Sicherheit in den Bergen:Auf schmalem Grat

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Selbstüberschätzung, Leichtsinn und fehlender Respekt der Kletterer und Wanderer: Die Einsätze der Bergwacht Bayern sind zwischen 2004 und 2009 um etwa 50 Prozent in die Höhe geschnellt.

Dominik Prantl

Der erste Augustsonntag war auch im Berchtesgadener Land ein sonniger Tag; das lässt sich mit einem Blick auf das umfangreiche Einsatzspektrum der Bergwacht Ramsau feststellen. Die rettete erst einen 52-jährigen Kletterer am Blaueisgebiet, barg anschließend einen schwer verletzten 23-Jährigen nach einem 20-Meter-Absturz am Hochkalter und chauffierte abends einen elfjährigen Jungen mit Brechdurchfall im Geländefahrzeug von der Wimbachgrieshütte ins Tal. Zum Abschluss wurde die Bergwacht um 22.30 Uhr auch noch zu einer Vermisstensuche gerufen. Ein Einheimischer war nach einer Bergtour nicht zu Hause erschienen.

Übung an der Kampenwand: Rettungskräfte bergen einen Bergsteiger aus der Feldwand. (Foto: dpa)

Jedes Jahr häufen sich pünktlich zu Beginn der Wander- und Hochtourensaison die Meldungen über Bergunfälle aufs Neue - mit ständig wechselnden Dramaturgien. Höhenbergsteiger fallen am Nanga Parbat in Gletscherspalten, ganze Gruppen werden am Mont Blanc von Lawinen verschüttet oder aus Klettersteigen ausgeflogen.

Tatsächlich scheint so manche Statistik den Eindruck zu bestätigen, dass der Berg immer mehr Opfer fordert: Die Einsätze der Bergwacht Bayern sind zwischen 2004 und 2009 um etwa 50 Prozent in die Höhe geschnellt, der Deutsche Alpenverein (DAV) registriert immer mehr verunglückte oder in Bergnot geratene Mitglieder.

Und doch findet Thomas Griesbeck, Sprecher der Bergwacht Bayern, dass der Eindruck täuscht: "Mit der Anzahl der Menschen in den Bergen steigt einfach die Anzahl der Einsätze." Auch Stefan Winter, Ressortleiter Breitenbergsport, Sportentwicklung und Sicherheitsforschung beim DAV, führt die Unfallzahlen unter den Mitgliedern auf die stetig wachsende Masse an Outdoor-Sportlern zurück. Für ihn ist vor allem eine Tatsache entscheidend: "In den vergangenen 50 Jahren ist die Zahl der tödlichen Unfälle deutlich zurück gegangen. Der Bergsport ist sicherer geworden."

Was sich in den vergangenen Jahrzehnten geändert hat, ist das Profil des Berggängers. Galt der alpine Raum in den Sechzigern vielen noch als das Terrain einiger waghalsiger Sonderlinge, so haben heute dort auch Ausdauersportler, Ausrüstungsfreaks und Freunde des risikoreduzierten Abenteuers ein Betätigungsfeld gefunden. Der klassische Alpinist, der in der vertikalen Wand eigene Sicherungen legt und damit zwangsweise gefährlich lebt, ist heute vergleichsweise selten anzutreffen.

Rasant angewachsen ist vielmehr die Zahl der einzelnen Sportarten vom Eisklettern und Klettersteiggehen über das Berglaufen bis zum normalen Wandern oder Mountainbiken. Ebenso zahlreich sind heute die Unfallursachen und die unterschiedlichen Arten von Verletzungen.

Gleichzeitig verschwimmen die Grenzen zwischen den zahlreichen Sportlerfraktionen. Winter nennt das "Sportartenhopping am Berg". So kommt es, dass die meisten zwar über einen gewaltigen Ausrüstungsfundus vom Seil bis zum Fahrradhelm im Keller verfügen, aber nicht mehr über den nötigen Erfahrungsschatz in einer speziellen Disziplin. "Den siebten Sinn, der sich nur über eine langsame Steigerung erreichen lässt, entwickeln die wenigsten", sagt Winter.

Flankiert wird der Berggänger in seinem Entdeckungsdrang von einer innovationsfreudigen Outdoorbranche, die immer ausgefeiltere Sportgeräte für die letzten Winkel der Berge entwirft. "Wir haben heute eine verbesserte Ausrüstung, eine verbesserte Infrastruktur und bessere Möglichkeiten zur Aufklärung über Gefahren", sagt Winter.

In den seltensten Fällen ist heute daher Materialversagen der Grund für einen Unfall. Stefan Winter nennt "gesellschaftliche Trends wie Beschleunigung, Freizeitstress und Leistungsdruck" als Ursachen für die letztlich noch immer hohen Unfallzahlen. Zudem vermittle Technik und Informationsfülle vielen eine trügerische Sicherheit. "Die Ausrüstung allein hilft nichts. Man benötigt auch die entsprechenden Kenntnisse dazu", sagt Alexander Römer, Leiter der Bergschule von Hauser Exkursionen.

Er wundere sich häufig, wie wenig eigentlich angesichts der mangelnden Ausbildung vieler Berggeher passiere. Neben dem Höher-schneller-weiter-Streben macht er auch das kommerzielle Interesse der Bergbahnbetreiber für einige Bergunfälle verantwortlich. Als Beispiel nennt er den sehr schweren Mauerläufer-Klettersteig nahe der Alpspitz-Bergstation. "Mit der Spielform Klettersteig hat das nichts zu tun. Das ist reines Klettergelände." Selbstüberschätzung, Leichtsinn und fehlender Respekt der Berggeher tun ihr übriges. Allein im Eröffnungsjahr 2009 hatte die Bergwacht vier Einsätze am Mauerläufer, weil die Gipfelaspiranten an der mit Drahtseilen gesicherten Wand schlicht überfordert waren.

Längst widmet sich der DAV-Sicherheitskreis deshalb nicht mehr nur Materialtests, sondern verstärkt der Aufklärung, Prävention und Weiterbildung seiner Mitglieder. Und auch in punkto Sicherheitsbedenken sind Bergsportler keine homogene Gruppe mehr. Inzwischen gibt es laut Winter nicht nur jene, die noch nicht ausreichend informiert sind, sondern noch ein anderes Extrem: "Manche sind so stark sensibilisiert, dass sie Skitouren nur auf der Piste absolvieren, um keine Gefahr einzugehen." Und Römer meint: "Früher ist viel weniger über Sicherheit geredet worden. Aber das Bergsteigen ist es auch nicht wert, dabei das Leben zu lassen."

Allerdings endet nicht jeder Bergwachteinsatz gleich mit einer Katastrophe. Zu der späten Vermisstensuche bei Berchtesgaden konnte der angeforderte Hubschrauber beispielsweise wieder abrücken, bevor er überhaupt im Einsatzgebiet eingetroffen war. Der Vermisste war mittlerweile wieder aufgetaucht - auf dem Heimweg von einer Gaststätte.

© SZ vom 06.08.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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