Schwarzenbach an der Saale:Drei Chefs im Gleichschritt

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Design, Produktion, Logistik: Bevor ein neuer Schuh von Brütting im Geschäft steht, braucht es ein eingespieltes Trio

Von Florian Stocker, Schwarzenbach an der Saale

Dampf steigt auf, Gestank beißt in der Nase, der Raum dröhnt vom Lärm einer Fräsmaschine: Andy Lösch ist begeistert. Vor seinen Augen wird gerade ein Schuh zusammengesetzt. Das aufgeraute Schuhleder wird mit Wasserdampf erwärmt, die Sohle mit einem Kleber aufgeklebt, dessen Geruch einem den Atem raubt. Eine beige Gummisohle sticht ins Auge, weißes Leder, darauf ein rautenförmiges Markenzeichen. Es ist nicht irgendein Schuh, der hier entsteht. Es ist ein Schuh der Marke Brütting, sein Name: "Diamond Brand". Über ein Jahr lang hat Lösch auf dem Papier daran gearbeitet. Es ist sein Schuh.

Genau genommen stehen gleich drei verschiedene Personen hinter diesem Schuh, Lösch sagt: drei verschiedene Welten. Die erste Welt, das ist Schwarzenbach an der Saale: eine 7000-Einwohner-Stadt im Norden Bayerns, die mit einem hübsch restaurierten Schloss, idyllischen Wanderwegen, Kunstgalerie und Traktormuseum wirbt. Hier wird der Diamond Brand in der Schuhfabrik Adolf Werner unter der Aufsicht von Geschäftsführer Gerhard Neuberger hergestellt. 50 Mitarbeiter fertigen am Tag von Hand etwa 400 Paar Schuhe für verschiedene Auftraggeber an. Eine Schuhfabrik, wie es nicht mehr viele in Deutschland gibt. Mit einem Jahresumsatz von acht Millionen Euro steht die Fabrik, deren Firmengeschichte sich bis 1692 zurückverfolgen lässt, heute gut da, auch wenn man ihr das Alter ansieht: Die Vorhänge sind ausgebleicht, an der Wand kleben Panini-Bilder von Fußballern, die lange keinem Ball mehr hinterherjagen.

Der Freizeitschuh soll neuen Schwung in die Firma Brütting bringen. (Foto: Stephan Rumpf)

Seit Jahrzehnten produzieren sie in Schwarzenbach für die Schuh-Firma Brütting, die ihren Stammsitz rund 60 Kilometer westlich in der Marktgemeinde Küps im Landkreis Kronach hat. Brütting, das ist die zweite Welt, die sich hinter dem Diamond Brand verbirgt. Eine Welt, die weniger aus Leder, Leisten und Laufsohlen besteht, als vielmehr aus Büros, Lagerräumen und Logistik. An der Spitze von Brütting steht Markus Nill, der mit einem Partner die Geschäfte leitet, sie verantworten einen Jahresumsatz von 30 Millionen Euro. Seit knapp zwei Jahren arbeitet Andy Lösch als Berater für Brütting-Chef Nill, nebenbei ist er Vertreter für Ledertaschen aus den USA. Zusammen mit einem Kollegen hat der Münchner den Schuh auf der Grundlage alter Brütting-Modelle entworfen, er kümmert sich "relativ autark" um den Vertrieb. Er ist der dritte Mann hinter dem weiß-roten Lederschuh.

Neuberger, Nill und Lösch - die Unterschiede innerhalb des Trios sind augenfällig. Während Mittelständler Gerhard Neuberger in kariertem Hemd und grauen Jeans durch seine Fabrik führt, folgt Manager Markus Nill im blütenweißen Hemd und edlen Jackett. Der 32-jährige Lösch trägt Vollbart, weite Jeans, Schlabberhemd und weiße Schuhe. "Wir kommen aus verschiedenen Welten, jeder hat einen anderen Hintergrund", sagt Lösch, der gegen das Summen alter Nähmaschinen anreden muss, während hinter ihm mit lautem Stampfen einzelne Schuhelemente aus Rindleder gestanzt werden.

Jahrzehntelang hat Brütting vor allem Sportartikel hergestellt. (Foto: oh)

Die drei Geschäftsmänner eint das Projekt Diamond Brand. "Mit dem neuen Schuh wollen wir anknüpfen an die lange Geschichte von Brütting", erklärt Nill. Auf die sind sie stolz. 1946 wurde das bayerische Unternehmen gegründet von Eugen Brütting, der mit Horst und Adolf "Adi" Dassler - den beiden fränkischen Firmenvätern von Puma und Adidas - zu den Pionieren der Schuh-Entwickler zählt. Die Modelle des 1918 in Nürnberg geborenen Schuhmachers Brütting waren in den Sechziger- und Siebzigerjahren vor allem bei Profisportlern beliebt, zu den Kunden des Hauses zählten Olympiasieger wie Diskuswerferin Liesel Westermann oder Geher Bernd Kannenberg. Die Frage, wie er mit seinen Schuhen am meisten Geld verdienen könnte, war für Brütting dabei zweitrangig. Ihm ging es darum, für jede Sportart den perfekten Schuh zu entwerfen. So verpasste er den Anschluss an eine Konkurrenz, die früh auf Marketing setzte, viele Kunden erreichen wollte und zunehmend ins Ausland investierte. Als Brütting Ende der Achtziger nach Asien expandierte, war es schon zu spät für den großen Durchbruch. Heute macht das Unternehmen 90 Prozent seines Umsatzes in Fernost.

"Der Schuh, der die Welt erobert" - "Der Schuh, der auch morgen noch aktuell ist": Brüttings Werbeslogans aus alten Prospekten klingen tatsächlich wie aus dem letzten Jahrtausend. Am Anspruch, der dahinter steckt, hat sich aber nichts geändert. Auch wenn man dafür heute nicht mehr mit pausbackigen Dauerwellen-Models wirbt, sondern auf Facebook, Instagram und eine bilderreiche Homepage setzt. Löschs Ziel ist es, langfristig wieder auf dem internationalen Markt Fuß zu fassen: "Wir haben das Potenzial dafür." Seine Aufgabe ist es nun, den Schuh über einzelne Händler in die Geschäfte zu bringen. Noch ist Brütting freilich ein Zwerg auf dem globalen Markt. Mit dem Diamond Brand, einem Freizeitschuh, möchte sich das alteingesessene Unternehmen noch einmal ein Stück neu erfinden.

Schuhe von Brütting: Weißes Leder, darauf das rautenförmige Logo. (Foto: Stephan Rumpf)

Dazu ist das Team um Lösch angewiesen auf Mitarbeiter wie Marcus Käppel. Er ist der "Meister im Bodensaal". Sein Titel ist nicht nur Berufsbezeichnung - der Schuhmeister verantwortet das Besohlen -, sondern auch Ausdruck von Wertschätzung: Fabrikchef Neuberger ist froh, dass er mit Käppel 2015 nach langer Suche einen Meister fand. Diese arbeiten oft lieber im Ausland, wo höhere Löhne locken. Zusammen mit Kollege Hermann Mikowedz, der seit 41 Jahren in Schwarzenbach arbeitet, legt Käppel letzte Hand an den Diamond Brand, jetzt geht es um die unverkennbaren Markenzeichen: Was die drei Streifen für Adidas sind, das ist für Brütting die dicke Sohle samt Fersenkappe und karoförmigem Logo. Dann ist er fertig, der neue Brütting. Jungunternehmer Lösch ist stolz: "Einen neuen Schuh auf den Markt zu bringen, ist zäh und frustrierend. Du musst unzählige Menschen vom Projekt überzeugen und hast nur Scherereien. Aber in solchen Momenten weiß man dann, dass sich die ganze Arbeit lohnt."

Von Karl Lagerfeld stammt der Satz, wonach jemand, der eine Jogginghose trägt, die Kontrolle über sein Leben verloren hat. Was der Modemacher zu den ausgelatschten Schuhen des Reporters sagen würde, mag man sich nicht ausdenken. Schuh-Experte Neuberger wirft einen sehr kurzen Blick darauf, spart sich ein Urteil und zückt stattdessen ein neues Paar Brütting-Schuhe: "Probieren 'S mal!" Zeit also für einen Testlauf. Zugegeben: Auf der mehrteiligen Sohle und dem weichen Leder läuft es sich gut, der Schuh gibt Halt und sieht, je länger man ihn betrachtet, desto modischer aus. Aber rechtfertigt das den hohen Preis? 229 Euro kostet der Diamond Brand, viel Geld für ein Paar Schuhe. Brütting-Chef Markus Nill hofft auf Kunden, "die handmade quality aus Bayern und die Story hinter dem Schuh wertschätzen".

Andy Lösch, Gerhard Neuberger und Markus Nill (v. l.) sind die Väter des Diamond Brand. Der Freizeitschuh soll Schwung in die Firma Brütting bringen. (Foto: Stephan Rumpf)

Seit Februar gibt es das neue Modell in Deutschland zu kaufen. In Nürnberg, wo man die Marke besser kennt, wurde der Schuh laut Lösch "sehr gut angenommen", in Berlin dagegen hat er kaum Exemplare verkauft. Lösch übt sich in Zuversicht: "Das kommt noch, bei Adidas hat es damals auch nicht von heute auf morgen geklappt." Im August kommen zwei weitere Modelle auf den Markt, er hofft, dass die Händler sie ihm bereitwillig abnehmen.

© SZ vom 14.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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