Michael Ballhaus:Theater im Rittersaal

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Schloss Wetzhausen ist in einen morbiden Dämmerschlaf gefallen. Das "Märchenschloss" verfällt. In den 1950er-Jahren lebte und wirkte dort eine Künstlerkommune, in der der berühmte Kameramann aufwuchs. Das Filmhaus Nürnberg erinnert mit einer großen Retrospektive an den im vergangenen April verstorbenen Ballhaus

Von Olaf Przybilla, Wetzhausen

Es ist nicht auszuschließen, dass Michael Ballhaus das als überpointiert empfinden würde. Der Mann an der Kamera hat mit den großen Regisseuren Hollywoods zusammengearbeitet, da darf man erwarten, dass Menschen anderes einfällt, wenn sie auf das Lebenswerk zurückschauen. Und üblicherweise geschieht das ja auch: Dieser Tage etwa erinnert das Filmhaus Nürnberg mit einer großen Retrospektive an den im vergangenen April verstorbenen Ballhaus, alle wichtigen Filme, deren Bilder auf ihn zurückgehen, sind dort zu sehen. Und doch dürfte beim einen oder anderen noch vor diesen Kunstwerken ein Satz von Ballhaus in Erinnerung geblieben sein. Er hat ihn gesagt bei seinem großen Auftritt 2014 auf dem Poetenfest in Erlangen. Und er findet sich auch in seiner Autobiografie "Bilder im Kopf. Die Geschichte meines Lebens." Er lautet: "Ach, ich war am Sex sehr interessiert."

Um einen Blick auf das ehemalige Wasserschloss im unterfränkischen Wetzhausen werfen zu können, muss man sich schon ins Dickicht trauen. Oder von der anderen Seite über den Weiher paddeln. Bis 1955 lebte hier sieben Jahre lang eine Künstlerkommune. (Foto: Olaf Przybilla)

Ballhaus hatte dieses Ballhaus-Schmunzeln aufgesetzt, ebenso verschmitzt wie gütig, als er ihn gesagt hat. Spätestens an der Stelle war der Zuhörer Mitbewohner in der unterfränkischen Künstlerkommune, in der Ballhaus aufgewachsen ist. Auf diese Zeit, wohlgemerkt, bezieht sich seine wunderbar lakonische Interessensbekundung. Sie führt direkt hinein ins Schloss Wetzhausen, für dessen Beschreibung der Vorsitzende des Historischen Vereins im Kreis Haßberge zwei lange nicht gehörte Vokabeln bereithält: "Verwunschen" sei dieses "Märchenschloss", sagt Wolfgang Jäger. Worte, die angenehm umschiffen, dass das frühere Wasserschloss in einen morbiden Dämmerschlaf gefallen ist, bald nachdem Ballhaus und die Kommunarden mitsamt dem "Fränkischen Theater" ausgezogen sind. Das Schloss mit seinen 40 Zimmern steht seit Jahren leer, man muss sich von der Dorfseite her durch Dickicht schlagen, um einen Blick darauf werfen zu können und wird auf einem Schild eindringlich aufmerksam gemacht, dass Unfug zu treiben gerade nicht angeraten ist: Lebensgefahr.

So verschmitzt war es, das berühmte Michael-Ballhaus-Schmunzeln. (Foto: Bernd Settnik/dpa)

Also besser nicht eintreten und stattdessen bei Ballhaus blättern, wie das so war in Franken nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Familie zog 1943 weg aus Berlin nach Coburg, zur Tante des damals Achtjährigen. Aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, bekam Vater Oskar Ballhaus die erste Lizenz in Bayern, um ein eigenes Theater zu betreiben. Als Georg Solti zu Gast war in Coburg, hatte Michael Ballhaus sein Zimmer zu räumen. Irgendwo musste der Dirigent der Bamberger Symphoniker ja schlafen. Es war eng im Privattheater Ballhaus, also machte man sich auf die Suche und fand 1948 etwa 20 Kilometer nordwestlich von Schweinfurt etwas versteckt hinter Bäumen das Schloss Wetzhausen.

Wer heute vor dem ehemaligen Zuhause des Kameramanns steht, dem kann das Lachen kurz mal vergehen: Lebensgefahr am Schlosseingang. (Foto: Olaf Przybilla)

Ballhaus war 13, als er dort einzog: "Und wenn das Wort damals schon gebräuchlich gewesen wäre, hätte man das wohl eine Kommune genannt, in der meine Mutter und mein Vater den Kern bildeten", hat er notiert. Theater gespielt wurde im Rittersaal, Sartre, Shakespeare, Ibsen. "Mein Vater hatte einen Hang, sich in die Hauptdarstellerinnen zu verlieben", also ließen sich Vater und Mutter bald scheiden. Was aber nicht weiter schlimm war, sie heirateten jeweils andere Ensemblemitglieder. Der junge Ballhaus hatte Glück: Er mochte sowohl die neue Frau des Vaters als auch den neuen Mann der Mutter, und beide Paare lebten gemeinsam im Schloss. Alles war offenbar recht unverklemmt dort, von vermeintlicher Sittenstrenge der Fünfzigerjahre bekam der junge Ballhaus jedenfalls wenig mit. Insgesamt war das Leben in Wetzhausen "märchenhaft" und freizügig in jeder Hinsicht - so hat es Ballhaus erlebt. Erst 1955, nach wilden Jahren in Wetzhausen, zog das "Fränkische Theater" weiter.

Seither ist es dort schwierig, das Dach wurde renoviert, das Schloss aber ist unbewohnt. Dessen Besitzer Johannes Freiherr Truchseß von Wetzhausen macht keinen Hehl daraus, dass er darunter leidet, beteuert aber, mit landwirtschaftlichen Einkünften sei das Anwesen nicht instand zu setzen. Weil eben das Dach dicht ist, "hält das Schloss die nächsten 50 Jahre", ist er überzeugt. Lieber wäre ihm ein Verkauf. Schon der Geschichte dieses Schlosses wegen.

© SZ vom 04.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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