Prozess in Nürnberg:Sarahs Mutter schweigt

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Sarah aus Thalmässing war 2009 an Unterernährung gestorben. Nun steht die Mutter vor Gericht. Sie wirkt gezeichnet und gefasst - aber schweigt.

Olaf Przybilla

Die Mutter der an Unterernährung gestorbenen Sarah aus Thalmässing kommt auf Krücken in den Schwurgerichtssaal 600. Angela R. ist an Krebs erkrankt, für den Hungertod ihrer drei Jahre alten Tochter schien sie sich zunächst nicht verantworten zu müssen, der Schwere ihrer Erkrankung wegen.

Im August 2009 war ihre Tochter Sarah an Unterernähung gestorben. Nun steht die Mutter vor Gericht - und schweigt. (Foto: dapd)

Ihr Mann ist bereits im November 2010 zu 13 Jahren Haft wegen Misshandlung Schutzbefohlener und wegen Mordes durch Unterlassen verurteilt worden. Weil sich der Zustand von Angela R. inzwischen jedoch gebessert hat, steht sie nun ebenfalls wegen Mordes vor Gericht. Pro Tag darf höchstens zwei Stunden lang verhandelt werden, mehr ist der Angeklagten momentan nicht zuzumuten.

Die Verhandlung leitet der Vorsitzende Richter Richard Caspar, wie schon beim Prozess gegen den Vater von Sarah. Möglicherweise hat es Caspar vor fünf Monaten für höchst unwahrscheinlich gehalten, dass sich die 27 Jahre alte Mutter noch einmal selbst vor Gericht verantworten müsse. Jedenfalls hat Caspar bereits in der Urteilsbegründung gegen Sarahs Vater angedeutet, wie die Schwurgerichtskammer die Verteilung der Schuld am Tod des Mädchens beurteilt.

Jeder, der den Prozess verfolgt habe, sagte Caspar damals, werde zur Einsicht gelangt sein, dass der größere Teil der Schuld der Mutter des Mädchens zukomme, dazu müsse man kein Jurist sein. Denn die Mutter habe jeden Tag die Schmerzensschreie eines sterbenden Kindes hören müssen, sie sei "eindeutig der aktive Teil für die Tat" gewesen. Der Vater wiederum, ein Fernfahrer, habe zugeschaut, wie sein Kind starb - und das über mehrere Monate hinweg, denn der Hungertod von Sarah sei "schleichend, quälend und schmerzhaft" gewesen, urteilte Caspar.

Sarahs Mutter will an diesem ersten Verhandlungstag nichts sagen, sie wirkt gezeichnet aber gefasst. Ein Ermittler berichtet, wie er sich schon während der ersten Vernehmung gewundert habe. "Ich möchte nicht sagen, dass diese entspannt verlief", sagt er, "aber doch sehr gefühlsneutral" - dafür, dass da gerade ein Kind verhungert sei. Ein Foto der ins Klinikum eingelieferten Sarah habe er der Mutter vorgehalten: Ein Körper, der nur aus Haut und Knochen bestand, war darauf zu sehen. Sarah litt unter einem Darm-Infekt, habe die Mutter zu verstehen gegeben. Und sie will geglaubt haben, einer vierfachen Mutter werde es schon gelingen, ihr Kind "auch ohne Hilfe eines Arztes wieder aufzupäppeln".

Vier Kinder hat die Mutter zur Welt gebracht, zwei davon wurden ihr bereits in jungen Jahren entzogen. Der etwas ältere Bruder von Sarah war wohlgenährt zu der Zeit, als seine Schwester starb. Für ihren Sohn habe ihre Kraft noch gereicht, hat Angela R. vor Ermittlern ausgesagt. Ihre Tochter dagegen habe sie aus den Augen verloren, einer extremen Diät wegen. In wenigen Monaten will die Frau 55 Kilogramm abgenommen und dadurch einen "Tunnelblick" entwickelt haben. Ihre Tochter, so ergab die Obduktion, hatte in den letzten Monaten ihres Lebens den Zellstoff aus ihren Windeln gegessen. Sarah ist im August 2009 in einer Nürnberger Klinik bis auf das Skelett abgemagert und ausgetrocknet an den Folgen ihrer Mangel- und Unterernährung gestorben.

© SZ vom 05.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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