Dutzende Kameradschaftshorden, gewaltbereite Skinheads und rechtsradikale Parteien tummeln sich in Bayern. Das ist seit Jahren bekannt, darüber diskutiert wurde bisher kaum. Seitdem die Attentatsserie der rechtsextremen Terrorzelle aus Zwickau bekannt geworden ist, streiten jedoch Regierung und Opposition heftig über den Umgang mit der Neonaziszene.
Graphik: Rechtsextreme in Bayern.
(Foto: SZ Graphik)Zwar hat der Verfassungsschutz "keinerlei Erkenntnisse", dass bayerische Neonazis, wie etwa der verurteilte Rechtsterrorist Martin Wiese, Kontakt zu den Zwickauer Tätern hatten. Ungeklärt bleibt aber trotzdem, warum fünf der mutmaßlich zehn Morde in Bayern verübt wurden.
Die SPD und vor allem die Grünen werfen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) deshalb vor, auf dem rechten Auge blind gewesen zu sein. Das wies Herrmann empört zurück. Am Freitag ging der Streit weiter: Der Experte der Landtags-Grünen für Rechtsextremismus, Sepp Dürr, sprach von "Versagen der Staatsregierung". Dürr: "Die Terrorgefahr von rechts wurde durch die Ermittlungsbehörden und weite Teile der Politik systematisch unterschätzt." Es sei auch "unverantwortlich" von Herrmann, die Schuld ausschließlich nach Thüringen zu schieben. Schon seit dem Mauerfall gebe es enge Kontakte zwischen Neonazis in Thüringen und Bayern, auch der Gründer der Wehrsportgruppe Hoffmann sei aus Bayern nach Thüringen übersiedelt.
Herrmann hat bereits angekündigt, den Druck auf aktive Nazigruppen zu verstärken. Aufmärsche wie der vom vergangenen Wochenende beim Totengedenktag in Wunsiedel seien unerträglich, meinte Herrmann. Das gelte auch für das Auftreten des Rechtsterroristen Wiese.
Wie Herrmann ansonsten den Druck erhöhen möchte, ist noch weitgehend unklar. Dass etwa der Einsatz von V-Leuten in der Szene verstärkt wird, gilt als unwahrscheinlich, da dieser Tage eine lebhafte Debatte über den Nutzen der "Undercover-Spürnasen" geführt wird. Wie viele V-Leute der bayerische Verfassungsschutz derzeit abschöpft, ist geheim: "Dazu machen wir prinzipiell keine Angaben", heißt es lapidar aus der Behörde. Allerdings: Dem geplanten Attentat auf die Grundsteinlegung des jüdischen Zentrums in München kamen die Ermittler 2003 durch einen V-Mann und eine Wanze auf die Spur.
Herrmanns Parteifreund, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, ist einen Schritt weiter. Er forderte Mitte der Woche ein Neonazi-Register für Deutschland. In einer Kartei sollen sämtliche Rechtsextremisten verzeichnet werden. Alleine aus Bayern müssten dann rund 1000 Rechtsextreme aufgenommen werden. Der Verfassungsschutz geht von etwa 700 gewaltbereiten Neonazis und 300 rechtsextremen Skinheads aus.
Als eine der aktivsten und gefährlichsten Neonazi-Vereinigungen in Bayern stuft der Verfassungsschutz das "Freie Netz Süd" ein. Der Zusammenschluss einiger Kameradschaften ist vor allem in Franken und der Oberpfalz aktiv. Immer häufiger dehnt sich das Netz jedoch nach Oberbayern aus. Gute Kontakte bestehen offenbar auch nach Ungarn und Ostdeutschland. Zu den Akteuren des Netzes gehören unter anderem der Fürther Matthias F., der erst vor kurzem aus dem Gefängnis entlassen wurde und Tony G. aus Töpen/Hof, der seit April eine Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung und Beleidigung absitzt.
Die bayerische SPD verlangt vom Innenminister, das "Freie Netz Süd" zu verbieten. Doch was bringt es, ein Netzwerk zu verbieten, wenn die darin organisierten Kameradschaften bestehen bleiben? Die einzelnen Kameradschaften zu verbieten dürfte schwierig werden - zumal einige Aktivisten in mehreren Gruppierungen aktiv sind.