Mysteriöser Todesfall:Falsche Geständnisse, warum?

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Tat gestanden, die nie begangen wurde: Im Wiederaufnahmeverfahren um den tot aus der Donau gezogenen Landwirt Rudi R. sind auch die Ermittler aus dem ersten Prozess ins Zwielicht geraten.

Hans Holzhaider

Warum gestehen Menschen die abscheulichsten Taten, die sie in Wirklichkeit nie begangen haben? Der Maurer Matthias E., 27, hat gestanden, den Landwirt Rudolf R. erschlagen zu haben, danach habe er die Leiche zerstückelt und Teile davon an die Hofhunde verfüttert. Andrea und Manuela R., die Töchter des Bauern, haben das bestätigt: Sie hätten gesehen, wie Matthias E. ihren Vater mit dem Hammer erschlagen habe und wie die Hunde die Leichenteile gefressen hätten.

In diesem Auto wurde die Leiche des Landwirts gefunden - der Körper wies keine Spuren von Gewalteinwirkung auf. (Foto: dpa)

Es steht aber fest, dass nichts davon wahr ist. Vier Jahre, nachdem das Landgericht Ingolstadt Hermine R., die Ehefrau des Landwirts, die beiden Töchter und Matthias E. zu langen Haftstrafen verurteilte, wurde Rudolf R.s Leiche aus der Donau gezogen, und was die Fische davon übrig gelassen hatten, reichte aus, um zweifelsfrei festzustellen: Der Mann war weder mit einem Hammer noch mit sonst irgendetwas erschlagen worden, und ganz sicher war seine Leiche auch nicht zerteilt und den Hunden zum Fraß vorgeworfen worden.

Der Prozess wurde wieder aufgenommen. Das Landgericht Landshut soll jetzt Licht in das geheimnisvolle Geschehen bringen: Was geschah wirklich mit dem Landwirt RudolfR.? Und wie kam es, dass MatthiasE., Andrea und Manuela R. in den Vernehmungen durch die Polizei so grotesk falsche Geständnisse ablegten?

Die erste Frage wird wahrscheinlich nie mehr zufriedenstellend beantwortet werden. Wie Rudolf R. zu Tode kam, konnte der Gerichtsmediziner nicht mehr feststellen. Objektive Beweise für ein Verbrechen gibt es nicht, und die Angeklagten schweigen wie auch schon im ersten Prozess.

So einfach ist das nicht

Aber die entscheidende Frage, wie es zu diesen bizarren Geständnissen kam, sollte sich doch beantworten lassen. Der Staatsanwalt, der damals die Ermittlungen leitete, und die Beamten, die die Vernehmungen führten, stehen jetzt als Zeugen zur Verfügung, und die Protokolle der Vernehmungen kann man nachlesen. Aber es zeigt sich: So einfach ist das nicht. Denn Protokolle enthalten bei weitem nicht alles, was im Laufe einer Vernehmung so alles geschieht, und Vernehmungsbeamte können - oder wollen - sich in der Regel nur an das erinnern, was in den Protokollen steht.

Die Münchner Rechtsanwältin Regina Rick, die Verteidigerin von Manuela R., hat den Verdacht, der sich bei so eklatant falschen Geständnissen unweigerlich aufdrängt, auf den Punkt gebracht: Es sei "denkgesetzlich unmöglich", dass Beschuldigte sich fälschlich so schwerwiegender Taten bezichtigten, wenn sie nicht durch ungesetzliche Vernehmungsmethoden unter Druck gesetzt wurden. Der Ingolstädter Oberstaatsanwalt Christian Veh, damals Ermittlungsleiter, will dagegen "die Hand ins Feuer legen" für seine Beamten. "Druck?" Ihm sei gar nicht ganz klar, was damit gemeint sein könnte, sagte Veh am vorerst letzten Verhandlungstag: "Glühende Zangen vielleicht?"

Nein, glühender Zangen und ähnlicher Folterinstrumente bedurfte es nicht, um den vier Beschuldigten die Angaben zu entlocken, die sich später als offensichtlich unwahr erwiesen.

Aber wie es wirklich war, das hat sich in den Zeugenaussagen der damaligen Ermittlungsbeamten bisher nur ansatzweise abgezeichnet. Es war wohl ein Gemenge aus vorgefassten Meinungen und subtilen Beeinflussungen der Beschuldigten, begünstigt durch deren besondere Persönlichkeitsstruktur: Alle vier haben einen Intelligenzgrad, der weit unter dem Durchschnitt, teilweise nahe am Schwachsinn liegt, sie sind leicht beeinflussbar - sowohl durch Drohgebärden als auch durch scheinbare Freundlichkeit und Fürsorglichkeit.

Rudi R. war im September 2001 verschwunden, aber erst im Januar 2004 ließ Oberstaatsanwalt Christian Veh den Bauernhof im Neuburger Ortsteil Heinrichsheim durchsuchen. Veh bestreitet nicht, dass von Anfang an "die Grundannahme bestand, dass er nach Hause gekommen sein muss und dass ein Gewaltverbrechen passiert ist". Hermine R., die beiden Töchter und Matthias E. werden morgens um sieben aus den Betten geholt und zur Vernehmung gebracht. Sie werden zunächst nur als Zeugen belehrt, also nicht darüber, dass sie das Recht hätten, die Aussage zu verweigern - ein klarer Regelverstoß, denn natürlich stehen sie unter Verdacht.Den ganzen Vormittag über werden die vier vernommen - aber davon steht kein Wort in den Protokollen.

"Informelle Vorgespräche" nennen das die Ermittler. Keiner will sich heute noch daran erinnern, was da besprochen wurde. Nach dreieinhalb Stunden "gesteht" Matthias E., er sei nachts um drei von Manuela geweckt worden, Rudi R. habe an der Kellertreppe auf dem Boden gelegen und noch gezuckt, die Hermine habe ihm vorher "etwas ins Genick gezunden" und dann noch mit einem Brett auf ihn eingeschlagen.

Hermine R. wird mit dieser Aussage konfrontiert, sie gibt daraufhin an, sie habe ihren Mann im Streit geschubst, er sei mit dem Kopf auf eine Steinstufe gefallen. Es sei viel Blut geflossen. Eine Polizistin hält Andrea, der jüngeren Tochter, vor: "Der Papa ist doch heimgekommen." Andrea fragt: "Und was war dann?" Ihr wird vorgehalten, der Vater sei im Laufe eines Familienstreits zu Tode gekommen. Sie sagt, der Vater habe sie begrapscht, sie habe ihn geschubst, er sei mit dem Hinterkopf auf die Türschwelle gefallen. Vorhalt: Die Mutter habe es anders erzählt. Sogleich bestätigt Andrea die Version der Mutter. Matthias E. wird gefragt, was mit der Leiche passiert sei. Er weiß es nicht. "Hat die Hermine was Schlimmes mit der Leiche gemacht?", wird er gefragt. Er bestätigt: "Sie hat ihn auseinandergeschnitten."

Und so geht das hin und her, es entwickeln sich die verschiedenen Versionen der Tat und der Beseitigung der Leiche. Die Leiche sei in einem Weiher versenkt worden. Aber wo? Die Angaben unterscheiden sich - mal dieser, mal jener Weiher. Wochenlang wird gesucht, kein Auto, keine Leiche. Das Auto sei zu einem Schrotthändler gebracht worden, der es in seiner Metallpresse entsorgt habe. Der Schrotthändler wird vernommen, er bestreitet alles. Oberstaatsanwalt Veh bietet ihm an, man könne ihm bei der Verfolgung eines Umweltdelikts entgegenkommen, wenn er gestehe.

So etwas sei durchaus üblich, verteidigt sich der Staatsanwalt, er sieht darin nichts Unrechtes. Der Schrotthändler sagt, ein Polizeibeamter habe ihm eine Pistole an den Kopf gehalten - "unverschämte Lüge" beteuert ein Kollege, der dabei war. Der Schrotthändler bleibt dabei: Er hat keinen Mercedes entsorgt.

Schließlich, acht Wochen später, sagte Matthias E. während einer Vernehmung, er wolle weitere Angaben machen, aber nur und ausschließlich dem Beamten L. von der Wasserschutzpolizei. L. hat Matthias E. an diesem Tag aus der Haftanstalt vorgeführt, und er war sehr nett zu ihm, hat ihn öfter mal eine rauchen lassen und ihm zum Bieseln die Handschellen abgenommen. Ihm erzählt MatthiasE. nun die Version, die das Landgericht Ingolstadt später seinem Urteil zugrunde legt: Er habe dem Bauern aufgelauert, ihn mit einem Holzscheit ins Genick geschlagen, ihm danach noch einen Spitzhammer in den Schädel geschlagen, habe die Leiche zersägt, das Blut mit einem Margarinebecher aus der Bauchhöhle geschöpft, den Kopf ausgekocht und zertrümmert, Leichenteile an die Hunde verfüttert.

Dass alle vier Beschuldigten ihre Aussagen vielfach widerriefen, kümmerte niemanden mehr. Manuela R. schrieb Briefe über Briefe an den Staatsanwalt Veh - sie wurden ad acta gelegt. Dass die Tochter noch jahrelang in ihrem Tagebuch Briefe an ihren verschwundenen Vater schrieb, ihn anflehte zurückzukommen, ihm versicherte, wie sehr sie ihn vermisse - es wurde im Prozess nicht einmal erwähnt.

Oberstaatsanwalt Christian Veh sagt, er sei nach wie vor fest davon überzeugt, dass der Bauer Rudi R. an dem Abend, an dem er verschwand, nach Hause gekommen und dort einem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen sei. Ob Staatsanwalt Ralph Reiter, der die Anklage beim Wiederaufnahmeprozess in Landshut vertritt, genauso kühn in seiner Meinungsbildung ist, wird sich erst zeigen. Noch muss eine Reihe von Zeugen vernommen werden. Mit einem Urteil ist frühestens Ende Februar zu rechnen.

© SZ vom 03.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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