommen, von da aus sind es keine 80 Kilometer nach Nürnberg. Die Geschichte erzählt Tasdelen jetzt gern, vor allem jungen Migranten. Und fügt hinzu, dass er die Stadt Nürnberg, den früheren Sehnsuchtsort also, demnächst als Abgeordneter im Landtag vertritt. Als erster Parlamentarier in Bayern mit türkischen Wurzeln.

Die Geschichte vom Zuzug der Tasdelens nach Bayern ist keine heitere. Halil Tasdelen, der Bruder von Arif, lebt in Bayreuth, ist dort SPD-Stadtrat und erzählt, wie sie als Kinder oft nächtelang geweint haben. Der Vater war von einem Dorf an der syrischen Grenze zum Geldverdienen nach Deutschland aufgebrochen: für einen Monat, so war die Sprachregelung. Er blieb ein Jahr, dann noch eines, und irgendwann zeichnete sich ab, dass er wohl gar nicht mehr zurückkommen würde.

Also zogen die Tasdelens nach Bayreuth, allerdings nicht alle sieben Kinder. Der älteste Bruder von Halil und Arif mussten bei Verwandten in Anatolien bleiben. Für den so genannten Familiennachzug war der damals 16-Jährige schon zu alt. "Die Ausländerbehörde in Bayreuth hat da keine Ausnahme gemacht, so menschlich ging es zu im wunderschönen Freistaat Bayern", sagt Halil Tasdelen bitter. Von dem Geld, das der Vater verdiente, überwies er viel nach Anatolien. Für Schulausflüge in Bayern blieb deshalb wenig übrig.

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Natürlich sind es genau diese Geschichten, die jetzt viele von Arif Tasdelen, dem gewählten Landtagsabgeordneten, hören wollen. Der aber ist spürbar zurückhaltender als sein Bruder. Im Grunde, sagt der 39-Jährige, habe er inzwischen eine ganz andere Geschichte, die er den Leuten gerne erzählen würde: Die eines Kandidaten, der von seiner Partei, der SPD, von Listenplatz zwölf aus ins Rennen geschickt wurde. Von einem Platz also, den man beim Kreuzchenmachen nur findet, wenn man ihn bewusst sucht. Und der dann auf den fünften Platz vorgewählt worden ist. Und jetzt also Abgeordneter wird.

"Wissen Sie", sagt Arif Tasdelen, "ich habe zuletzt viel gehört von Quoten-Türke und solchen Sachen." Meistens sei das womöglich gar nicht böse gemeint gewesen. Aber es habe offenbar heißen sollen, dass eine Partei wie die SPD auch mal einen Kandidaten mit Migrationshintergrund ins Rennen schicken muss, schon der politischen Korrektheit wegen. "Am Ende hat kein SPD-Kandidat in Nürnberg besser abgeschnitten als ich", sagt Tasedelen. Er holte in seinem Stimmkreis Nürnberg-Nord sogar mehr Stimmen als Renate Schmidt zu ihrer Zeit.

Dass ein Kandidat mit türkischen Wurzeln inzwischen Stimmen ziehen kann, auch in Bayern, "das ist für mich das eigentliche Zeichen an die Parteien", sagt der bisherige Zollbeamte Tasdelen. Wobei man das schon hätte ahnen können: Denn dem SPD-Kandidaten hatten Nürnberger Wähler in den letzten sechs Monate kaum entgehen können. Manchmal schien es so, als habe Tasdelen ziemlich viele Zwillingsbrüder im Einsatz, so präsent war er dort auf der Straße.

Halil Tasdelen, sein Bruder aus Bayreuth, lacht. Natürlich sei der Triumph des Bruders "ein historisches Ereignis, zumindest für diesen Freistaat". Aber dass Arif in den Landtag einziehen würde, daran habe er nie gezweifelt, auch nicht nach der Zuteilung vom Listenplatz zwölf. "Tasdelen heißt Steinbohrer", sagt er, "und das passt zu uns: Wir wissen, wie man was reißt, wir sind Kämpfer." Halil Tasdelen wollte ebenfalls für den Landtag kandidieren, war aber parteiintern am Bayreuther SPD-Landtagsabgeordneten Christoph Rabenstein gescheitert.

Er habe das akzeptiert: "Ich hätte aber bei der Landtagswahl mehr Stimmen gezogen", ist sich Halil Tasdelen sicher, er sei da ganz unbescheiden. Sein ein Jahr jüngerer Bruder soll nun integrationspolitischer Sprecher der SPD im Landtag werden. Das hätte sich Halil Tasdelen auch zugetraut

© SZ vom 30.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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