Mitten in Würzburg:Teilen will gelernt sein

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Ein Richter kennt immer alle Informationen, die für einen Prozess wichtig sind. Das muss nicht stimmen

Von Olaf Przybilla

Im Würzburger Prozess gegen einen Ex-Bandido kam es am ersten Verhandlungstag zu einem kuriosen Moment. Der Mann war wegen Drogenhandels in einem ersten Verfahren verurteilt worden, auch Beamte des Landeskriminalamts hatten damals ausgesagt, weil der Bandido auch als LKA-Schnüffler tätig war - als V-Mann also. Ein paar Wochen vor Beginn der zweiten Verhandlung standen dann über jene LKA-Beamten unschöne Dinge in Spiegel und SZ. Zu lesen war, dass die Kriminalpolizei inzwischen eine voluminöse Akte gegen exakt jene LKA-Beamte angelegt hat, auch wegen des Verdachts der Falschaussage vor Gericht. Dass jene Ermittlungen für den Prozess eine sehr wesentliche Rolle spielen würden, durfte jedem klar sein.

Jedem? Nicht so ganz. Dem Gericht in Würzburg war das offenbar nicht klar, und als es am ersten Verhandlungstag immer wieder um besagte Ermittlungsakte ging, die Augen des Richters immer größer wurden, er aber sagte, er kenne diese Akte nicht - platzte dem Angeklagten irgendwann der Kragen. "Ich denke, dass Sie die Akte brauchen", raunzte er den Richter an. Der antwortete, immerhin einsichtig: "Das denke ich auch."

Kann man von Richtern erwarten, dass sie sich für einen Prozess mit relevanten Akten versorgen, über die öffentlich berichtet wird? Das mag der eine Jurist so, der andere so sehen. Man hat halt, keine Frage, als Richter manches um die Ohren. Der Laie wiederum ist geneigt zu sagen: Doch, wäre schon schön.

Jetzt hat zu Wochenbeginn wieder ein spektakulärer Prozess in Würzburg begonnen, diesmal wird verhandelt, inwieweit Facebook verpflichtet ist, die über einen Asylbewerber verbreiteten Lügen zu löschen. Und auch in dem Prozess gab es einen Moment, in dem Beobachter nicht sicher waren, ob sie lachen oder weinen sollen. Es ging gerade um die Frage, was "teilen" auf Facebook bedeutet, als einer der Richter wissen ließ: "Wir haben den Nachteil, dass die gesamte Kammer nicht Mitglied bei Facebook ist."

Ist das noch cool oder schon dilettantisch? Wäre es nicht angemessen, wenn ein Richter so in etwa wüsste, wie Facebook funktioniert, wenn er darüber richten soll? Im V-Mann-Prozess ließ sich der Richter übrigens, auf Bitte des Angeklagten, die Akten tatsächlich kommen.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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