Nach Übergriffen:Augenmerk auf Amberg

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Seit vier junge Flüchtlinge offenbar willkürlich Leute verprügelten, droht die Stadt zum Schauplatz einer neuen Flüchtlingsdebatte zu werden. Die CSU verspricht Konsequenzen, die AfD schürt Ängste, die NPD schickt eine vermeintliche Bürgerwehr. Und der OB versucht sich als Diplomat

Von Camilla Kohrs und Johann Osel

Wie seine Stadt befindet sich der Oberbürgermeister im Ausnahmezustand, Michael Cerny ist ein gefragter Mann. Selbst seine Mitarbeiterin in der Amberger Stadtverwaltung weiß am Donnerstag zuweilen nicht, wo er sich aufhält, angesichts all der Interviews, Anfragen, Gespräche. Wenn der CSU-Politiker Cerny bisher mit überregionalen Medien zu tun hatte, dann ging es meist um die einst arme Oberpfalz, die heute mit moderner Wirtschaft und geringer Arbeitslosenquote glänzt. Oder um das besondere Museum, das sich Kunst und Kultur der Luft widmet. Jetzt aber steht Amberg bundesweit im Rampenlicht, seit jenem letzten Samstag des Jahres 2018, als vier junge Flüchtlinge prügelnd durch die Stadt zogen. Vom "Schock" über die Gewalt der Männer, die nicht aus Amberg stammten, spricht Cerny, und davon, dass "diese Idioten" allen friedlichen Asylbewerbern "einen Bärendienst erwiesen" hätten. Die Justiz solle nun mit angemessener Härte reagieren - ohne dass Migranten generell als Gewalttäter verurteilt werden. Das sieht freilich nicht jeder derart diplomatisch.

"Alles schaut nach Amberg", so titelte die örtliche Mittelbayerische Zeitung. Und mittlerweile sind auch fast alle da in der 44 000-Einwohner-Stadt, nicht nur Reporter und Kamerateams: Für Donnerstagnachmittag kündigt sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) an, AfD-Landtagsabgeordnete kommen zur Visite. Und es tauchen Bilder der NPD Nürnberg im Internet auf, die rechtsextremistische Partei hat völkische Beobachter nach Amberg entsandt: Die Männer sollen angeblich als Bürgerwehr für Sicherheit sorgen. Die sozialen Netzwerke glühen, Amberg gilt nicht mehr als die beschauliche Stadt, die sie ist; sondern ist zum Hashtag geworden, droht Schauplatz einer neuen grundsätzlichen Flüchtlingsdebatte zu werden.

Amberg ist bekannt für seine mittelalterliche Altstadt. Dafür interessieren sich zurzeit aber die wenigsten Besucher, Politiker und Journalisten kommen wegen der prügelnden Asylbewerber, die der Stadt überregionale Aufmerksamkeit bescherten. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Nach den Angriffen auf Passanten sitzen die Tatverdächtigen mittlerweile in Untersuchungshaft. Gegen die vier jungen Männer - aus Afghanistan und Iran, im Alter von 17 bis 19 Jahren - wird unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Die Kripo Amberg steckt mitten in den "Nachermittlungen", sie befragt Zeugen und Opfer, rekonstruiert die "Dynamik" des Tathergangs und den Fluchtweg. Die Männer hatten unter Alkoholeinfluss und offenbar grundlos zwölf Menschen attackiert und verletzt, überwiegend leicht, doch ein 17-Jähriger musste mit einer Kopfverletzung stationär ins Krankenhaus. Die Angreifer begannen die Prügeltour am Bahnhof, konnten zunächst fliehen, wurden zwei Stunden später festgenommen.

Innenminister Herrmann versprach neben einer harten Bestrafung durch die zuständigen Gerichte "klare Konsequenzen auch für den Aufenthalt der vier Täter in Deutschland". Gleichwohl musste er einräumen, dass eine Abschiebung in keinem der Fälle rechtlich möglich sei, zumindest aktuell nicht. Der Tatverdächtige aus Iran, ein Volljähriger, wäre ausreisepflichtig, Rückführungen scheiterten allerdings an fehlenden Passpapieren. Bei den anderen stehen die Minderjährigkeit oder ein laufendes Asyl- beziehungsweise Klageverfahren im Wege. Herrmann will die Verfahren beschleunigen, den Vorstoß von Bundesinnenminister Horst Seehofer für eine weitere Verschärfung der Gesetze zur Ausweisung von Straftätern begrüßte er. "Jeder Straftäter, den wir zusätzlich abschieben können, ist ein Sicherheitsgewinn für unser Land." Parteifreunde sekundierten, so CSU-Generalsekretär Markus Blume: "Wir müssen den Menschen die Sicherheit geben, dass sie sich darauf verlassen können, dass es in Deutschland einen wehrhaften, einen konsequenten Rechtsstaat gibt." Die CSU, deren Landesgruppe im Bundestag am Donnerstag zur Klausur in Kloster Seeon eintraf, will ihren Ruf als Partei für Recht und Ordnung verteidigen.

Ambergs Oberbürgermeister Michael Cerny spricht von einem "Schock", warnt aber vor Überreaktionen. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Wohl auch gegen die AfD, die nach der Deutungshoheit greift. Fraktionschefin Katrin Ebner-Steiner war am Donnerstag mit Kollegen in Amberg, um sich nach den "Hetzjagden", wie sie es nennt, ein Bild von der Lage zu machen und mit Bürgern zu reden. Sie forderte die "unverzügliche Abschiebung" der Tatverdächtigen und ebenfalls Rechtsverschärfungen. Der Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer, Wahlkreis Amberg-Neumarkt, machte "willkommensbesoffene Politiker" verantwortlich für die Tat, OB Cerny warf er "Verharmlosung" vor. Manche Stimmen im AfD-Kosmos sehen Amberg als eine Art "bayerisches Kandel". In dem Ort in Rheinland-Pfalz, wo vor einem Jahr ein junger Flüchtling ein 15-jähriges Mädchen erstochen hat, finden bis heute Demonstrationen gegen die Migrationspolitik statt. Auch bei der Polizei in Amberg war die AfD-Gruppe zu Gast und ließ sich die Kriminalstatistik erläutern. Die habe "keine besonderen Ausreißer", so Ebner-Steiner. "Das zeigt, dass das in jeder idyllischen Stadt hätte passieren können". Besorgniserregend sei die "neue Dimension", Unbeteiligte würden nunmehr aus heiterem Himmel attackiert.

Die Beamten beschäftigten sich am Donnerstag auch mit der vermeintlichen Bürgerwehr. Auf Facebook-Bildern der NPD sind vier Männer zu sehen, ein älterer, ein jüngerer, zwei beleibtere Herren mittleren Alters. Sie stapfen durch regennasse Altstadtgassen, tragen Westen mit der Aufschrift "Wir schaffen Schutzzonen" und einem runenähnlichen Symbol. Selbst in Amberg sei "man nicht vor Merkels Goldstücken sicher", heißt es: "Goldstücke", das ist in Neonazi-, aber auch AfD-Kreisen gängiger Schmähbegriff für Flüchtlinge, er bezieht sich darauf, dass der einstige SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz angeblich gesagt hat, Flüchtlinge seien wertvoller als Gold. Dass das Zitat so nicht zutreffend ist, interessiert da keinen. Auf Verbrechen stoßen die selbst ernannten Beschützer des Volkskörpers nicht, nur bei der Patrouille vorm örtlichen Asylbewerberheim registriert man: "Einer von den Flüchtlingen beobachtet uns die ganze Zeit aus dem Fenster." Ob es sich um eine Kampagne der NPD oder eine echte Bürgerwehr handelt, kann die Polizei nicht abschließend bewerten, von Augenzeugen gesehen wurden die Männer noch nicht. Das Muster aber wäre ein bekanntes: Der Verfassungsschutz beobachtet etwa die Bürgerwehr "Soldiers of Odin", in Würzburg, Regensburg oder München lief diese Streife, um nach eigener Aussage "die Straßen für unsere Frauen und Kinder wieder sicher machen"; denn der Staat könne die Bürger nicht schützen.

Diese Aktion in Amberg habe jedenfalls das Ziel, die Bevölkerung zu verunsichern, mahnt die Polizei. Die Sicherheitslage in der Stadt sei aber gut, trotz des Vorfalls, und es gebe genügend Polizisten: "Wir dulden keine rechtsfreien Räume, Schutzzonen oder ähnliche Aktionen." Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sagte: Er verurteile die Straftaten, aber auch, "dass jetzt bestimmte rechtsextreme Gruppen versuchen, das zu missbrauchen". Es gebe keinen Anlass für eine neue Grundsatzdebatte zum Asylrecht. Der bayerische Flüchtlingsrat warf indes auch der CSU vor, "aus dem Vorfall politisches Kapital zu schlagen". Die Gesetze seien bereits ausreichend. Der Schrei nach Abschiebungen erinnere an das "Ausländer-Raus-Geschrei, was wir von NPD und AfD kennen". Und wären das, so ein Sprecher, deutsche Jugendliche gewesen, "dann wüssten wir vermutlich von diesem Vorfall überhaupt nicht".

© SZ vom 04.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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