Ordensbruder stirbt in Afghanistan:Tod eines Christusträgers

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Seit mehr als 40 Jahren arbeiten die evangelischen Ordensbrüder der Christusträger in Afghanistan. Nun ist einer von ihnen bei einem Raubüberfall ums Leben gekommen. Im unterfränkischen Triefenstein, wo das Kloster der Ordensleute ist, herrscht Bestürzung.

Olaf Przybilla

Norbert Endres hat kürzlich mit den evangelischen Brüdern von Kloster Triefenstein Jubiläum gefeiert, er hat schöne Erinnerungen daran. Seit 25 Jahren lebt und arbeitet die "Christusträger"-Bruderschaft in dem Kloster hoch über dem Main. Und geht es nach Endres, dem Bürgermeister der Marktgemeinde in Unterfranken, so kann man deren Arbeit gar nicht hoch genug schätzen. Nicht nur, weil sie dem Kloster - das der Marktgemeinde den Namen gegeben hat - neues Leben eingehaucht hat.

Bruder Siegbert, 69, hat im fränkischen Kloster Triefenstein und in Kabul Auszubildende unterrichtet. (Foto: dapd)

Es ist die Arbeit der Brüder, die die Leute im Ort beeindruckt. Schon seit 1969 leisten die Ordensbrüder Entwicklungshilfe in Afghanistan, der Ort bange stets mit ihnen, erzählt Endres. In den vergangenen Wochen aber, seit einer der Brüder als vermisst galt, war es besonders schlimm. Seit Mittwoch ist diese Sorge in Bestürzung umgeschlagen. Der 69-jährige Bruder Siegbert und ein 59-jähriger Mitarbeiter der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit sind in Afghanistan ermordet worden, vermutlich fielen sie einem Raubüberfall zum Opfer.

Der Prior der Brüderschaft, Bruder Christian, hat die Nachricht in der Nacht zum Mittwoch erfahren. Mit "an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" handele es sich bei den beiden in den Bergen nördlich von Kabul gefundenen Leichen um die beiden Vermissten, wurde ihm aus dem Auswärtigen Amt mitgeteilt. "Das erfüllt uns mit großer Trauer", sagt Bruder Christian. Er hält kurz inne, dann sagt er: "Gleichzeitig aber blicken wir auf ein sehr erfülltes Leben zurück."

Der Prior selbst war oft in Afghanistan, er kennt die Sicherheitslage und Siegbert, der nun offenbar ermordete Bruder, kannte sie auch. Vor drei Jahren zog es ihn trotzdem nach Kabul, die evangelischen Brüder aus Triefenstein unterhalten dort eine ambulante Klinik für Menschen, die an Lepra oder Tuberkulose erkrankt sind.

Genauso wichtig wie die medizinische Arbeit in Afghanistan sei die Weitergabe von technischem Wissen, sagt Bruder Christian. Bruder Siegbert war Werkzeugmachermeister. Um die Ausbildung von Lehrlingen hatte er sich schon in Triefenstein gekümmert, seit 2008 setzte er das in Kabul fort. "Es war ihm ein Anliegen", sagt der Prior.

Die Bruderschaft hat sich vor 50 Jahren in Bensheim an der Bergstraße gegründet, sie zählt zu den ordensähnlichen Gemeinschaften der evangelischen Kirche. Inzwischen gelten die Christusträger mit dem Hauptsitz in Triefenstein als größte zölibatär lebende Gemeinschaft von Männern protestantischen Glaubens im deutschsprachigen Raum.

Protestantismus und Zölibat? Er werde das häufig gefragt, sagt der Prior: "Wir glauben, dass die notwendige Verfügbarkeit eines Bruders nicht gut mit einer Familie in Einklang zu bringen ist." Natürlich gebe es auch in Afghanistan Entwicklungshelfer mit Familie, die Brüder aber hätten sich dagegen entschieden.

Im Herbst 1969 waren die ersten Christusträger nach Afghanistan aufgebrochen, um im Dorf Jalraiz eine kleine Klinik für Leprakranke aufzubauen. Der Einmarsch der Russen setzte der Arbeit nach zehn Jahren ein Ende, sie duldeten keine Entwicklungshelfer aus dem Westen. Die Brüder mussten sich nach Kabul zurückziehen, dort entstanden zwei kleinere ambulante Kliniken und eine Werkstatt für die technische Unterstützung der Hospitäler in der Stadt.

In dieser unterrichtete Bruder Siegbert die Grundlagen des Metallhandwerks. Seit einem Besuch in Kabul vor drei Jahren "war es sein großer Wunsch, den Ärmsten in diesem geschundenen Land zu dienen", sagt der Prior. Denken die Christusträger nun an einen Rückzug aus Afghanistan? Noch halten sich in Kabul zwei Brüder aus Triefenstein auf. "Nein", sagt der Prior. Es klingt sehr bestimmt.

Vor knapp drei Wochen waren Bruder Siegbert und sein Begleiter von der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) von einer Bergwanderung nicht mehr nach Hause zurückgekehrt. Zunächst befürchteten viele eine Entführung. Inzwischen weiß man, dass die beiden einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sind. Die gefundenen Leichen weisen Schussverletzungen auf, sie waren in einer schwer zugänglichen Bergregion entdeckt worden. Die näheren Umstände sind noch nicht geklärt.

Bürgermeister Endres hat Bruder Siegbert kennengelernt. Acht Jahre vor seinem Einsatz in Afghanistan war der Ordensbruder zwar nach Meißen übergesiedelt, er kümmerte sich dort um eine Station der Bruderschaft und baute eine Pfadfindergruppe auf. Zwischendurch aber kehrte er immer wieder nach Franken zurück.

In solchen Zeiten hat der Bürgermeister erlebt, wie der Ordensbruder Gottesdienste in der Klosterkirche mitgestaltet hat, der 69-Jährige spielte in der Band der Klosterbrüder. "Afghanistan ist sonst immer so weit weg", sagt Endres, "und plötzlich kommt alles so nah."

© SZ vom 08.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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