Schamanenschule in Oberbayern:"Du bist ein Kranich"

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Ein Student in der Schamanenschule in Schondorf (Foto: STA Franz X. Fuchs)

Um 19 Uhr werden in Schondorf am Ammersee Menschen zu Bären, Schildkröten, Panthern oder Stechmücken: In der Schamanenschule beschwören Schüler unter Anleitung einer diplomierten schamanischen Beraterin ihre Totemtiere herauf. Die guten Geister sollen sogar bei der Wohnungssuche helfen.

Von Korbinian Eisenberger

Eintöniges Trommeln pocht in den Ohren. Der Geruch von verbrannten Gräsern liegt in der Luft. An den Wänden hängen Papageienfedern, Flügel, Trommeln und Stofftücher. Auf den Kissen und Decken an der Wand hocken Männer und Frauen im Schneidersitz und klopfen auf Handtrommeln herum. Inmitten des Raumes sitzt ein bärtiger Mann mit dunklen Haaren.

Zwei Hände tasten seinen Umriss am ganzen Körper ab. Die Augen des Bärtigen sind geschlossen, sein Herz pocht schnell. Eine Stunde durchhalten. Er hat niemandem verraten, dass ihm ein stechender Schmerz in der linken Schulter zu schaffen macht. Plötzlich spürt er einen Atemhauch an seiner Wange. Bumm - beim letzten Trommelschlag zuckt er zusammen. Dann flüstert ihm eine leise Stimme ins Ohr. "Du bist ein Kranich."

Es ist kurz nach 19 Uhr. In Schondorf am Ammersee hat gerade der Schamanenabend begonnen. Die diplomierte schamanische Beraterin Ute Fechter und ihre zwölf Schüler beschwören ihre Krafttiere herauf. In schwierigen Lebenssituationen sollen die Tiere ihnen beistehen. Die 52-Jährige trägt ein dunkles weites Gewand. Um ihren Hals hat sie einen roten Schal geschlungen, und ihre Handgelenke sind mit Bändern verziert. Sie sitzt auf einer Couch, etwas höher als ihre Schüler.

Eine dunkelhaarige Frau erzählt, dass sie heute die Zusage für eine neue Wohnung bekommen habe: "Ich habe alle verfügbaren Geister gebeten, und sie haben geholfen." Eine barfüßige Frau sagt, dass sie sich fühlt, wie frisch aus der Waschmaschine gespuckt. "Ich bin mir sicher, dass heute ein Maja-Wind herrscht, deswegen stehen heute viele neben der Kappe", erklärt Fechter.

Fechter hat ein Salbeiblatt angezündet. Die barfüßige Frau, die vor ihr sitzt, schließt die Augen und saugt den Rauch ein. Fechter bläst den Salbei-Dampf in das Gesicht des bärtigen Mannes. Verwirrt schreckt er hoch. Mit ihren Händen macht Fechter Wischbewegungen über seinem Kopf, so, als wolle sie eine Stechmücke verjagen. Damit, erklärt Fechter, treibe sie ihm die bösen Geister aus.

Für ihn ist es der allererste Schamanenabend. Im normalen Leben brütet er mit Studienkollegen im Vorlesungssaal der Uni. Jetzt sitzt er als Kranich zwischen Bären, Schildkröten, Panthern und Löwen.

Fechter hält ihren peruanischen Heilerstab in der Hand, den sie bei ihrer Einweihung überreicht bekam. Als Schamanin bezeichnet sie sich jedoch nicht. "Nur Indianer können echte Schamanen sein", sagt sie. Auf ihrer Amerikareise habe sie jedoch schlimme Erfahrungen gemacht. "Viele Indianer sind zuckerkrank und alkoholabhängig." In den Stämmen gebe es nur noch ganz wenige Medizinmänner.

Ute Fechter betreibt in Schondorf eine schamanische Schule. (Foto: STA Franz X. Fuchs)

Sie steht jetzt auf einem Tierfell inmitten des Raumes und singt ein peruanisches Indianerlied. Dazu dreht sie sich in die Himmelsrichtungen und schwingt eine Rassel. "Die bösen Geister sind ausgetrieben", sagt sie in die Runde. Halb acht. Der Student hat Schweißperlen auf der Stirn. Jetzt soll er sein Totemtier zum Leben erwecken.

Über dem Ammersee ist die Sonne untergegangen. Eine Fledermaus streift über die Laubbäume von Ute Fechters Garten. Die Schamanen-Schüler haben sich unter den Bäumen auf der Wiese verteilt. Fechter steht im Gras und trommelt vor sich hin. Eine dunkelhaarige Frau sitzt mit geschlossenen Augen auf einem Hackstock und schwingt im Takt der Trommelschläge eine Rassel.

Ein Mann liegt, Arme und Beine von sich gestreckt, im Gras. Die barfüßige Frau hopst neben einem Baumstamm von einem Bein auf das andere. Ist ihr Totemtier ein Hund, dem es pressiert? Etwas abseits auf einer Steintreppe sitzt der Student. Er sieht der Frau zu, die seit zehn Minuten mit ihrer Rassel beschäftigt ist. Welches Tier das wohl ist?

Plötzlich taucht ein Mann mit grauen Haaren hinter dem Gartenzaun auf. "Es ist schon dreiviertel acht!", schimpft er. Seine zusammengekniffenen Augen haben Ute Fechter ins Visier genommen, die mit ihrer Handtrommel neben dem Zaun steht. "Die sind doch alle verrückt", sagt er und stapft kopfschüttelnd davon. Fechter kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es gäbe immer wieder Leute, die sie als esoterische Spinner bezeichnen. "Die verstehen Schamanismus eben nicht."

Die Dämmerung ist in Finsternis übergegangen. Fechters Schüler haben es sich wieder auf den Kissen der Schamanenschule gemütlich gemacht. "Ich war zuerst ein Panther", erzählt die dunkelhaarige Frau mit der Rassel, "und später ein Kranich." Der Student macht große Augen. Er hätte wohl auch eine Rassel mit nach draußen nehmen sollen. Der Mann, der ausgestreckt im Gras lag, erzählt, er sei eine Mücke gewesen. Weil er sich so stark mit dem Insekt identifiziere, habe er sich draußen vor der hungrigen Fledermaus gefürchtet.

Der Student habe sich mit dem Fliegen schwer getan, erklärt er. Ute Fechter hat ihm die Hand aufgelegt. "Kein Wunder", sagt sie. "Ich spüre einen tiefen Schmerz auf deinem linken Kranichflügel."

© SZ vom 04.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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