Regensburg:Sieben Schüsse von hinten

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Handelten die Polizisten wirklich in Notwehr? Der Tod eines Musikstudenten in Regensburg wirft unangenehme Fragen auf.

Max Hägler

Es ist eine Aussage, die selbst die Anwälte des Opfers überrascht hat: Sieben Mal haben die Polizisten von hinten auf den Regensburger Studenten Tennessee Eisenberg geschossen. Das gab am Mittwoch die Staatsanwaltschaft Regensburg bekannt und zitierte damit die inzwischen vorliegenden ballistischen Gutachten der Polizei.

In Regensburg wurde der Musikstudent Tennessee Eisenberg erschossen. (Foto: Foto: dpa)

Der 24 Jahre alte Musikstudent war am 30. April in Regensburg von zwei Polizeibeamten erschossen worden. Insgesamt wurde aus zwei Waffen 16-mal auf ihn geschossen. "Sieben dieser Schüsse wurden von einer Position aus abgegeben, die sich bezogen auf den Getroffenen schräg links hinten befunden haben muss", teilte der Leitende Oberstaatsanwalt Günther Ruckdäschel mit. Insgesamt hätten elf Kugeln den Mann getroffen, eine streifte ihn.

"Ich tue mich schwer, an eine Notwehr zu denken"

Die Staatsanwaltschaft kündigte an, dass sich der Abschluss der Ermittlungen bis zum Eingang des zweiten Obduktionsgutachtens verzögern werde. Im Auftrag der Angehörigen hatte der Münsteraner Rechtsmedizinzer Bernd Karger vergangene Woche den Leichnam des Studenten ein zweites Mal obduziert. Seitdem sehen die Anwälte ihre Zweifel am offiziellen Tatablauf bestätigt.

"Mit Blick auf die Schussabfolge und die Richtungen tue ich mich schwer, an eine Notwehr oder Nothilfe zu denken", sagte Andreas Tronicsek, einer der drei Anwälte, der Süddeutschen Zeitung.

Merkwürdig sei, dass einer der ersten Schüsse den Studenten von hinten ins Knie getroffen habe. "Das könnte darauf hinweisen, dass Eisenberg eigentlich fliehen wollte", sagt Tronicsek. Als "ungewöhnlich" wertet der Anwalt auch den Umgang mit den beiden Beamten. Im Zwischenbericht der zuständigen Amberger Kripo, datiert auf den 4. Mai, heißt es, dass die Ermittler an diese Beamten "noch nicht herangetreten" seien.

Polizisten sind schon wieder im Dienst

Oberstaatsanwalt Ruckdäschel sagte der SZ, die beschuldigten Polizisten machten keine Angaben zum Geschehen. Mittlerweile sind sie wieder im Dienst. "Die Kollegen arbeiten schon seit geraumer Zeit wieder an ihren Dienststellen im Regensburger Stadtgebiet", bestätigte Michael Rebele, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberpfalz.

Ausschlaggebend dafür seien die ersten Erklärungen der Staatsanwaltschaft gewesen. "Es war sehr wichtig, dass dort von Notwehr oder Nothilfe die Rede war, das bedeutet für uns, dass sie nicht aus dem Dienst genommen werden müssen", sagte Rebele. Innenminister Joachim Herrmann sagte dem Bayerischen Rundfunk, er habe kein Problem damit, dass die beiden wieder im Dienst seien.

Doch genau damit haben die Familie des Opfers und ihre drei Rechtsanwälte Probleme. Neben der Kritik an der Zahl der Schüsse bezweifeln die Angehörigen auch die Gewaltbereitschaft von Eisenberg. "Ich kann die Notwehrhypothese nicht in allen Punkten nachvollziehen", sagt auch Anwalt Helmut von Kietzell.

Oberstaatsanwalt Ruckdäschel hatte nach dem Einsatz betont, die Polizei hätte den bisherigen Erkenntnissen zufolge in Notwehr geschossen. In der neuesten Stellungnahme findet sich kein Hinweis mehr auf Notwehr. Stattdessen erklärt Ruckdäschel nun, man wolle das zweite Gutachten abwarten. "Wir freuen uns, dass die Staatsanwaltschaft darauf wartet", sagte von Kietzell.

Allerdings werde das Ergebnis des Rechtsmediziners Karger frühestens Mitte August vorliegen. "Wir hoffen, dass damit und nach Durchsicht der weiteren Ermittlungsakten, etwa der Funkprotokolle und der Spurensicherung, der Tatablauf endlich klar wird", sagte von Kietzell.

Mit dem jetzigen Wissensstand könne nicht eindeutig gesagt werden, von welcher Position aus das erste Mal auf Tennessee Eisenberg geschossen worden sei. Im Haus finden sich Einschusslöcher vor allem in den Treppenstufen und einer abgewandten Wand.

Die Polizisten waren an dem Apriltag vom Mitbewohner Eisenbergs zur Wohnung gerufen worden. Nach früheren Angaben von Polizei und Staatsanwaltschaft habe der Anrufer geschildert, dass ihn Eisenberg unvermittelt mit einem Messer angegriffen habe. Minuten später seien die Beamten im Treppenhaus auf Eisenberg getroffen - der immer noch ein Messer in der Hand gehalten habe - und hätten versucht, ihn mit Pfefferspray und Schlagstockhieben zu stoppen.

Nachdem ein Beamter von Eisenberg "in die Enge getrieben worden sei", fielen die 16 Schüsse, so die früheren Angaben der Staatsanwaltschaft. Von welchem Ort aus, in welcher Reihenfolge, das sei weiter unklar, sagt Anwalt von Kietzell. Auch ob von außerhalb des Hauses geschossen worden sei, wie manche vermuten, könne er nicht sagen. "Derzeit ist im Grund noch alles denkbar."

© SZ vom 23.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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