Niederbayern:Drei Schüsse am Haferfeld

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Im Juli 1964 wurde ein Landshuter Taxifahrer ermordet. Der Verdächtige musste aus Mangel an Beweisen wieder frei gelassen werden. 57 Jahre danach ist die Akte noch nicht geschlossen

Von Hans Kratzer

Als der Landwirt Peter Zur am Vormittag des 11. Juli 1964 mit seinem Bulldog an einem auf einer Anhöhe gelegenen Haferfeld entlangfuhr, fiel sein Blick auf einen Mann, der am Wegesrand vermeintlich schlief. Zur dachte sich nichts dabei, denn es kam öfter vor, dass an diesem waldigen Aussichtsplatz bei Dorfen (Landkreis Erding) junge Leute im Freien übernachteten. Als Zur an jenem Samstag nach Hause zurückgekehrt war, zeigte ihm seine Mutter einen Zeitungsbericht, in dem zu lesen war, dass der Landshuter Taxifahrer Karl Bise vermisst werde. Prompt erinnerte sich die Mutter an ein schwarzes Taxi, das zwei Tage vorher, am Donnerstag, von der Bundesstraße 15 auf den zum Wald hinaufführenden Feldweg abgebogen war. Bald darauf, so fiel ihr ein, habe sie gesehen, dass das Taxi zurückgekommen und in Richtung Dorfen weitergefahren sei.

Stutzig geworden, eilte Zur zurück zum Haferfeld, wo sich seine Ahnung bestätigte. Der Mann, den er dort gesehen hatte, war tot. Überdies registrierte Zur, dass ein erbitterter Kampf stattgefunden haben musste. Das Haferfeld war großflächig niedergewalzt. Die herbeigerufene Polizei stellte fest, dass der Tote Würgemale am Hals hatte und dass er mit drei Schüssen in die Brust ermordet worden war. Die Tatwaffe muss eine Walther-Pistole vom Kaliber 7,65 Millimeter gewesen sein.

Am frühen Freitagmorgen fiel Passanten auf dem Gelände eines Sägewerks in Erding ein verlassenes Taxi auf. Es war Bises Wagen, ein schwarzer Ford Taunus 17 M mit Landshuter Kennzeichen. Der Bügel mit der Taxileuchte war verschwunden, der rechte Vorderreifen platt, die Felge demoliert, im Wageninneren lagen grüne Haferkörner. Zeugen sagten aus, das Taxi habe kurz vor Mitternacht in der Nähe des Sägewerks einen Randstein touchiert. Ein Taxifahrer bezeugte, in der Nacht nach Bises Verschwinden habe sich ein junger Mann per Taxi von Erding nach Landshut fahren lassen. Dort sei er an der Martinskirche ausgestiegen. Ebendort hatte der Taxi-Unternehmer Karl Bise am 9. Juli auf Kundschaft gewartet. Gegen 13.30 Uhr beobachteten Zeugen, dass ein etwa 25- bis 30-jähriger Mann in Bises Taxi einstieg, das dann auf der B 15 den Weg in Richtung Dorfen einschlug. Heute weiß man: In Bises Wagen saß ein Mörder, der letztlich nicht ermittelt werden konnte. Wie ein Taxikollege aussagte, trug der mysteriöse Mann eine Sonnenbrille und ein auffälliges Hemd.

In einem gut 500 Meter vom Tatort entfernten Anwesen hörten die Bauersleute zur Tatzeit Schüsse. Wie sie später aussagten, glaubten sie, ein Jäger habe sie abgegeben. Als sich die Mordtat herumsprach, pilgerten viele Schaulustige zum Tatort. Zu ihnen gehörte auch der Dorfener Hans Wimmer, der damals als Wehrpflichtiger in München stationiert war. "Aber am Wochenende führte mich mein erster Weg zum Tatort", sagt er. Er hat alles, was er damals gehört, gesehen und bei den Anwohnern erfragt hat, aufgeschrieben und 2006 im Dorfener Heimatbuch dokumentiert.

Die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass der Täter das Taxi gut 20 Kilometer vom Tatort entfernt auftankte. Rätselhaft ist die Angabe des Taxameters, wonach das Fahrzeug nach der Abfahrt aus Landshut eine Strecke von gut 400 Kilometern zurückgelegt hat. In einem Wald bei Erding wurde das Taxizeichen gefunden. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich der Täter in der Gegend zwischen Landshut, Dorfen und Erding gut ausgekannt hat.

Karl Bise wurde unter großer Anteilnahme in Landshut zu Grabe getragen. Mehr als 500 Taxifahrer gaben ihrem Kollegen in einer langen Kolonne das letzte Geleit. Viele von ihnen fuhren zum dritten Mal in kurzer Zeit zum Begräbnis eines im Dienst getöteten Kollegen. Am Tatort erinnert bis heute ein Holzkreuz an den Mord.

Erst später kam heraus, dass das Opfer eine zweite Geldbörse mit sich führte

Die Ermittler aber tappen nach wie vor im Dunkeln. Zunächst führte eine Spur zu dem Gelegenheitsarbeiter Fritz D., der sich in einer Landshuter Gaststätte selbst als Bise-Mörder gebrüstet haben soll. Die Polizei stöberte ihn in Köln auf, wo er sich wegen eines Delikts strafbar gemacht hatte. Wie die Recherchen ergaben, kannte er sich in der Landshuter Taxiszene durchaus aus. Laut einem Bericht der Landshuter Zeitung lungerte er im Sommer des Bise-Mordes häufig an der dortigen Funktaxi-Zentrale herum. Der Ermittlungsrichter erließ zwar Haftbefehl wegen Mordverdachts, aber der Verdächtige wurde aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen.

Auffällig war, dass der Täter Bises Geldbörse, die immerhin 230 Mark enthielt, nicht mitgenommen hat. Erst später kam heraus, dass Bise eine zweite Geldbörse mit sich führte, die verschwunden ist. Überdies hat der Täter, wie die Polizei bekannt gab, ein sogenanntes Mecki-Männchen und einen Anhänger mitgenommen, Utensilien, die Zeugen bei dem verdächtigten Fritz D. ebenso gesehen haben wollen wie eine Walther-Pistole.

Eine Nachfrage bei der zuständigen Mordkommission ergab, dass die Akte zum Mordfall Karl Bise nach wie vor in Bearbeitung ist. Erst im vergangenen Jahr habe man sie wieder aufgeschlagen, sagen die Ermittler. Die Hoffnung, Licht ins Dunkel zu bringen, besteht fort. Auch wenn die Aussichten, diesen Fall, einen klassischen Cold Case, doch noch zu lösen, immer geringer werden.

© SZ vom 20.02.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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