Mitten in Bayern:Ein Lob dem Horrorwittchen

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Eine umstrittene Skulptur verhilft der Stadt Lohr zu einem riesigen PR-Erfolg. Langsam könnte man sich dafür auch mal beim Künstler bedanken

Von Olaf Przybilla

Vielleicht versetzt man sich einfach noch mal ins Jahr 2014. Man fährt auf der Autobahn in Unterfranken irgendwo zwischen Marktheidenfeld und Würzburg und sieht also dieses braune Tourismusschild: Schneewittchenstadt Lohr. Schnee-bitte-was? Okay, das muss man mal nachschauen.

Anschließend, na ja, war man zu der Zeit kaum schlauer. Da glaubte also eine Stadt, Beweise dafür vorlegen zu können, dass Schneewittchen aus dem Spessart stammt. Aha. Kann man witzig finden. Oder auch ziemlich gaga. Aber dass das mit der Schneewittchenstadt mehr war als eine bemühte bis hilflose Marketingidee, hätte damals wohl nicht mal der Tourismuschef von Lohr behauptet. Ein paar Pralinen gab es mit Schneewittchensymbol - na, wenn das mal die Massen nicht in den Spessart lockt.

Und dann war da also dieser Kunstwettbewerb um die schönste Schneewittchenfigur. Ausgewählt wurde eine Skulptur, die eine Kleinstadt in einen Zustand zwischen Trance und Agonie versetzte. Rausgeschmissenes Geld! Blatternnarbige Schande! Öffentlich finanzierter Kinderschreck! In der Lokalpresse zeigte sogar ein leibhaftiger Kunstakademiepräsident Verständnis mit den Leserbriefschreibern: Weil das halt schon schwierig sei, so viel Geld für so eine Art Kunst. In der Haut des Künstlers Peter Wittstadt, er lebt in der Nähe von Lohr, hätte man da eher nicht stecken wollen.

Ein paar Monate später gibt es wieder Zoff in Lohr. Nur geht es diesmal um etwas komplett anderes: Die Stadt möchte sich nun sämtliche Verwertungsrechte an der etwa 100 000 Euro teuren Skulptur sichern. Weil diese Rechte eben wichtig sind, wenn man an Shirts, Tassen und Aufpappern ordentlich mitverdienen will. Die Horrorwittchen-Devotionalien, ironisch angelehnt an Wittstadts Schneewittchen, verkaufen sich schon mal ganz prächtig. Nicht nur in Unterfranken.

Die Wahrheit ist: Die Stadt hätte hinter jedem Spessartbaum an der Autobahn ein Hinweisschild platzieren können. Sie hätte Schneewittchen-Prospekte über Bayern regnen lassen können. Sie hätte niemals auch nur im Ansatz einen solchen Werbeeffekt erzielt. Die Stadt Lohr kennt man jetzt. Und das verdankt sie: einem Künstler. Da wäre ein bisschen Dankbarkeit nicht unpassend.

© SZ vom 31.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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