Ski-WM in Garmisch:Das Rennen nach dem Rennen

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Nach dem Rennen geht abends der Wettkampf weiter: Die Sieger eilen durch die VIP-Zelte, die Fans müssen draußen bleiben.

Philipp Crone

Karl Schranz will jetzt keine Autogramme geben. Er braucht schließlich beide Hände, um von sich zu erzählen. Der 72-jährige ehemalige Skifahrer aus Österreich gestikuliert in eine Fernsehkamera. Schranz spricht über sein neues Buch, über seine vielen Erfolge und seine Niederlagen. Die liegen zwar schon mehr als 30 Jahre zurück, aber noch immer ist Schranz ein gefragter Mann. Der Untertitel seines Buches lautet: "Vom Sportidol zum Netzwerker". Und darum geht es auch bei der WM, abseits der Piste: Wie bleibt ein Skifahrer im Gespräch? Wie nutzt er seinen Erfolg? Klar ist, wo er den Erfolg nutzen muss: im VIP-Village der Partner und Sponsoren, einem ganz und gar künstlichen Ort, der nur zwei Wochen lang existiert, und an dem ganz eigene Gesetze gelten.

Nach dem Super-G trinken Bronzemedaillengewinnerin Maria Riesch und ihr Lebensgefährte und Marcus Höfl im Haus des Deutschen Skiverbandes Sekt. (Foto: dapd)

Zum einen konkurrieren die einzelnen Pavillons rund um den Kurpark im Ortszentrum um den inoffiziellen Titel des angesagtesten Ortes, an dem man gewesen sein muss, um am nächsten Tag allen davon erzählen zu können. Österreich lädt ins ÖSV-Haus, Deutschland hat eine geräumige Hütte aufgebaut, Audi eine kleine Stadt mit Häusern und Wegen, Tirol lädt in ein weißes Zelt namens "Tirol Berg", in dem Schranz gerade steht, und Italien lädt in ein Chalet. Geladen sind Geschäftspartner und Kunden. Zum Renommee trägt bei, wo am längsten gefeiert wird oder wo sich ein Tagessieger wie Christof Innerhofer als erstes zeigt. Bis Mittwoch lag der Tirol Berg in der Wertung vorne, knapp vor dem ÖSV-Haus. Bei Sonnenuntergang beginnt das gesellschaftliche Schaulaufen.

Während draußen die Skifans Bier aus Plastikbechern kaufen und frierend auf die Siegerehrung der Männer warten, erzählt Karl Schranz vor 200 ausgewählten Gästen aus der Tourismusbranche im warmen, tennisplatzgroßen Zelt über seine aberkannte Goldmedaille von 1968 in Grenoble. Hier sitzt man auf weißen, fellgepolsterten Sitzen und löffelt die "Cremesuppe vom Schwarzbrot mit Trüffelschwein", hier schwenken die Menschen an der Bar ihren Léoville Barton von 2003. Schranz berichtet auf der Bühne von seiner Freundschaft zu Wladimir Putin, die Gäste an den langen Holztafeln berichten ihren Gegenübern von ihren Berufen, man tauscht und sammelt eifrig Visitenkarten.

Im DSV-Treff, 40 Meter Luftlinie entfernt, spielt eine Zweimannband, und der Mann am Mikro sagt: "Wir haben übrigens eine neue Mitarbeiterin für den Winter-Streudienst - Barbra Streisand." Es lacht niemand, ist auch kaum jemand da. Anders ist das in der Journalistenlounge von Audi. Da stoßen die Reporter auf den Feierabend an, während draußen gemeine Fans an die Scheiben der Ausstellungswagen klopfen. Ein Fotograf von der österreichischen Kronenzeitung ist sich sicher, wo der Silbermedaillengewinner nach der Medaillenzeremonie sein wird: "Hannes Reichelt wird erst zum ÖSV kommen."

Stimmt nicht, er ist erst im Tirol Berg, vielleicht auch, weil der am nächsten liegt, auf jeden Fall baut das weiße Zelt die VIP-Führung aus. Reichelt erklärt den Gästen, die gerade bei der Hauptspeise sind, dass er im Ziel vor Erschöpfung die Zahlen auf der Anzeigetafel erst nicht lesen konnte. Drei Minuten später verschwindet er durch die Küche - der kürzeste Weg zum ÖSV, das in 50 Meter Entfernung schon ein wenig abseits liegt. Nur das Italien-Chalet ist weiter.

Dort wartet man, es ist 20 Uhr, auf Innerhofer. Das Menü verspricht "crema di mais sponcio", der Empfang ähnelt einer Familienfeier, Kinder stürmen durch die Stuhlreihen, Männer mampfen Schinkenscheibchen. Innerhofer verspätet sich, er ist noch im Tirol Berg. Dort sagt er: "Das anstrengendste ist das Rennen nach dem Rennen." Wie er denn bei den Frauen ankomme, will der Moderator wissen, jetzt, als Ski-Held. "San welche da?", fragt Innerhofer. Und gleich eilen zwei mit blonden, langen Haaren herbei, um mit ihm und einer Scheibe Tiroler Edelsalami zu posieren. Der 26-Jährige wirkt bei all dem Trubel ein wenig belustigt und macht sich auf zum Italien-Treff. Dort wartet ein Empfangskomitee aus großen Objektiven. Innerhofer bekommt ein Glas Prosecco in die Hand und prostet in die Runde, aber kein Objektiv prostet zurück, sie klicken nur ganz schnell.

Zu der Zeit sitzen in der DSV-Hütte Rosi Mittermaier, Christian Neureuther und Markus Wasmeier, eine mäßige Ausbeute, in der VIP-Skala gibt es dafür kaum Punkte. Auch nicht für die Nachwuchsfahrer, die an einem Tisch zusammenhocken und Tafelspitzkraftbrühe löffeln, während Claudia Koreck auf der Bühne im Kurpark nebenan für 300 frierende Fans warme Worte in ihr Mikro schnulzt. Nach ihrem Auftritt leert sich der WM-Park, Plastikbecher rollen auf dem Kies herum. Nur vor den Eingängen der Zelte bilden sich noch ein paar Grüppchen, die Besucher versuchen, ins Warme zu kommen. Leider nein, nur mit Bändchen, heißt es von den Türstehern, geschlossene Veranstaltung. Im Flutlicht stehen verlassene Autos, die Zelte leeren sich gegen 23 Uhr merklich, nur nicht im Tirol Berg, dort stehen alle und singen, die Hand am Herz. Denn die Blasmusik spielt das Tiroler Lied. Es klingt wie die Siegerhymne auf das Zelt des Abends.

Auch Schranz singt, die Hand auf dem grünen Janker, in dem einige neue Visitenkarten stecken. Innerhofer hat auf dem Heimweg nur seine Medaille im Gepäck, aber die wird er sicherlich in den kommenden Tagen noch mit Visitenkarten vergolden.

© SZ vom 11.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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