Umstrittene Skulptur in Lohr am Main:Mit Horrorwittchen zum Erfolg

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Mordlustiges Schneewittchen - in Lohr am Main hält die Diskussion über die moderne Schneewittchen-Skulptur an. Und treibt lukrative Blüten. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)
  • In der Kleinstadt Lohr am Main wird seit Monaten über eine moderne Skulptur des Schneewittchens gestritten.
  • Ein Gymnasiast wurde von dem Ärger inspiriert und sprühte ein Graffito eines zwergemordenden Horrorwittchens an eine Wand.
  • Von dem Kunstwerk sind die Lohrer offensichtlich deutlich mehr beeindruckt als von der Skulptur.

Von Katja Auer, Lohr am Main

Viel Deutungsspielraum lassen die Brüder Grimm wirklich nicht: Weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz ist ihr Schneewittchen, ein Geschöpf offenbar von entzückender Anmut. Da mag mancher in seinen märchenhaften Gefühlen gekränkt gewesen sein, als der Künstler Peter Wittstadt im vergangenen Jahr sein Schneewittchen vorstellte. Das ist nämlich zerrupft wie der Struwwelpeter und in etwa so grazil wie der Kartoffelkönig.

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Lohr am Main will die Heimatstadt des lieblichen Schneewittchen sein - doch seit ein Künstler eine moderne Skulptur geschaffen hat, hadern die Menschen mit dem hässlichen "Horrorwittchen". Das sprühte ein Gymnasiast nun auf eine Wand - und landete einen Hit.

Ein Horrorwittchen, eindeutig, meinten viele - und genau dieses hat Lohr am Main nun doch noch ein Happy End bereitet. Denn jetzt wird zwar Wittstadts Skulptur aufgestellt, so hat es der Stadtrat beschlossen. Aber es gibt auch ein neues Kunstwerk, ein Graffito, das den Lohrern offenbar näher am Herzen liegt. Das Horrorwittchen, wie es mit dem Messer in der Hand die sieben Zwerge jagt, wird auf T-Shirts und Tassen gedruckt, auf Uhren, Taschen und Autos. Voller Stolz. Jetzt ist Lohr Horrorwittchen-Stadt.

Eine unverfängliche Bronzefigur

Schneewittchen-Stadt will die Kommune in Unterfranken sein, sie hat sich selbst dazu ernannt. Inklusive Schneewittchen-Schild an der Autobahn. Ein Apotheker lieferte schon vor einigen Jahren mit den "wissenschaftlichen Methoden der Fabulologie" die Grundlagen für die Theorie, dass Schneewittchen aus Lohr am Main kommen muss. Der Wald, der Bergbau, der Spiegel, der gläserne Sarg - lässt sich alles ganz wunderbar in die Stadtgeschichte dichten. Lohr setzt seither ganz auf das Märchenimage. Also lobte die Schneewittchen-Stadt einen Schneewittchen-Kunstpreis aus und den gewann der Laudenbacher Künstler Peter Wittstadt. Eine Bronzefigur sollte es werden, soweit, so unverfänglich, war wohl der Gedanke, schließlich sind auch die bronzenen Bremer Stadtmusikanten in ihrer Heimatstadt ein Touristenziel und die Beine des Esels schon ganz blank gerieben, weil es Glück bringen soll, das Tierchen anzufassen.

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Der Wald! Die Berge! Es ist glasklar, dass Schneewittchen in Lohr am Main gelebt haben muss, meint ein örtlicher Hobby-Forscher. Das ließe sich hervorragend vermarkten - wenn da nur nicht der Ärger mit der Kunst wäre.

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Als dann aber Wittstadt sein drei Meter hohes Gipsmodell präsentierte, da brach in Lohr ein Aufruhr los wie bei den sieben Geißlein, als sich der böse Wolf in das Haus geschlichen hatte. Vom Krümelmonster und vom Schlossgespenst war die Rede, vom Schneewittchen mit den Stummelärmchen und den Spaghetti-Haaren. Eine Diskussion, wie sie auch andernorts schon geführt wurde, wenn jemand ein Kunstwerk aufstellen wollte in der Stadt. Dazu kam allerdings noch, dass der Stadtrat offenbar vergessen hatte, in der Ausschreibung eine Grenze zu formulieren, wie teuer das Ganze eigentlich werden dürfe. Die Kosten für die bronzene Skulptur summieren sich auf 110 000 Euro. Es wurde gestritten und gerechnet, bis der Stadtrat im Herbst schließlich mit drei Stimmen Mehrheit doch noch beschloss: Das Schneewittchen wird aufgestellt. Vor der neuen Stadthalle wahrscheinlich, da soll dann moderne Kunst zu moderner Architektur passen, allerdings dauert das noch eine Weile, das Bauwerk ist noch nicht fertig.

Devotionalien des Horrorwittchens

Er habe oft überlegt, warum sich die Leute eigentlich so aufgeregt hätten, sagt Bürgermeister Mario Paul. Wahrscheinlich habe es daran gelegen, dass sie sich mit der Figur nicht hätten identifizieren können. Das ist mit dem Horrorwittchen nun ganz anders. Der Gymnasiast Valentin Lude hat das mordlüsterne Weib - eindeutig inspiriert von Wittstadts Skulptur - zuerst auf eine Wand gesprüht, ganz legal, das sei erwähnt, die Stadt stellt dem Jugendzentrum immer wieder weiße Wände für derlei Kunst zur Verfügung. Dann ging es wie von selbst. Die emotionale Debatte kippte, "die Leute fanden das witzig", sagt Matthias Mehling, der in Lohr einen Weinhandel betreibt und irgendwann anregte, doch ein paar T-Shirts mit Ludes Graffito zu drucken, das längst im Internet kursierte. Er bot an, eine Sammelbestellung für ein paar Interessierte aufzugeben, "ich dachte so an 50 Stück", sagt er. Es waren dann 717.

"Darauf war ich organisatorisch nicht eingestellt", sagt Mehling. Jetzt schon. Inzwischen gibt es einen Online-Shop, in dem es nicht nur T-Shirts, sondern allerlei andere Horrorwittchen-Devotionalien zu erstehen gibt. Mehrere Lohrer Geschäftsleute beteiligen sich und er spreche alles mit dem Erfinder ab, sagt Mehling. Der 17-jährige Künstler selbst hält sich zurück. Er macht nächstes Jahr Abitur, ihm ist der Trubel um sein Graffito ein bisschen zu viel geworden. Das Jugendzentrum profitiert von seiner Idee. Gerade brachte Mehling einen Scheck über 5000 Euro aus dem Verkauf der ersten T-Shirts vorbei.

Und auch Bürgermeister Paul ist "hoch erfreut über diese private Initiative". Zum offiziellen Logo der Stadt will er das Horrorwittchen gleichwohl nicht machen. Auch wenn klar sein dürfte, wer den Lohrern inzwischen die Liebste ist im ganzen Land. Da ist es gar nicht mehr so wichtig, wer denn nun die Schönste ist.

© SZ vom 08.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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