Nachtverkauf an Tankstellen:Haderthauers Biergipfel

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Wenn die Geschäfte geschlossen haben, bleibt Hungrigen und Durstigen nur der Weg zur Tankstelle. Doch die dürfen nach 20 Uhr nur Proviant und Alkohol an Reisende verkaufen. In Bayern befürchten viele Menschen, spätabends auf dem Trockenen zu sitzen. Sozialministerin Haderthauer muss nun einen Tankstellen-Gipfel einberufen. Doch das Problem könnte relativ leicht gelöst werden.

Frank Müller und Maximilian Zierer

Zwei Tankstellenverbände haben sich bereits verpflichtet, nach 22 Uhr keinen Alkohol mehr zu verkaufen - die Konkurrenz reagierte argwöhnisch. (Foto: Catherina Hess)

Der entscheidende Satz ist wohl der letzte: "In jedem Fall hat der Vollzug des Bundesladenschlussgesetzes in Bayern, wie jedes Verwaltungshandeln, verhältnismäßig und lebensnah zu geschehen", schrieb das Sozialministerium von Christine Haderthauer (CSU) dieser Tage an alle Gemeinden, Landratsämter und Bezirksregierungen. "In jedem Fall." "Verhältnismäßig und lebensnah." "Wie jedes Verwaltungshandeln."

Zweifel daran, dass es an Bayerns Tankstellen derzeit lebensnah zugeht, waren nämlich zum Verdruss von Haderthauer aufgekommen - und ihr Chef, Ministerpräsident Horst Seehofer, nährte sie genüsslich. Seitdem Haderthauer im Mai sogenannte "Vollzugshinweise zur Abgabe von Alkohol als Reisebedarf an Tankstellen" erlassen hatte, war der Spott in Bayern groß: Alkohol dürfte es noch für den geben, der mit dem Auto kommt. Fußgänger und Fahrradfahrer, diejenigen also, denen man ein Bier zu viel noch eher verzeiht, sollten leer ausgehen.

Es gab Tankstellen, an denen dies in der Tat überprüft wurde - seitdem knirscht es allerorten. Haderthauer musste nicht nur ihren Vollzugshinweisen das klärende Rundschreiben hinterherschicken. Mit einer neuen Anordnung will sie nun endlich zum Befreiungsschlag ausholen.

Das Papier ist noch nicht veröffentlicht, Seehofer selbst hatte sich vorbehalten, über alle weiteren Schritte vorab informiert zu werden. Sie will nun, dass nicht mehr zwischen verschiedenen Kundengruppen unterschieden wird und legt den Tankstellen zudem nahe, freiwillig auf nächtlichen Alkoholausschank zu verzichten.

Längst schon beobachten das Tankstellenproblem auch die Regierungsfraktionen argwöhnisch. Am Freitagabend setzten die Bündnisspitzen unter Federführung Seehofers durch, dass Haderthauer nun einen Tankstellengipfel mit allen relevanten Verbänden einberufen muss - und mit Experten aus CSU- und FDP-Fraktion.

Haderthauer verweist darauf, sie habe mit allen Interessengruppen Kontakt, man sei "auf einem guten Weg". Zuvor hatten sich zwei Tankstellenverbände verpflichtet, von 22 Uhr an keinen Alkohol mehr zu verkaufen (was Konkurrenzverbände allerdings argwöhnisch zur Kenntnis nahmen).

Nicht nur der Ministerpräsident fühlte sich durch all die Absurditäten an Karl Valentin erinnert. Den dem Humor stets zugänglichen CSU-Chef amüsierte der Fall sogar derart, dass sein Donnerwetter für das Sozialministerium zu einem mittleren Herbststurm heruntergestuft wurde.

Dabei hatte das Durcheinander Seehofer durchaus erbost: Er mag es überhaupt nicht, wenn die Regierung gegen den gesunden Menschenverstand handelt und das zunächst auch noch ohne Rücksprache mit den Betroffenen, also den Tankstellenpächtern, wie Seehofer seiner Ministerin vorwarf. Und das ein Jahr vor der Wahl. "Im Wahlkampf zählt jeder Fehler doppelt", rechnete Seehofer vor. Auch deshalb legte das Sozialministerium in seinem Rundbrief so viel Wert auf lebensnahes Verwaltungshandeln.

Dabei ist der Fall kompliziert: Einerseits sollen die Menschen in Bayern sich an Tankstellen durchaus etwas zu essen oder zu trinken für den schnellen spätabendlichen Bedarf besorgen dürfen. Andererseits mahnen Suchtexperten, Tankstellen hätten sich mangels Alternativen längst zu Zentren des Jugendalkoholismus entwickelt. Deshalb ergäbe es durchaus Sinn, Alkohol kontrollierter abzugeben.

Hauptgrund für das Hin und Her ist das Ladenschlussgesetz. Denn obwohl es beim Verkaufsstopp vorrangig um den Jugendschutz geht, wird der Verkauf von Alkohol an Tankstellen in Bayern nicht über Jugendschutzgesetze, sondern über den Ladenschluss geregelt. Der ist zwar seit der Föderalismusreform 2006 Ländersache, doch der Freistaat hat als einziges Bundesland noch kein eigenes Ladenschlussgesetz verabschiedet.

Deshalb gilt nach wie vor das alte Bundesgesetz. Tankstellen haben darin eine Sonderstellung: Sie dürfen rund um die Uhr geöffnet haben, allerdings dürfen dort während der allgemeinen Ladenschlusszeiten, also zwischen 20 und sechs Uhr, nur Kraftstoffe, Ersatzteile und Reisebedarf verkauft werden.

Der Reisebedarf wird im Gesetz definiert: Zeitungen gehören dazu, Straßenkarten, Schreibmaterialien, Tabakwaren, Schnittblumen, Filme, Tonträger und noch ein paar Dinge mehr. Bei Lebens- und Genussmitteln, und dazu gehört Alkohol, bleibt der Gesetzgeber aber schwammig: Kleinere Mengen sind erlaubt, wie viel genau, bleibt jedoch offen.

Präzisiert hat dies erst ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. In diesem wurde die Höchstmenge alkoholischer Getränke definiert, die als Reisebedarf gilt, zum Beispiel zwei Liter Bier, ein Liter Wein oder 0,1 Liter Schnaps. Wer ein Reisender ist, stellte das Gericht auch fest: Kraftfahrer und deren Mitfahrer. Im Umkehrschluss heißt das: Fußgänger und Radfahrer sind Nichtreisende, sie dürfen nach 20 Uhr nicht bedient werden - daran lehnte sich Haderthauers Vorgehen an.

Bayern hätte es relativ leicht, das Dilemma zu lösen: Der Freistaat müsste nur ein eigenes Ladenschlussgesetz erlassen. Eine entsprechende liberale Reform fordert die FDP seit Jahren vehement, doch der CSU steckt noch ein internes Abstimmungsdebakel von 2006 in den Knochen.

Damals gab es in der Fraktion ein Patt von 51 zu 51, also den Eindruck totaler Zerrissenheit. Er wolle doch kein neues 51:51-Ergebnis, sagte CSU-Fraktionschef Georg Schmid beim Koalitionsausschuss am Freitag, wie Teilnehmer später berichteten. Da musste er sich von seinem FDP-Pendant Thomas Hacker belehren lassen: So viele Abgeordnete habe die CSU-Fraktion ja gar nicht mehr.

Wann gilt das Verkaufsverbot an Tankstellen - und für wen? Die wichtigsten Fragen und Antworten finden Sie hier.

© SZ vom 08.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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