Graurinder:Wie ungarische Steppenochsen das Bild Bayerns prägten

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Graurinder aus Ungarn wurden einst zu Tausenden nach Bayern getrieben, um den Bedarf an Nahrung, Leder und Arbeitstieren zu decken. Das war lange vergessen - doch nun werden die damaligen Pfade wiederentdeckt.

Von Hans Kratzer, München

Ihre ausladenden Hörner wecken Assoziationen, sofort klappen vor dem geistigen Auge des Betrachters die Steppen Osteuropas auf. Wenig bekannt ist aber, dass diese Grauochsen einst auch den bayerischen Alltag belebten. Das belegen neue Forschungsprojekte, etwa eine Untersuchung der Autorin Gudrun J. Malcher. Darin hat sie die große Bedeutung des Ochsenhandels für den Aufstieg der Stadt Regensburg nachgewiesen.

Einerseits prägten die ungarischen Steppenochsen als Arbeitstiere das Bild der bayerischen Landschaften, andererseits füllten sie als Schlachttiere die Bäuche der Reichen und der Großkopferten, und zwar vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Umso seltsamer, dass dieses lange Intermezzo der Grauochsen in Vergessenheit geraten ist. Und doch ist unbestreitbar, dass seinerzeit alljährlich Zehntausende Grauochsen aus der ungarischen Tiefebene und aus Transsilvanien nach Bayern getrieben wurden, auf mehr als 1000 Kilometer langen Strecken. Die Triebwege führten vor allem in zentrale Handelsstädte wie Augsburg und Regensburg. Der Ochsenhandel war ein Riesengeschäft und ein Hauptmotor der damaligen Wirtschaft.

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Das rückständige Agrarland Bayern konnte die erforderlichen Fleischmengen nie und nimmer produzieren. Auch im eigenständigen Regensburg erlaubten es die wenigen Weideplätze nicht, größere Herden Vieh zu halten. Daher war die Stadt auf Importe angewiesen. Noch dazu, als oft gewaltige Menschenmengen in der Stadt weilten und versorgt sein wollten, besonders während der Reichstage. In Süddeutschland gab es zu wenig Schlachtvieh, und das war auch noch dürr und klapprig. Deshalb bezog man das Fleisch von außen. Bereits um 1430 berichtete ein französischer Pilger von ungeheuren Rindermengen, die er auf seiner Reise in Ungarn zwischen Pest und Szeged gesehen habe.

Die Grauochsen aus Ungarn erfüllten alle Anforderungen für den Handel. Sie waren spottbillig, belastbar und viel fleischiger als das bayerische Vieh. Obwohl die Herden monatelang unterwegs waren, behielten sie ein gutes Schlachtgewicht. Sie waren gegen Hitze und Kälte gefeit, sie konnten schwimmen und überwanden mit Leichtigkeit Flüsse wie die Donau. Auch als schnelle Zugtiere zeichneten sie sich aus. "Unseren eigenen Ochsen kannst ja beim Gehen die Schuhe flicken", zitierte die Altbayerische Heimatpost einmal den Eggenfeldener Ochsenkenner Josef Heindl.

Aber nicht nur das Fleisch der Steppenrinder stand hoch im Kurs. Knochen, Hörner und Häute waren für das Lederhandwerk, im Bergbau und für die berittenen Soldaten unentbehrlich. Vor einiger Zeit ist deshalb das Ochsenthema auch in der historischen Forschung in den Fokus gerückt. Der transkontinentale Ochsenhandel war lange Zeit ein weißer Fleck auf der Agenda der Historiker. Auch, weil Kriege, Stadtbrände und Seuchen wertvolle Dokumente vernichtet hatten.

Spürsinn für das internationale Geschäft

Gudrun Malcher fand dennoch interessante Spuren, mit deren Hilfe sie die Ochsen-Vermarktung im alten Regensburg beleuchtet. "Der Spürsinn der Kaufleute und Metzger für das internationale Geschäft, ihr zuweilen geradezu abenteuerlicher Wagemut und ihre logistischen Meisterleistungen ließen mich nicht mehr los", schreibt sie im Vorwort ihres Buchs.

Unabdingbar war ein verzweigtes Wegenetz, auf dem die Steppenochsen in den Westen getrieben wurden. Malcher vergleicht diese Trecks mit jenen der Cowboys im Wilden Westen Amerikas. "Ähnlich ging es bereits vor 700 Jahre in unseren Breiten zu." Für große Herden um die 500 Stück brauchte es etwa zehn Viehtreiber. Die Straßen der Kaufleute, Heere und Postkutschen aber waren für sie aus gutem Grunde tabu. Die schwerfälligen Herden hätten den Verkehr aufgehalten und die eh schon rumpeligen Straßen beschädigt. Sie suchten sich deshalb eigene Wege und zwar dort, wo es Wasser und Weide gab, wo die Tiere Flüsse durchqueren oder am leichtesten Tore, Brücken und Mautstellen passieren konnten.

Nur die grauen Steppenrinder hielten solche Strapazen aus. Phasenweise deckten sie fast den gesamten mitteleuropäischen Bedarf. Ein Nürnberger Dokument vermerkt anno 1518, ganz Deutschland werde von Ungarn mit Fleisch gespeist.

Viele Namen erinnern an den "Oxenweg" von früher

Laut Malcher verliefen die Viehtriebe von Wien nach Regensburg und Straubing auf zwei großen Bahnen: südlich der Donau über Schärding, Ortenburg, Aidenbach, Niederpöring, Wallersdorf und Straubing nach Regensburg. Eine zweite Strecke führt nördlich der Donau von Wien über Krems, Linz, Deggendorf und Straubing nach Regensburg. Die meisten Triebwege nach Süddeutschland aber erstreckten sich zunächst an der Donau entlang zur Grenzstadt Schärding. Von dort aus führten auch zwei Wege in die Handelsstadt Augsburg: einer über das Dachauer Land, ein zweiter über das Schrobenhausener Land.

Um eine Verwechslung mit dem touristisch vermarkteten Ochsenweg in Schleswig-Holstein und Dänemark zu vermeiden, wird in Bayern die historisch verbürgte Schreibweise "Oxenweg" verwendet. Auf den Fluren finden sich viele Hinweise auf die Triebwege: etwa Flurnamen wie Ochsenacker und Ortsnamen wie Ochsenberg, Ochsenwalde und Ochsenbergweg.

Aber selbst in Ungarn, wo einst Millionen Rinder weideten, folgte nach der Technisierung der Landwirtschaft der Niedergang der Grauochsen. Mitte der 1960er-Jahre gab es nur noch 200 Kühe und sechs Stiere. Erst 1989 schlossen sich einige Züchter zusammen, um die Graurinder zu erhalten. Heute gibt es in Ungarn wieder 2000 Tiere. Ihre langfristige Zukunft ist zumindest in der Rinder-Genbank gesichert.

Gudrun J. Malcher, Die Oxen-Connection, Dr. Peter Morsbach Verlag, 25 Euro.

© SZ vom 10.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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