Mitten in Nürnberg:Politische Kaffeesatzleserei

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Mit Prophezeiungen fürs politische Leben sollte man zurückhaltend sein - oder ausschließlich auf Profis hören: wie Marija Schwepper, die sich frühzeitig über Malys Ende als OB und seine Nachfolge äußerte

Kolumne von Olaf Przybilla

Es ist an der Zeit, Abbitte zu leisten bei Marija Schwepper, in deren Lebenslauf sich als Berufsbezeichnung Hellseherin findet. Schwepper hat zum Jahreswechsel exklusiv in der Bild eine politische Prognose niedergelegt, vor der man nur auf die Knie gehen kann. 2019? In dem Jahr, orakelte sie, "wird der andere, ein Jüngerer, die Bühne betreten und Maly langsam den Rang ablaufen".

Man muss es so sagen: Keine sechs Monate nach dieser Prophezeiung ist nichts mehr wie es war in Nürnberg. Ulrich Malys Rückzug aus der Politik? Hätte selbst die Mehrzahl seiner politischen Wegbegleiter für die Phantasmagorie eines Betäubungsmittelanfälligen gehalten. Mit Verlaub: Der Mann steht in der Blüte seines Lebens und kämpft darum, seine Stadt zur Europäischen Kulturhauptstadt zu machen. Hört da einer einfach so auf, mitten im Bewerbungsreigen?

Im Übrigen wird in Nürnberg gerade ein neues Konzerthaus geplant, bis 2025 soll es fertig sein. Das Deutsche Museum soll auf dem Augustinerhof eröffnet werden - auf dem seit Jahrzehnten kariösen Altstadtplatz. Und das seit 25 Jahren leer stehende Volksbad wird auch saniert. Das stand schon 2002 auf Malys To-do-Liste. Da wird sich ein OB ja wohl die Eröffnung nicht entgehen lassen!

Sollte man meinen, so ohne die passenden Karten. Und schaut nun blöd aus der Wäsche. Zumal ja nicht nur der OB-Abtritt in Schweppers Karten ziemlich deutlich abzulesen war. Sondern auch das Ringen um dessen Erbe. Ein "Jüngerer" wird Maly langsam den Rang ablaufen? Ja, das kann man mal so sehen. Dass Schwepper nicht auch noch geweissagt hat, ob sie damit den jungen CSU-Mann Marcus König, 38, meint oder den noch jüngeren SPD-Mann Thorsten Brehm, 34, ist womöglich nur der Gnade einer Hellseherin zu verdanken, die politische Kaffeesatzleser nicht über Gebühr vorführen mag.

Klar, man hätte es ahnen müssen, dass Schwepper weiß, was Sache ist. Die Frau hat schon, eigenen Angaben zufolge, politische Unruhen, Glaubenskriege, Umweltkatastrophen vorausgesehen. Die Grünen wollen übrigens mit einer Frau antreten 2020. Das wäre dann kein Jüngerer, sondern eine Jüngere. Ob so eine - nach Schwepper - wirklich Chancen hätte, Maly den Rang abzulaufen? Vielleicht sollten die Grünen noch mal in sich gehen.

© SZ vom 07.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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