Mutmaßlicher Serienvergewaltiger:Der Irrtum dreier Gutachter

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"Das darf uns nicht passieren": Drei Gutachter hatten dem Sexualstraftäter Schneeberger eine "günstige Sozialprognose" gestellt. Ein Jahr nach seiner Entlassung aus der Psychiatrie ist er nun offenbar rückfällig geworden.

Olaf Przybilla

Als die Ermittler Bernhard Schneeberger am Dienstagabend festnehmen, hat er gerade den Parkplatz eines Klinikums in Gotha angesteuert. Was er dort wollte, zwei Stunden vor Mitternacht, dazu hat er in den Vernehmungen bislang nichts gesagt. Man hätte wohl das Schlimmste befürchten müssen: Denn am Tag zuvor hatte Schneeberger eine 22 Jahre alte Krankenschwester im oberpfälzischen Neumarkt überfallen, ebenfalls auf dem Parkplatz eines Klinikums. 21 Stunden lang hielt er die Frau in seiner Gewalt, entführte sie nach Flensburg in Norddeutschland, vergewaltigte sie. Von Flensburg aus fuhr er dann mit dem Auto seines Opfers weiter nach Gotha in Thüringen.

Bernhard Schneeberger wurde vor einem Jahr aus der Psychiatrie mit der Auflage entlassen, eine Therapie zu machen. In den vergangenen drei Wochen hatte er sich aber nicht mehr bei seinen Theapeuten gemeldet. (Foto: ddp)

Die 22-Jährige war bereits das zweite Opfer Schneebergers innerhalb einer Woche. Auf einem Parkplatz im Nürnberger Stadtteil Langwasser hatte er zuvor eine 20 Jahre alte Frau in seine Gewalt gebracht, in ein Waldstück verschleppt und dort brutal vergewaltigt. Auf einem Foto erkannte die Frau später ihren Peiniger: Bernhard Schneeberger, der Mann, der zuvor bereits zweimal wegen Sexualdelikten verurteilt worden war. Nach der zweiten Haft war er in die Psychiatrie eingewiesen worden. Vor zwölf Monaten durfte er sie verlassen - unter der Auflage, dass er regelmäßig einen Therapeuten aufsucht. Daran aber hatte sich der 48-Jährige zuletzt nicht mehr gehalten.

"Günstige Sozialprognose"

Drei Gutachter, so erklärt es die Nürnberger Staatsanwaltschaft nach der Festnahme Schneebergers, hatten diesem eine "günstige Sozialprognose" gestellt. Seit seiner Freilassung im Oktober 2009 stand Schneeberger deswegen nur noch unter Führungsaufsicht, musste sich regelmäßig bei einem Bewährungshelfer melden und eine Therapie machen.

Als sich Schneeberger vor drei Wochen nicht mehr meldete, informierte der Bewährungshelfer die Staatsanwaltschaft. Am 11. Oktober, so schildert es die Oberstaatsanwältin Antje Gabriels-Gorsolke, stellte die Anklagebehörde den Antrag, Schneeberger erneut in der Psychiatrie unterzubringen. Keine 24 Stunden später brachte dieser die erste Frau in seine Gewalt. Die Polizei löste eine Großfahndung aus, sechs Tage später schlug Bernhard Schneeberger jedoch erneut zu.

Das Martyrium seines zweiten Opfers, einer Krankenschwester aus Neumarkt, hätte wohl noch länger gedauert, wenn die 22-Jährige nicht so geistesgegenwärtig gehandelt hätte. Schneeberger hatte sie vergewaltigt und sie dann mit einer Pistole gezwungen, ihn quer durch Deutschland zu fahren. In der Nähe des Seebades Glücksburg befahl Schneeberger der Frau, mit ihm auf einer Staatsstraße entlangzuspazieren, unweit der Flensburger Förde.

Als Passanten entgegenkamen, täuschte die 22-Jährige einen Asthma-Anfall vor. Die Passanten alarmierten sofort einen Rettungswagen, Schneeberger versuchte das zu verhindern, doch die Helfer ließen sich nicht abhalten. Auch die Sanitäter reagierten geistesgegenwärtig: Der Hustenanfall sei "ganz normal" versuchte Schneeberger sie zu beschwichtigen. Man befinde sich im Urlaub, seine Begleiterin in ein Klinikum zu bringen, sei nicht notwendig. Schneeberger bekräftigte das so lange, bis die Sanitäter drohten, die Polizei zu alarmieren, wenn er nicht von der 22-Jährigen ablasse. Danach flüchtete Schneeberger nach Thüringen, wo er zwölf Stunden später festgenommen wurde.

Im Jahr 1984 war Schneeberger das erste Mal zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Er war bei einer Nachbarin eingebrochen und hatte sie mehrmals vergewaltigt. Nach fünf Jahren Haft verhielt sich Schneeberger zunächst unauffällig, 2001 aber schlug er erneut zu. Er brach mehrere Autos auf, suchte dort nach Hausschlüsseln von Frauen. Bei einer 24-Jährigen verschaffte er sich Einlass, wartete in deren Schlafzimmer. Er habe die Frau auspeitschen wollen, sagte Schneeberger später vor Gericht aus. In ihrer Wohnung fanden die Ermittler Mullbinden, einen Ledergürtel, einen Elektroschocker.

Schneeberger hatte diese Dinge in die Wohnung mitgenommen. Die 24-Jährige bemerkte Schneeberger aber und floh, bevor er zuschlagen konnte. Schneeberger wurde zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt, für die Zeit danach ordneten die Richter seine Unterbringung in einer Psychiatrie an. Seither war er eingesperrt. Bis zum Oktober 2009, bis drei Gutachter - einer aus der Erlanger Klinik für Forensische Psychiatrie und zwei externe Sachverständige - den 48-Jährigen als inzwischen ungefährlich einstuften. Der Mann durfte die Klinik verlassen.

Er habe Schneebergers "Form des Sadismus" im Jahr 2001 für "möglicherweise therapierbar" gehalten, sagt Michael Wörthmüller, der als Gutachter in dem Prozess gegen Schneeberger bestellt war. Weil Wörthmüller dem damals 39-Jährigen eine krankhafte Störung attestiert hatte, kam Schneeberger nach seiner Haftentlassung in den Maßregelvollzug, wurde also in der Psychiatrie überwacht. Vor einem Jahr schließlich, Wörthmüller war inzwischen Chefarzt der Klinik in Erlangen, hielten Psychiater des Klinikums den 48-Jährigen für stark genug, nicht mehr rückfällig zu werden. Diese Entscheidung, sagt Wörthmüller und holt tief Luft dabei, "war falsch - das darf uns natürlich nicht passieren".

Vor drei Wochen war Mitarbeitern der Klinik aufgefallen, dass sich Schneeberger verändert hatte. Er meldete sich nicht mehr bei seinem Therapeuten, war nicht mehr erreichbar. Auch eine Verwandte Schneebergers hatte diese Veränderung beobachtet, der Mann sei anscheinend nur noch mit dem Auto unterwegs. Eine andere Verwandte berichtete der Fürther Polizei von diesen Beobachtungen. Ob der Beamte "mit diesem Hinweis richtig umgegangen" ist, solle nun untersucht werden, sagt eine Sprecherin des Nürnberger Polizeipräsidiums.

© SZ vom 21.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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