Seehofer in Israel:Bayerns Chefdiplomat

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Zum Ende seiner Amtszeit als Bundesratspräsident besucht Horst Seehofer Israel. Seine Reise führt ihn in die Gedenkstätte Jad Vaschem und verlangt Geschick in der Debatte um Beschneidung.

Mike Szymanski, Jerusalem

Horst Seehofer atmet tief durch. Geschafft. Vor ihm Licht, Sonne, Bäume. Er lässt die Arme baumeln und saugt es einfach nur noch ein: das Leben.

Unterwegs in schwieriger Mission: Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer beim Besuch der Gedenkstätte Jad Vaschem in Jerusalem. (Foto: dapd)

Ein beklemmender Gang durch die Geschichte liegt hinter ihm. Zum Glück steht Noa Mkayton an seiner Seite, die freundliche Frau, die ihn entlang der rechts und links aufragenden kalten Betonmauern gelotst hat durch die Zeit, in der sechs Millionen Juden dem Holocaust zum Opfer fielen. Mkayton weiß sehr genau, wie Jad Vaschem, die nationale Holocaust-Gedenkstätte auf Besucher wirkt.

Sie führt häufig deutschen Besuchergruppen an dieses Gebäude heran und begleitet sie auf ihrem schwierigen Weg. Die Gedenkstätte zwingt die Besucher, sich mit schier unendlichem Leid auseinanderzusetzen. Es gibt kein Entrinnen. Jad Vaschem ist wie ein Keil in den Hügel der Erinnerung getrieben. Man muss es wohl so sagen: Frau Mkayton, anderthalb Köpfe kleiner als dieser Riese Seehofer, sie ist ihm gerade wirklich eine Stütze auch wenn er jetzt sagt: "Sie haben mich geschockt."

Es ist der zweite Tag von Seehofers Israel-Reise. Und in diesem Moment ist Seehofer fertig mit der Welt. Noa Mkayton habe ihn aus einer heiteren Welt in eine bestialische Zeit geführt, erzählt er. "Lähmendes Entsetzen", so beschreibt er sein Gefühl. Innerlich aufgewühlt sei er, das ist ihm auch anzumerken. Jad Vaschem lässt niemanden kalt. Richtig so, findet Seehofer. "Nie wieder!", sagt er. Die Lehre aus diesem Leid könne nur eine sein: "Nie wieder."

Jad Vaschem ist ein besonders schwieriger Ort für deutsche Spitzenpolitiker. Jede Geste wird beobachtet, jedes Wort gewogen. Bundespräsident Joachim Gauck hat gleich eine ganze Seite im Gästebuch vollgeschrieben, nachdenkliche Worte. "Wenn du hier gewesen bist, sollst du wiederkommen . . .", hatte er begonnen. Seehofer ist kein Gauck. Er schreibt: "Das unermessliche Leid der Opfer der Schoah bewegt mich zutiefst. Die Erinnerung an die entrechteten, verschleppten, gequälten und ermordeten Juden muss uns Deutschen und allen Völkern Mahnung sein, die Würde des Menschen zu achten und zu verteidigen." Stärker als seine Worte wirken Seehofers Gesten: Wie er sich bei der Kranzniederlegung in der Halle der Erinnerungen, dem Ort der Trauer, in kleinen, schweren Schritten vorwagt zur Ewigen Flamme und zur Krypta mit der Asche von Opfern.

Abba A. Naor beobachtet Seehofer sehr genau. Jeden Schritt, jede Geste. Er hat schon viele Politiker in Jad Vaschem erlebt. Und Seehofer bewältigt den Tag ganz gut, findet er. Auch Naors Geschichte wird in Jad Vaschem erzählt. Es gibt ein Foto, das den heute 85-Jährigen als Buben mit drei Kameraden zeigt. Es ist im Getto von Kaunas in Litauen aufgenommen worden.

Abba Naor ist der zweite von links. "Für kurze Zeit gab es im Getto eine Schule", erzählt Naor. "Aber die Nazis haben sie nur errichtet, um zu erfahren, wie viele Kinder im Getto lebten." Dann dauerte es nicht lange, bis die Kinder von den Nazis abgeholt wurden. Naor überlebte das KZ. Heute geht er an Schulen und versucht, die Erinnerung an diese schreckliche Zeit wach zu halten. Fotos braucht er dafür nicht. "Die Bilder sind immer dabei. Wir haben zwar die Lager verlassen, aber sie uns nicht."

Er würde Seehofer gerne seine Geschichte erzählen. "Aber dafür bräuchte ich zwei Stunden", sagt er. Im Moment genügt es ihm, mit Seehofer durch Jad Vaschem zu gehen. "Wer hätte denn früher gedacht, dass ein KZ-Bub und ein bayerischer Ministerpräsident einmal gemeinsam hier langspazieren würden." Es sind Momente wie dieser, die den Tag für alle gleich wieder erträglicher machen.

Diese Reise fordert Seehofer voll und ganz. Es geht nicht nur um den tiefen Schmerz, den Seehofer in Jad Vaschem zu spüren bekommt. Es vergeht kaum ein Treffen, an dem nicht auch ein kleines Stück Haut für heftige Emotionen sorgt. Das Urteil eines Kölner Gerichts, die traditionelle Beschneidung als Körperverletzung zu werten, hat das deutsch-israelische Verhältnis belastet.

"Wollt ihr uns Juden noch?", fragte etwa Charlotte Knobloch, die Vorsitzende der israelitischen Kultusgemeinde München, in einem Gastbeitrag für die SZ. Sie gehört Seehofers Delegation an und macht auch im Gespräch mit Seehofer klar, wie ernst die Lage aus ihrer Sicht ist. Ein "Weckruf", meint Seehofer. Schließlich fürchtet man in diplomatischen Kreisen eine "echte Erschütterung", sollte es der Bundesregierung nicht gelingen, das Problem zu lösen.

Seehofer sieht sich in der Rolle des Diplomaten: Beim Besuch von Israels Parlamentssprecher Reuven Rivlin versichert Seehofer am Dienstagnachmittag, Deutschland werde im Oktober, spätestens im November für Klarheit gesorgt haben. Beschneidungen müssten in Deutschland straffrei bleiben. Seine Justizministerin in Bayern, Beate Merk, hat er jedenfalls schon angewiesen, Fälle von Beschneidungen juristisch nicht weiter zu verfolgen.

Rivlin sieht in Seehofer einen "guten Freund" und einen Verbündeten, weshalb sich sein Land nicht weiter in die deutsche Debatte einmischen will. Für ein klein bisschen Frieden konnte Seehofer damit schon einmal sorgen.

© SZ vom 12.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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