Mitten in Bayern :Die Gnade der Verdrängung

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Der Fall Peggy ist derart furchtbar, dass wohl kaum vergessen könnte, wer jemals damit zu tun gehabt hat. Könnte man meinen. Aber das Leben bringt manchmal kuriose Geschichte hervor

Kolumne von Olaf Przybilla

Das Leben ist auch deswegen eine erfreuliche Veranstaltung, weil es selbst in der schrecklichsten Geschichte mitunter Dinge bereithält, über die es sich mindestens angenehm wundern lässt. Der Fall Peggy gehört zweifelsohne zum Furchtbarsten, was es zu erzählen gibt. Aber selbst da können einem Sachen begegnen, die den Tag zumindest nicht noch zusätzlich verdunkeln.

Es ist so: Kürzlich haben Ermittler in diesem Fall einen Verdächtigen ins Visier genommen, den man nur deshalb nicht neu nennen kann, weil er schon zu Ermittlungsbeginn zu den Verdächtigen zählte - bis eine Tatbeteiligung ausgeschlossen wurde. Offenbar zu Unrecht: Nach einem Teilgeständnis wird nun wegen Mordverdachts gegen diesen Mann ermittelt.

Nach Aktenlage hat er bei einer Vernehmung im November 2001 einen Verteidiger an seiner Seite gehabt. Und was läge da näher, als diesen Juristen zu fragen, ob er nun womöglich wieder Anwalt des Verdächtigen ist? Der Mann hat einen seltenen Namen, gängige Suchmaschinen spucken genau einen Juristen dieses Namens in Bayern aus. Der aber lebt in Oberbayern, weit weg vom oberfränkischen Lichtenberg, und ist Geschäftsführer. Unwahrscheinlich also - aber wer weiß?

Anruf also. Es gehe ums Jahr 2001, Fall Peggy, kennen Sie sicher. Gelächter am Ende der Leitung. Kenne er, klar - wer nicht? Zu tun habe er damit aber weiß Gott nie gehabt. Was er bedauere. Mit großen Fällen der Justizgeschichte hätte er sich in seiner Zeit als Anwalt auch gerne mal beschäftigt. Habe nicht sollen sein.

Man will nun schon auflegen, aber der Mann ist jetzt angefixt. Er stamme nämlich ursprünglich aus Oberfranken. Jetzt wüsste er doch gerne: Wo denn sein Namensvetter damals seine Kanzlei hatte?

Moment, ah, hier. Man sagt den Ort, keine 5000 Menschen leben dort. Danach herrscht Stille in der Leitung. Ob man ganz sicher sei? Ja. Wieder Stille, eine halbe Ewigkeit. Sorry, was ist denn los? Irgendwann sagt der Mann: Er sei sicher, dass von dort exakt ein Jurist dieses Namens stamme. Er selbst. Er sei also an einem der größten Fälle der Justizhistorie beteiligt gewesen. Wohl als Pflichtverteidiger, bei einer Vernehmung, ohne Akten studiert zu haben. Danach? Habe er das offenbar vergessen. "Ich fass' es nicht", flüstert der Mann. Dann legt er auf.

© SZ vom 11.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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