Mitten in Nürnberg:Franz Müllers verwegene Idee

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In die Trittsicherheit der NS-Zeppelintribüne investiert die Stadt Millionen. Wäre es möglicherweise sinnvoller, für einen Großteil des Geldes den Kongresstorso der Nazis umzubauen, um dort Auszüge aus der vielfältigen Geschichte Nürnbergs zu präsentieren?

Kolumne von Olaf Przybilla

Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen, wusste Helmut Schmidt. Aber es gibt noch eine andere, wohl allzu oft unbemerkte Lösung. Man kann auch einen Leserbrief schreiben.

Wer "Franz Müller, Nürnberg" ist, war für die SZ bislang leider nicht rauszubekommen. Wie man sich vorstellen kann, gibt's etliche Franz Müller in einer Halbmillionenstadt. Jene, die man einstweilen erreicht hat, schwören alle Stein und Bein, eben nicht Franz Müller zu sein, jedenfalls nicht einer, der Leserbriefe in der Nürnberger Zeitung schreiben würde.

Egal, es soll hier ohnehin um die Vision gehen und nicht den Mann dahinter. Müller sieht es so: Zigmillionen nimmt die Stadt in die Hand, um die NS-Zeppelintribüne trittfest zu machen. Wie wäre es, fragt er, wenn man das Geld - mit mindestens 85 Millionen Euro für die öffentliche Hand wird gerechnet - nähme, um den Kongresstorso der Nazis umzubauen, dieses monströse NS-Pseudokolosseum. Und dort Auszüge aus der Geschichte einer historisch faszinierenden Stadt zeigt: "Architektur, Persönlichkeiten, Erfindungen, Handel und die fatale früheste Vergangenheit." Das alles als Ergänzung zu den in der Stadt verteilten Teilmuseen.

Müller formuliert es so: "Anders gesagt, könnte man anstatt des kurzen ,Tausendjährigen Reiches' und seiner Aufmarschtribüne unser vielfältiges, schon fast tausend Jahre erfolgreiches Gemeinwesen dokumentieren": Burggrafen und Kaiser, Dürer und Sachs, Ludwig-Donau-Kanal und Adler-Lok, MAN und Quelle. Und die NS-Geschichte ist eh schon dort. Nürnberg wäre auf einmal eine "einmalige Museumsstadt", schreibt Müller.

Ein Wolkenkuckucksheim? Kann man so sehen. Im NS-Kongresstorso sollen für die Bewerbung als Kulturhauptstadt Räume für die kreative Szene entstehen. Aber selbst das wird sportlich. Es gibt dort bislang weder Licht noch Heizung. Andererseits: Ist das nicht wirklich eine Vision?

Eigentlich gut, dass Franz Müller nicht erreichbar ist. So kann man sich einem fixen, natürlich rein fiktiven Gedanken hingeben: Was wäre, wenn einem (noch) amtierenden OB kurz vor Dienstende die Idee schlechthin kommt. Er aber denkt: Mist, das hätte mir mal vor 18 Jahren einfallen sollen. Wäre es nicht denkbar, dass so einer einen Leserbrief schreibt und sich, sagen wir, "Franz Müller" nennt?

© SZ vom 11.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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