Mitten in Bayern:Eisige Erinnerungen

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Es ist heiß und der Heißhunger auf Kaltes steigt. Und gleichzeitig steigt das Gefühl, dass die Kugel Eis schon wieder viel mehr kostet als im vergangenen Sommer. Und erst in der Kindheit

Kolumne von Johann Osel

Manchmal gleicht sie einem Unterbietungswettkampf: die Frage, wie wenig in der Kindheit eine Kugel Eis gekostet hat. Mathematiker könnten sicher aus Alter, Preis und Erregungszustand ein stringentes Modell entwickeln. Der Autor dieser Zeilen erinnert sich, dass in der Kleinstadt im Wirtshaus ums Eck 50 Pfennige verlangt wurden; dort gab es aber nur Schoko, Vanille und noch etwas Grünes mit unklarem Geschmack und Gefrierbrandklumpen, weil das selten einer wollte. Bei italienischen Eisdielen kostete die Kugel 70 Pfennige, Auswahl und Qualität rechtfertigten das. In den Neunzigern wurde irgendwann die magische Eine-Mark-Grenze erreicht. Kollege D., 22, führt einen Euro glatt als Kindheitserinnerung auf. Kollege S., Kind in den Sechzigerjahren, nennt 20 Pfennige. Er tut das ohne Groll, nicht so wie andere, die mit der Eispreisfrage gerne verknüpfen, dass früher alles besser war. Oder wie die Bild-Zeitung mal zeterte: "Die große Eis-Abzocke" - über vier Jahrzehnte sei eine "EISflation von 1538 Prozent" auszumachen.

Es ist Sommer, die Eisdielen in Bayern locken Publikum - das vielerorts erneut Preissprünge registriert. 1,20 bis 1,50 Euro kostet die Kugel oft, das ergeben Nachfragen quer durchs Land. Seit dem Knacken der psychologischen Ein-Euro-Marke fallen zusätzliche Zehnerl weniger auf, analog zur Zehn-elf-zwölf-Euro-Wiesn-Mass. Milch, Sahne und weitere Zutaten würden teurer, auch Strom, so verteidigen sich Eismacher dieser Tage in Lokalzeitungen. Experten sprechen dagegen von "gefühlter Inflation" beim Eis. Bei kaum einer Ware spürten Kunden Preisanstiege so stark - weil man bar bezahle, weil man den Rückblick bis zur Kindheit habe, weil es ein emotionales Thema sei. Was eine Kilowattstunde Strom einst kostete, bleibe fast keinem im Gedächtnis.

Der Eispreis dient daher oft als Vergleichsmaßstab. Der grüne Umweltminister Jürgen Trittin sagte 2004, die Energiewende koste den Bürger im Monat "nicht mehr als eine Kugel Eis". Wohl eher Eis mit Blattgold. Als an einem oberbayerischen Gymnasium 1994 jeder Schüler einen sündteuren Atlas kaufen sollte und Murren darüber aufkam, rief der Erdkundelehrer barsch: "Aber im Sommer Eisbecher 20 Mark aufwärts fressen!" Das galt damals als maßlose Übertreibung. Heute ist es kein sonderlich abwegiger Preis.

© SZ vom 06.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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