Mittten in Bayern:Tsunami der Langweile

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Von der staden in die fade Zeit: Es ist die Phase der Neujahrsempfänge in Bayern angebrochen. Und es wird passieren, was immer passiert: nichts

Kolumne von Johann Osel

So "herzlich" all die Einladungen ergehen mögen, sie stellen Langeweile in Aussicht. Die Zeit der Neujahrsempfänge beginnt in Bayern gerade, und man kann sich im Grunde nicht erinnern, dass dort jemals Aufregendes passiert wäre. Im Jahr 1876 beim Neujahrsempfang des Bamberger Erzbischofs sagte eben jener, dass es im Klerus ein "Komplott" gegen ihn gebe, bezweifelte, dass die Intriganten "im Gesichte Gottes bestehen", und trat türenknallend ab. Horst Seehofer vergaß als Ministerpräsident mal bei der Begrüßung aller Stämme die Schwaben. Eine moderne Legende erzählt, dass bei einem Kleinstadtempfang scharenweise Jugendliche auftauchten. Es hatte sich herumgesprochen, dass im Rathaus Cannabis gereicht werde. Es waren aber Canapés. Das dürfte es fast gewesen sein an Trubel. Ansonsten: Prosit Gääähn!

Vergangenes Jahr hat sich die AfD-Politikerin Katrin Ebner-Steiner echauffiert, weil sie der Handelsverband nicht zum Empfang einlud, 2014 machte die CSU-Rebellin Gabriele Pauli Wirbel, als ihr der Zutritt in die Residenz verwehrt wurde. Froh sollten sie sein! Der Journalist Peter Bachér schrieb mal, dass Neujahrsempfänge "das taufrische Jahr wie ein Tsunami überrollen". Jetzt wird wieder überall empfangen - es laden Kreise, Städte und Gemeinden ein, Vereine, Unis, Bundeswehrbataillone, Kammern, Verbände, Gewerkschaften und Parteien, bei Letzteren wohlgemerkt oft alle Ortsverbände. Und was ist zu erwarten? Ansprachen wie aus dem Baukasten, kein Redner verzichtet auf: "Gemeinsam sind wir stark." Musik, im schlimmsten Fall spielt die Dorfkapelle noch mal Adventslieder. Imbiss, häufig kredenzt man Schnittchen mit Plastikwurst. Leute über Leute, gern exakt jene, denen man das Jahr über erfolgreich aus dem Weg ging. Händeschütteln bis zum Muskelkater, Small Talk für die Katz'.

Wozu das Ganze also? Bachér klärt da auf. Erstens sei es meist doch netter als gedacht, es lasse sich "so viel Zuwendung auf einen Schlag" sammeln wie nirgends. Und zweitens: Wer absagt, ist in Zukunft vielleicht nicht mehr auf der Einladungsliste. Das wäre zwar an sich zunächst erfreulich; nicht gefragt zu sein, guten Gewissens abkömmlich - das will aber auch keiner, Seneca habe geschrieben: "Das Leben ist eine Bühne, du kommst, schaust und gehst." Na dann, auf zum Empfang!

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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