"Mia san mia": Wie steht es um das bayerische Grundgefühl?:Irgendwie geht's sowieso

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Bankenkrise, Wählerschwund und Bedeutungsverlust plagen die CSU. Einem selbstbewussten Volk schlägt so was aber noch lange nicht aufs Gemüt.

Hermann Unterstöger

Selten hat sich eine persönliche Aversion so segensreich auf die bayerische Selbstvergewisserung ausgewirkt wie im Fall der Volkskundlerin Nina Gockerell. Als sie vor Jahr und Tag an die Promotion ging, wollte ihr Doktorvater ihr das Sujet Totentanz schmackhaft machen.

Kürzere Lederhose? Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein (links) und CSU-Parteichef Huber bei einer Veranstaltung des Verbands der Königstreuen (Foto: Foto: ddp)

Ein großes und gutes Thema, keine Frage, doch fühlte sie sich nicht reif genug, um bei so einem frostigen Gegenstand auszuharren. Der Professor ließ sich zu einem Wechsel bereden, und das umso leichter, als die Studentin mit einem genauso großen und guten Thema aufwarten konnte: dem Bild der Bayern, wie es sich aus Reisebeschreibungen einiger Jahrhunderte ergibt.

Heute arbeitet Gockerell beim Bayerischen Nationalmuseum und an der Uni München. Von alten Stickmustertüchern bis zum Krippenbau ist ihr nichts fremd, was die Volkskunst an Schönem hervorgebracht hat. Die an Bayerischem interessierte Welt verfügt in ihrer Dissertation aber über ein Standardwerk wie kein zweites.

Die gestutzte Lederhose

Wer immer einen - echten oder vermuteten - Charakterzug der Bayern glaubhaft belegen will, steigt in diese Schatz- und Wunderkammer ein und findet dort Materialien wie folgenden Text von 1829: "Eine freudige Empfindung durchwehet die Menge, gewahrt sie den Fürsten oder Einen der Seinigen."

Unterstellt, die CSU wäre die banalere, sozusagen säkularisierte Fortsetzung des Hauses Wittelsbach in die Gegenwart, so lautet die Frage: Welche Empfindung durchweht die Menge heute, wenn sie Günther Beckstein oder einen der Seinigen gewahrt? Wobei gleich weiterzufragen wäre, ob Erwin Huber ebenfalls einer der Seinigen ist oder ein eigener.

Die ständige Rede von einem Tandem Beckstein/Huber spricht für Letzteres, gemahnt jedoch auch daran, dass Tandems bei den Wittelsbachern nicht üblich waren, und wenn doch, dass dann einer der beiden unter Kuratel stand und der andere Prinzregent war. Davon kann bei dem aktuellen Duo keine Rede sein, ebenso wenig freilich von der Fürstenherrlichkeit, wie sie mit deutlichem Glanz noch auf Franz Josef Strauß zu ruhen pflegte.

Ob es das Tal der Tränen ist, das die CSU gegenwärtig durchschreitet, bleibe dahingestellt, aber dass sie nicht mehr den strammen Gang von einst hat, ist bei Freund wie Feind anerkannt. Die Stichwörter für die prekäre Lage kennt jedermann: Landesbank, Rauchverbot, Transrapid, Pendlerpauschale. Strittig ist allenfalls, wer da was verschuldet hat, wie das alles wieder gerichtet werden kann und ob, Gott behüte, Land und Leute einen Schaden davontragen.

Ungeachtet markantester Kommentare steht die Analyse noch in den Startlöchern. Auch hierzu ein paar Stichwörter, wenn nicht sogar Pflöcke: Münchens Oberbürgermeister Christian Ude berichtete der Abendzeitung von dem Urerlebnis, die CSU "regelrecht zerbröseln" zu sehen, Bundeswirtschaftsminister Michael Glos sagte der Passauer Neuen Presse, die CSU sei "der größte Standortvorteil Bayerns", und die Passauer Polit-Pythia Heinrich Oberreuter goss das Unvermögen der CSU, auf gesellschaftliche Änderungen intelligent zu reagieren, für die taz in den so griffigen wie schönen Satz: "Die Lederhose ist kürzer geworden."

Wer Ohren hat zu hören, dem wird das Apokalyptische in diesem Bonmot nicht entgehen. Es klingt, wie wenn sich alte Leute nach Beerdigungen zunicken und sagen: "Jaja, die Einschläge kommen näher", wobei die gute Laune in beiden Fällen gesichert ist, hier durch das Bombastische der Kriegsmetaphorik, dort durch die Anrufung der Lederhose.

Der Übervater mit dem Unternehmensberater: Franz Josef Strauß (links) im Gespräch mit dem damaligen CSU-Generalsekretär Edmund Stoiber im Jahr 1979 (Foto: Foto: dpa)

Seit die CSU ihren Willen, Fortschritt und Bodenständigkeit zu versöhnen, auf die Formel "Laptop und Lederhose" brachte, sind diesem Kleidungsstück vordem undenkbare Inhalte zugewachsen. Die Formel selbst aber avancierte zu einem Bayernbekenntnis vom Schlage des "Mia san mia", des fälschlicherweise Beckenbauer zugeschriebenen "Schaun ma mal" oder des von Strauß selig oft und natürlich lateinisch angeführten Merksatzes, dass es außerhalb Bayerns kein echtes Leben gebe: "Extra Bavariam non est vita..."

Wer dem aus solchen und vergleichbaren Zeugnissen zusammengefügten bayerischen Selbstgefühl nachspürt und auf festen Grund zu stoßen hofft, wird enttäuscht werden. Es sieht zwar ganz danach aus, als sei kein deutscher Stamm intensiver beobachtet und beschrieben worden, aber der Boden, aus dem diese ethnologisch anmutende Flora sprießt, ist mulmig und trügerisch.

Wissenschaftler, die sonst gerne antworten und dabei jedes Wort zu belegen wissen, werden sehr zurückhaltend, wenn man sie beispielsweise nach der Substanz des ominösen "Mia san mia" aushorchen will. Das heißt, eine Antwort bekommt man natürlich auch in diesem Fall, nie jedoch ohne den Vorbehalt, dass es sich nur um gefühlsmäßige Annäherungen handle, um das also, was der mitschreibende Journalist dann gern als "eine Spurensuche" weiterreicht.

"Mir san Mir und schreim uns Uns"

Die Literatur in Bayern gedenkt in ihrer neuen Ausgabe des "Dackel-Malers" August Roeseler, der auch allerlei Münchner Typen verewigt hat. Eines dieser Bilder trägt den Titel "Mir san Mir und schreim uns Uns" und zeigt einen wamperten, rotnasigen, in Tracht gekleideten Mann. Seine Miene ist von hinterhältiger Gemütlichkeit und scheint zu belegen, was auch Nina Gockerell aus dem "Mia san mia" herauszuhören glaubt, nämlich etwas latent Feindseliges.

Recht gehört, möchte man bestätigen, um sogleich dahingehend einzuschränken, dass es sich da wohl eher um eine einseitig gefühlte Feindseligkeit handle, während der Bayer selbst nichts als ein Stück Folklore im Sinn habe, eine landsmannschaftlich geprägte Frotzelei nach Art des folgenden Dialogs: "Hallo, Sie, wissen Sie den Weg zum Hofbräuhaus?" - "I scho."

An der Basis beurteilt man das ähnlich entspannt, und wo gäbe es eine solidere Basis als in der niederbayerischen Marktgemeinde Reisbach? Hier fand 799 die erste bayerische Bischofssynode statt, hier gibt es eine Blaskapelle, die seit 2001 im indischen Hightech-Standort Bangalore das Oktoberfest bestreitet, und hier wurde 1946 Erwin Huber geboren - "da Huawa Erwin", wie man dort sagt. Beim Frühschoppen im Schlappinger-Hof bekennen sich die Repräsentanten der örtlichen CSU zu einer sehr zivilen Mia-san-mia-Doktrin: keine Angeberei, aber Ausdruck der Freude, dass man in dieser schönen, dank BMW auch wirtschaftlich gefestigten Gegend leben dürfe.

CSU
:Pleiten und Pannen in der CSU

Und natürlich: Selbstbewusstsein. Es ist erstaunlich, wie vielfältig sich dieses Selbstbewusstsein äußert, ohne dass der Ausdruck selbst strapaziert würde. Wir verfallen "deszweng", also wegen der erwähnten Wirren, nicht ins Koma, sagt ein Stammtischler. Den Bayern wirft so schnell nichts um, schon gar nicht den Niederbayern, sagt ein anderer. Man benötigt mehr Mut, um seine Meinung zu ändern, als um darauf zu beharren, sagt ein Dritter.

Und, in praktischer Nutzanwendung des Selbstbewusstseins aufs politische Tagesgeschäft: Wir fallen dem Erwin nicht in den Rücken, bei uns gibt es da kein "Hosianna" und gleich drauf "Kreuzige ihn", sagt ein Vierter. Die übrigen nicken, trinken einen Schluck und verraten noch ein Heimatdetail: Landrat Heinrich Trapp ist bei der SPD. Wieso er trotzdem Landrat wurde? Weil er in Wim Thoelkes Show "Der große Preis" einmal Super-Champion war.

"Tschüssfreie Zone"

Als Ferdinand Kramer, jetzt Professor für Bayerische Geschichte an der Münchner Uni, noch jünger war, führte ihn das Interesse an einem Mädchen zum Volkstanz bei der Biermösl Blosn. Es ist mit Händen zu greifen, dass sein Blick aufs speziell Bayerische dadurch maßgeblich gelenkt wurde und von dieser Lenkung bis heute profitiert.

Wo es ums Politische geht, gedenkt er mit Wärme und nicht ohne Wehmut eines Anton Jaumann, der bewiesen habe, dass Wirtschaftspolitik auch Heimatpflege sein könne, auch eines Mannes wie Strauß, dessen Regierungserklärungen zum Besten gehört hätten, was zu Bayerns Geschichte und Kultur je gesagt worden sei. Stoiber dagegen habe es vorgezogen, den Unternehmensberater zu geben.

Man kann, sagt Kramer, das Designergerede von Synergien und so fort nicht mehr hören. Und wie zum Ausgleich leitet er zu einer Sphäre über, deren intimere Kenntnis man einem Historiker prima vista gar nicht zutraut: zum Film und Kabarett. Stellvertretend für viele nennt er Fersehtitel wie "Münchner Geschichten" oder "Irgendwie und sowieso", die, indem sie auf andere Traditionen zurückgriffen als die Platzhirsche des Bavarica-Wesens, der bayerischen Seele unendlich viel gegeben hätten. Hört man Kramer so reden, erwartet man fast den Ausruf, nie sei Bayern mehr bei sich gewesen als in jenen Jahren, doch dann fällt einem ein, dass das ja Designergerede wäre.

Im Miesbacher Heimatmuseum haben sie eine aus den Türkenkriegen stammende Trommel, die auch 1705 Dienst tat, als die aufständischen Bayern von den Österreichern niedergemacht wurden. Auf ihrem Fell steht: "Lieber bairisch sterbn / Als wie kaiserlich verderbn", und weil sie ein Bauer aus Gotzing seinerzeit barg, nennt man sie die "Gotzinger Trommel". In der Nähe von Weyarn gibt es ein Wirtshaus gleichen Namens.

Pächter ist einer, dem nicht nur das Designerdeutsch ein Greuel ist, sondern alles "Preußische", soweit es das Bairische zu beeinträchtigen droht. Hans Triebel heißt der Mann, und weil er alles, was er macht, gründlich macht, hat er die "Trommel" samt Umgriff zur "tschüssfreien Zone" erklärt. Viele Norddeutsche, sagt Triebel, kommen genau deswegen zu ihm und freuen sich sehr, wenn er ihnen, als "Preußen", das "Tschüss" ausdrücklich erlaubt.

Vom Bayerngefühl und von der CSU hat Triebel eine sehr klare, wenn auch bittere Meinung. Das Aufdreherische in der Floskel "Mia san mia" rühre daher, dass die Bayern sich immer schon für minderwertig hielten, weniger aus sich selbst als vielmehr deswegen, weil es ihnen jahrhundertelang eingeredet worden sei. Daher auch der gschamige Umgang mit dem Dialekt, der zu dessen absehbarem Aussterben führe.

"Kaam oana, der mit seim Kanari no boarisch redt", ereifert sich Triebel. Zur Behebung des Übels bringt er im Sommer einen bairischen "Don Giovanni" auf seine Bühne, in dem Held und Diener ihre Panik am Ende des ersten Akts so ausdrücken: "Ja gruziwudzi, jetz weads hint hächa wia vorn."

Die CSU hat Triebel nie ausstehen können, und heute mag er sie noch weniger, weil ihm Beckstein eine Änderung in der Bayernhymne - "deutsche Erde" zu "Heimaterde" - verwehrt hat. Er nennt die Partei "a reine Bande" und hofft, dass sie unter 50 Prozent sinkt, damit sie wieder weiß, wo der Bartel den Most holt.

Ihre früheren Erfolge schreibt Triebel der allgemeinen Angst "vorm Russn" zu, einer bis heute unbegründeten Angst. Wie das? Nun, sagt er, wo heute ein Freier oder ein Grüner als Bürgermeister sitze, funktioniere von der Müllabfuhr bis zum Ausrücken der Feuerwehr auch alles, wie vorher bei der CSU. "Und", fährt Triebel nach einer Kunstpause fort, "da Russ is oiwei no net da."

Wäre dem Russen auch nicht zu raten, denn nur ein paar Kilometer von Gotzing weg wohnt in Kleinpienzenau ein Mann, der auf den Schlag die ganzen bayerischen Gebirgsschützen aufbringen könnte. Karl Steininger trägt den Titel Landeshauptmann, was in Österreich einem Ministerpräsidenten gleichkäme. Ob er die CSU mag oder nicht, ist für ihn keine ernstzunehmende Frage, denn zwischen ihr und den Schützen besteht eine Bindung, die fast ans Religiöse grenzt.

Seit Goppels Zeiten ist nämlich der amtierende Ministerpräsident immer auch Schutzherr der Traditionskompanien; nicht der Schirmherr, wie ihn andere Vereine haben, sondern das männliche Pendant zu dem, als was Maria von Kurfürst Maximilian I. ausgerufen wurde: als Schutzfrau Bayerns, Patrona Bavariae.

Günther Beckstein hat sich dem Patronatswunsch der Gebirgsschützen nicht verschlossen. Da er, wie zu lesen war, neuerdings auch im Besitz einer fränkisch getönten Tracht ist, kann er bereits beim Patronatstag Anfang Mai in entsprechender Adjustierung seine Hand über die Schützen halten. Die Menge wird das genießen, und mit Recht, weil das Brauchtum, um mit Glos zu reden, ebenfalls zu den Standortvorteilen Bayerns gehört, mehr vielleicht als die CSU.

Viele werden hinter dem Gepränge freilich auch das von Ude erlebte Zerbröseln wahrnehmen, nicht so sehr das der CSU als vielmehr das von ihr bewirkte, indem sie an Bestände ging, die man ungestraft nicht schmälern sollte.

Es sind die "enttäuschten Eliten", wie der Historiker Hubert Glaser sie nennt, vornehmlich Leute aus Lehre und Heimatpflege, die sich bei diesem Thema in Rage reden, dass man um Blutdruck und Besonnenheit gleichermaßen bangt. Es geht um die Einziehung vermeintlich ineffektiver Lehrstühle genauso wie um die Auflösung des altehrwürdigen Bayerischen Obersten Landesgerichts, um das Zurückfahren der Denkmalpflege genauso wie um Lockerungen im Baurecht, die es möglich gemacht haben, dass jedes Nest zwischen sich und den Betrachter das immer gleiche und gleich hässliche Gewerbegebiet schiebt.

Zu satt, zu fett, zu träge

"Es ist kein Problem, wenn der Huber etwas Schiefes sagt", meint Wolfgang Pledl vom Landesverein für Heimatpflege, "wohl aber, wenn an die Wurzeln gegangen wird." Und wo er schon bei den Wurzeln ist, denkt Pledl auch ans Dach: Wer das abdecke, "dem rengts nei".

Von Zeit zu Zeit treffen sich ehemalige Mandatsträger der Nürnberger CSU im "Bratwurst-Röslein" zum Stammtisch, bei dem es in fränkischer Lebhaftigkeit und Geradheit zur Sache geht. Beckstein ist Vorsitzender ihres Bezirksverbandes, was - zusammen mit den herzhaften Rostbratwürsten - die Sicht auf die Lage naturgemäß ein wenig mildert, aber keineswegs vernebelt.

Wir sind, sagen die überaus kreglen Senioren, in den letzten Jahren zu satt, zu fett, zu träge geworden und haben dafür den verdienten Schuss vor den Bug bekommen. Ob das Tandem Beckstein/Huber Bestand haben wird? Man wiegt die Köpfe, sagt "I waaß net". Das ist nicht gegen Huber gesagt, aber für Beckstein, und dass man gern unter dem bayerischen Dach lebe, verstehe sich von selber, mit einer Einschränkung: "Mir ham die bessern Wärschd."

Später am Abend taucht die ominöse Floskel "50 plus x" auf und mit ihr die Frage, was passiert, wenn es für die CSU mal "50 minus x" ausgeht. Stadtrat Max Höffkes, mit 57 noch kein Senior, aber in diesem Kreis wohlgelitten, drückt es so aus: "Dann ist der Nimbus weg, dann merken die Wölfe, dass es was zu ernten gibt." Hört sich an wie eine Fußnote aus Nina Gockerells ungeschriebener Dissertation zum Totentanz.

© SZ vom 19.04.2008/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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