Naturschutz:Rückkehr der Bartgeier

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Der Vogelschutzbund will den aasfressenden Vogel wieder in den bayerischen Alpen ansiedeln. Dafür muss das Image des Tieres verbessert werden

Von Christian Sebald

Wenn demnächst in den Oberstdorfer Bergen das Wetter besser wird, kann man mit ein wenig Glück einen Geier beobachten, wie er hoch oben in der Luft seine Kreise zieht. Sowohl der Geier selbst als auch sein Flug sind etwas ganz Besonderes. Es handelt sich um Fortuna, ein vierjähriges Bartgeier-Männchen aus dem österreichischen Nationalpark Hohe Tauern, dem größten Schutzgebiet in den Alpen. Fortuna hält sich inzwischen regelmäßig im Winter und im Frühjahr in der Bergwelt rund um Oberstdorf auf. Seine Ausflüge über dem Großen Krottenkopf, dem Hochvogel, dem Großen Daumen und anderen Gipfeln sind ein spektakulärer Anblick. Denn mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,90 Metern zählen Bartgeier zu den größten Greifvögeln weltweit, sie gleiten majestätisch durch die Luft.

Aus der Nähe sehen Bartgeier freilich fast ein wenig furchterregend aus. Nicht nur wegen ihrer imposanten Größe, den rötlichen Brustfedern und dem hellen Kopf. Sondern vor allem wegen ihres hakenförmigen Schnabels und den schwarzen Federn, die borstenartig über ihn nach unten abstehen. "Dabei sind Bartgeier völlig harmlose und ungefährliche Tiere", sagt Henning Werth. Der Biologe aus Sonthofen arbeitet für den Landesbund für Vogelschutz und kennt Flora und Fauna in der Gegend um Oberstdorf so gut wie kaum ein zweiter. "Bartgeier fressen ausschließlich Aas und sind keinerlei Gefahr für Menschen und Nutztiere."

Einst waren Bartgeier weit verbreitet in den Alpen. Doch den Aasfressern haftete seit jeher der Irrglauben an, sie seien auf Nutztiere und sogar Kleinkinder aus. Der Gelehrte Gotthilf Heinrich von Schubert schrieb im 19. Jahrhundert in einem Lehrbuch für Naturgeschichte: "Er (der Bartgeier Anm. d. Red) "besitzt eine ungeheure Muskelstärke, sodass er mit Leichtigkeit Lämmer, Ziegen, selbst Kinder in den Krallen von einem Berge zum anderen trägt." Deshalb wurden Bartgeier gnadenlos gejagt. 1906 wurde in Österreich der letzte abgeschossen, kurz darauf wurde die Population im italienischen Aostatal ausgerottet.

Der Bartgeier (Gypaetus barbatus), auch Lämmergeier genannt, stand lange im Ruf, es auf Nutztiere und sogar Kleinkinder abgesehen zu haben. Doch der imposante Vogel frisst ausschließlich Aas. (Foto: imago)

Erst in den 1980ern wagte man eine Wiederansiedlung der Tiere. Der Alpenzoo in Innsbruck spielte dabei eine gewichtige Rolle. Dort züchtete man wieder Bartgeier heran, die dann 1986 im Nationalpark Hohe Tauern ausgewildert wurden. In den Jahren darauf folgten Freilassungen im Mont-Blanc-Gebiet und am Ortler in Südtirol. Die Projekte waren durchaus erfolgreich. "Inzwischen leben wieder 220 Bartgeier in den Alpen", sagt Werth, der schon seit Langem mit den Aasfressen beschäftigt. "Wir wissen von 57 Revieren, vergangenes Jahr sind 30 Jungvögel flügge geworden."

So wie der Nationalpark Hohe Tauern, der Ortler und das Mont-Blanc-Gebiet sind auch die Allgäuer Hochalpen ein attraktiver Lebensraum für Bartgeier. Nicht nur Fortuna schaut regelmäßig für Monate aus dem Nationalpark Hohe Tauern herüber. Im wenige Kilometer Luftlinie entfernten Tiroler Lechtal hält sich ein weiterer, dreijähriger Bartgeier auf. Außerdem wurde dort vor Kurzem ein Alttier beobachtet. "Die Geier finden hier bei uns einen reich gedeckten Tisch, gerade jetzt im Frühjahr, wenn in den Bergen die Schneemassen schmelzen und Kadaver von Gämsen, Hirschen und anderen Wildtieren freigeben, die im Winter in Lawinen geraten sind", sagt Werth. "Ausreichend Fressen ist die allererste Voraussetzung dafür, dass sich Geier in einer Region wohlfühlen." Und das tun sie, wie die immer häufigeren Beobachtungen der letzten Jahre zeigen.

Geier-Experte Henning Werth. (Foto: oh)

Im LBV hält man es für durchaus möglich, dass sich über kurz oder lang Bartgeier wieder fest in den Allgäuer Hochalpen ansiedeln. Deshalb arbeitet der Naturschutzverband gerade an einer Machbarkeitsstudie. Ein Aspekt ist, wie die Bevölkerung in Bayern zu den Greifvögeln steht. Der LBV hat dazu eine Online-Umfrage gestartet. In ihr fragt der Vogelschutzbund die Teilnehmer etwa danach, ob sie Geier attraktiv finden, ob sie Auswilderungen unterstützen würden und ob sie es für sinnvoll halten, spezielle Futterplätze für die Aasfresser anzulegen.

Denn so wie die Rückkehr von Wolf und Luchs ist auch die Wiederausbreitung von Geiern umstritten. Immer wieder stellen Wilderer den Greifvögeln nach - mit Giftködern und mit Schusswaffen. Erst vor Kurzem ist in Vorarlberg - kurz hinter der deutsch-österreichischen Grenze - ein Gänsegeier illegal abgeschossen worden. Gänsegeier sind ebenfalls Aasfresser, sie kommen hauptsächlich in Spanien vor. Junge Gänsegeier unternehmen weite Ausflüge - in Gruppen bis zu 20 Stück und bis nach Norddeutschland. Dabei überfliegen sie das Allgäu.

Info: www.lbv.de/umfrage-geier

© SZ vom 29.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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