Mitten in Bayern :Lindauer Bahnhofsblockade

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Da gibt es also diesen wunderbaren alten Bahnhof auf der Insel, der Besuchern das Gefühl der alten Bundesrepublik gibt. Der soll an Bedeutung verlieren, ein moderner Fernbahnhof entsteht. Aber nun sieht es so aus, als müsse der Abgesang doch noch ein wenig warten

Kolumne von Johann Osel

Bahnhöfe in Bayern gibt es hässliche, die an der Stelle nicht namentlich genannt seien, um niemandes Lokalstolz zu kränken. Und es gibt wunderschöne, der Inselbahnhof Lindau gehört dazu. Den Seeblick bei der Anfahrt im Zug krönt das Gebäude selbst, thronend am Rande des Hafens, als stünde es viele Jahrhunderte dort. Tatsächlich wurde die imposante Empfangshalle 1921 fertiggestellt, sie kann sich optisch nicht so recht entscheiden. Jugendstil, denken viele, "barockisierender Heimatstil" nennen es Denkmalschützer. Man könnte sich den Bau als Bild an die Wand hängen, wie die Hafeneinfahrt mit Leuchtturm und Löwe von nebenan. Tritt man durch die schweren Schwingtüren, kommt zudem ein Gefühl der alten Bundesrepublik auf - Holzvertäfelungen, Lichtarmut, eine Schwere im Inventar und ein Geruch, der an Zigarren längst verstrichener Jahrzehnte erinnert. Geräusche wirken oft gedämpft - ein beruhigender Ort, auf den man eine Ode singen könnte; womöglich ist es das, was Franz Kafka bei der Durchreise im Tagebuch notierte: "Viel Gesang in Lindau auf dem Bahnhof in der Nacht."

Allerdings ändern sich die Zeiten und so muss man den Abgesang anstimmen. Auf dem Festland entsteht ein neuer Fernverkehrsknoten, der Kopfbahnhof der Insel wird vom Haupt- zum Regionalbahnhof degradiert und schrumpft um einige Gleise. Im Dezember soll die neue Anlage in Reutin eröffnen. Doch in der Schwäbischen Zeitung findet sich jetzt diese Meldung: "Ganz Deutschland würde womöglich lachen, wenn Bahn, Freistaat und Stadt in einem Jahr einen neuen Bahnhof eröffnen würden, den man nur mit dem Zug erreichen kann, weil es weder Wege noch eine Straße dorthin gibt." Genau das drohe, hieß es demnach im Stadtrat, weil Verhandlungen über die Grundstücke um den Bahnhof stockten. Zufahrt, Parkplätze, Taxistand, Radständer - all das könne das Stadtbauamt nicht vorantreiben, weil die Bahn nötige Areale offenbar nicht herausrücke. Fortgang ungewiss.

Vielleicht braucht man den Inselbahnhof doch länger. Zumindest bietet er einen Ort zum Innehalten - in Lindau wird derzeit viel gebaut, etwa auch eine Therme und Lärmschutzwände für die Bahnstrecke, und viel gestritten, wie über die Landesgartenschau 2021. Da empfiehlt sich der Gang durch die Schwingtüren.

© SZ vom 03.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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