Nach Versetzung von Pfarrer:Demo gegen "totale Autorität"

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Er soll einer ehemaligen Mitarbeiterin ermöglicht haben, Geld zu unterschlagen - deshalb muss der Pfarrer von Ruhstorf gehen. Die Gemeinde ist von der Entscheidung ihres Bischofs wenig begeistert. Wie groß die Wut gegen Wilhelm Schraml ist, bekommt auch die bistumseigene Brauerei zu spüren.

Wolfgang Wittl

Der Ruhstorfer Pfarrer Andreas Artinger hatte reichlich zu tun am Sonntag, doch so leer wie diesmal fand er seine Kirche schon lange nicht mehr vor. Als Artinger den Gottesdienst um 10 Uhr eröffnete, traf ein großer Teil seiner Herde gerade mit dem Zug in Passau ein.

Mit Transparenten demonstrieren die Ruhstorfer gegen den Passauer Bischof Schraml. (Foto: dapd)

Als er später eine Taufe zelebrierte, stand seine Gemeinde vor dem Stephansdom, reckte Transparente in die Höhe und erhob die Stimme gegen die Bistumsleitung. Schlimm und ungerecht sei das, wie Bischof Wilhelm Schraml mit ihrem Pfarrer umspringe, sagte ein jeder, aber alleine um den Fall Artinger gehe es längst nicht mehr: vielmehr um Machtspielchen, derer man überdrüssig sei, um mangelnden Reformwillen und die Geringschätzung engagierter Laien.

Der heilige Zorn der Katholiken - nun ist er also auch im Herzen der Diözese Passau angekommen.

Es waren bei weitem nicht nur kritische Christen aus der Marktgemeinde Ruhstorf, die sich um 10.30 Uhr in der Brunngasse einfanden. 200 Teilnehmer hatten die Initiatoren der Demonstration angemeldet, auf 300 habe man gehofft, sagte ihr Sprecher Thomas Lauber.

Letztlich kamen mehr als 500, die den Weg zum Dom einschlugen. Artinger habe ausdrücklich gebeten, nicht Gegenstand der Veranstaltung zu sein, berichtete Lauber, und auch davon, dass die Diözese dem Pfarrer gedroht habe, ihn "für unsere Maßnahmen büßen zu lassen. Doch wir lassen uns nicht einschüchtern".

Nach Gebet und Gesang versiegelten die Demonstranten ihre Lippen mit schwarzen Klebestreifen, als Symbol, dass ihnen der Mund verboten werde. So ging es weiter zum Dom, wo Fürbitten für eine Modernisierung der Kirche und gegen "totale Autorität" vorgetragen wurden.

In zwei Zeitungsanzeigen und in den neuen Medien warben die Veranstalter um Teilnahme. Eine Gruppe in Facebook, die sich für das Bleiben Artingers in Ruhstorf einsetzt, zählte nach wenigen Tagen bereits eineinhalbtausend Unterstützer.

Geholfen hat es nichts, noch vor der Demonstration schuf das Bistum Fakten: Am Freitag wurde bekannt, dass Artinger, 53, als Seelsorger ins 80 Kilometer entfernte Dekanat Regen versetzt wird. Seine Nachfolge zum 1. November tritt Josef Tiefenböck an, der bisherige Dekan aus Hauzenberg. Das Bistum bestätigte am Sonntag beide Personalien. "Der profilierte Geistliche" Tiefenböck habe 16 Jahre lang den größten Pfarrverband im Bistum Passau "mit Umsicht geleitet" und sich persönlich um die Stelle in Ruhstorf beworben, hieß es.

Nach SZ-Informationen hat der 51-Jährige, der in Hauzenberg sehr geschätzt wird, indes zuerst eine herzliche Ermunterung des Bischofs erhalten. Die erste Ausschreibung soll ohne Rückmeldung geblieben sein.

Dass die Ruhstorfer den Abzug ihres Pfarrers nicht verhindern können, war ihnen seit längerem bewusst. Darum gehe es aber nicht mehr, wie Wolfram Hatz sagt. Der Unternehmer ist einer der führenden Kritiker des Passauer Bischofs. Vor zwei Jahren gründete er die Gemeinschaft "Besorgter Christen", die nun die Demonstration organisierte. Es sei an der Zeit, Zeichen gegen willkürliche Machtausübung zu setzen, sagt Hatz.

Nachdem das Ordinariat ihrem beliebten Pfarrer eine "hohe kriminelle Energie" attestiert hatte, während es anderen Geistlichen bei Missbrauchsfällen lediglich "Verfehlungen" bescheinigt hatte, war es um den Frieden in der Pfarrei endgültig geschehen. Artinger hatte vor Wochen einen Strafbefehl wegen Beihilfe zur Untreue bekommen, weil er einer ehemaligen Mitarbeiterin des Jugendbüros ermöglicht hatte, Geld zu unterschlagen. Die Staatsanwaltschaft bescheinigte ihm, sich nicht persönlich bereichert zu haben.

Dass der Vorfall geahndet werden musste, sei verständlich, sagte Hatz. Dass das Ordinariat aber keinerlei Kompromissbereitschaft zeigte, etwa eine zeitlich begrenzte Versetzung Artingers, verstörte die Ruhstorfer. Seitdem argwöhnen sie, dass der Bischof nur auf diesen Anlass gewartet habe, ihren fortschrittlichen Pfarrer zu maßregeln.

Hatz ist überzeugt: Solche Ereignisse lassen das Frustpotenzial im vermeintlich stabilsten deutschen Bistum weiter wachsen. Fast 90 Prozent der Bevölkerung hier sind katholisch, doch wie auch in anderen bayerischen Diözesen geht die Zahl der Gläubigen in Passau rapide zurück: Die Schwelle von 500.000 ist inzwischen deutlich unterschritten.

Die Kirche dürfte es zudem mit Sorge erfüllen, wenn Katholiken nicht nur in Städten wie zuletzt in Augsburg, sondern nun auch im ländlich geprägten Südosten aufbegehren. Die letzte Rebellion gegen einen Bischof soll Passau vor ungefähr 600 Jahren erlebt haben. Damals erhielten die um Unabhängigkeit kämpfenden Gläubigen Kanonenkugeln als Antwort.

Etwas diskreter, aber ähnlich erfolglos, schaltete sich unter der Woche Generalvikar Klaus Metzl ein. Man müsse Zusammenhalt vorleben, dann könne es in dieser Debatte auch Gewinner geben, schrieb er an Hatz. Dessen Antwort fiel zwar nicht so geharnischt aus wie in jenem öffentlichen Brief, in dem er dem Bischof vorsätzliche Gnadenlosigkeit und totales Versagen vorwarf, dafür ebenso abweisend. Metzl warf am Sonntag kurz einen Blick auf den Domplatz, eine Stellungnahme gab es nicht

Der Protest dürfte die Diözese noch eine Weile begleiten. Jeden Sonntag wird in Ruhstorf ein neues Transparent gegen die Bistumsleitung aufgehängt - das erste Foto bekommt am Abend zuvor stets der Bischof zugemailt. Die Ruhstorfer Kirchenverwaltung wird zu Artingers Abschied am 1. September komplett zurücktreten, mehr als die Hälfte der 54 Ministranten will danach nicht mehr weitermachen.

Und, kein Witz: Die im Bistumsbesitz befindliche Brauerei Hacklberg verzeichnet nach Auskunft örtlicher Getränkehändler bereits erhebliche Umsatzeinbußen. Erst der furchtbare Umgang mit ihrem Pfarrer habe ihnen die Kraft gegeben, für grundsätzliche Reformen zu streiten, sagten Demonstranten. "Und wenn die Hauzenberger nicht blöd sind, werden sie sich selbst bald hier beschweren, dass ihnen ihr Pfarrer genommen wird", ergänzte Wolfram Hatz.

© SZ vom 23.07.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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