Landtagswahlen in Bayern:Vergelt's Gott

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Die drohenden Verluste zeigen den Erfolg der CSU: Jahrzehntelang hat sie den Bayern geholfen, ihren Minderwertigkeitskomplex zu überwinden - jetzt braucht man sie als Staatspartei nicht mehr.

Heribert Prantl

Es ist der Herbst der CSU: Die Kommentare der Zeitungen fallen auf die CSU wie welkes Laub; die Meinungsumfragen riechen nach Abschied; der Wahlkampf spiegelt den vergilbten Glanz von alten Sommertagen. Seit Jahrzehnten ist nicht so lang und so entsetzlich viel von den Schwächen, Fehlern und Gebrechen der CSU geschrieben worden.

Ein Mann mit bayrisch anmutendem Regenschirm passiert ein CSU-Wahlplakat mit dem Konterfei des Ministerpräsidenten (Foto: Foto: ddp)

Nun weiß man auf einmal, warum die Christsozialen im Volksmund auch "die Schwarzen" heißen: Schwarz ist die Farbe der Trauer. So manche Reden von Huber und Beckstein gemahnen an den Psalm 129: "Wolltest Du, Herr, der Sünden gedenken, Herr, wer würde da noch besteh'n." Dieser Psalm spielt im christlichen Begräbnisritus eine wichtige Rolle.

Es ist aber nicht die CSU, die beerdigt wird. Diese CSU steht nach Prozenten noch immer sehr viel besser da als jeder Landesverband der CDU. Zu Grabe getragen wird nur ihr Nimbus, ihr Ruf der Einzigartigkeit, ihre Dominanz, ihre Allmacht. Doch was heißt hier "nur"? Zu Grabe getragen wird damit der Anspruch der CSU, Bayern zu verkörpern - samt Zugspitze, Audi, BMW und Oktoberfest. Zu Grabe getragen wird der Rauten-Absolutismus, beerdigt wird der Glaube, dass Lederhosen und Landratsämter der CSU gehören.

Das Requiem für die weiland Staatspartei zelebrieren nicht erst die Wähler am kommenden Sonntag. Dieses Requiem hat schon in den letzten Stoiber-Jahren begonnen, als die Treuesten der Treuen vor der Staatskanzlei protestierten: die hohen bayerischen Richter gegen die Auflösung des traditionsreichen Bayerischen Obersten Landesgerichts und die braven bayerischen Förster gegen die Privatisierung des Staatsforstes.

Diese und andere Reformen Stoibers waren in ihrer Brachialität für die CSU-Geschichte fast so etwas wie der bethlehemitische Kindermord für die Weihnachtsgeschichte. Seitdem flüchten auch Traditionswähler vor der CSU.

Beckstein und Huber können den Glanz und die Herrlichkeit der CSU weder auffrischen noch verkörpern. Sie können es nicht nur deswegen nicht, weil sie die Statur dafür nicht haben. Selbst wenn sie Strauß'sche Statur hätten - das Land hat sich so verändert, dass es einen Strauß und die alte absolutistische CSU nicht mehr ertrüge.

Diese Veränderung ist ein Verdienst der CSU; sie hat diese Veränderung über Jahrzehnte hin angetrieben, Bayern wurde ein Zuwanderungsland für qualifizierte Arbeitskräfte und ihre Familien; die CSU hat Wirtschaft und Verkehr völlig neu gestaltet, sie hat Bildung aufs Land gebracht; dies alles oft mit grausamen Fehlern, aber immerhin und letztlich doch - Bayern ist heute ein modernes und aufgeklärtes Land.

Das ist ein Erfolg der CSU: Die Leute sind so selbstbewusst geworden, dass sie die CSU heute weniger brauchen als früher. Sie brauchen keinen politischen Christophorus und keinen Gebrechlichkeitspfleger mehr.

Die Bayern, bei denen der kraftmeierische Heimatstolz die andere Seite eines latenten Unterlegenheitsgefühls war, sind weltläufiger geworden. Sie leiden nicht mehr an einem heimlichen Minderwertigkeitskomplex, sie müssen ihn also auch nicht durch einen christlich-sozialen Triumphalismus ausgleichen. Aus einer Hegemonialpartei CSU wird daher eine Normalpartei; und aus der bayerischen Spezialdemokratie wird gewiss keine Sozialdemokratie, aber eine Normaldemokratie.

Lesen Sie auf der nächsten Seit, wie die CSU den Bayern eine neue Aufklärung geschenkt hat.

Die politische Landschaft wird vielgestaltiger, die Monochromie, die im Guten wie im Schlechten das Land geprägt hat wie nichts seit den Wittelsbachern, geht zu Ende - und damit wohl auch die Kontinuität bei der Elitenbildung, die zwar nicht demokratisch, aber praktisch und lange Zeit erfolgreich war.

Neue Aufklärung für die Bayern

Die neue Selbstsicherheit der Bayern ist nolens volens ein Werk der CSU: Die CSU hat, auch wenn sie das so gar nicht unbedingt wollte, dem Land eine neue Aufklärung geschenkt. Sie hat das Bildungsnetz verdichtet, höhere Schulen in den ländlichen Gebieten gebaut und Universitäten in der Provinz, sie hat die Ausbildung der Grund- und Hauptschullehrer akademisiert, die Bildungsreserve mobilisiert und Bayern an die deutschen Spitze im Pisa-Ranking geführt.

Sie hat das Atomei zu den Landeiern gebracht, sie hat aus einem Agrarland ein Hightech-Land gemacht. Die CSU hat ein leistungsfähiges Straßennetz gebaut, so die Mobilität der Bevölkerung des Flächenlandes erhöht und damit das Stadt-Land-Gefälle nivelliert. Nun schwappt die Moderne aus den Zentren in die Provinz, die vielgestaltig, disparat, unübersichtlich und kritisch geworden ist - das Land wächst der CSU über den Kopf.

Der CSU passiert, was Eltern gelegentlich über ihre Kinder sagen: Erst zieht man sie groß, dann werden sie frech. Die Frechheit besteht in diesem Fall nur darin, dass das Wort der CSU nicht mehr so unverrückbar gilt wie einst das Amen in der Kirche. Kluge Eltern wissen, dass das halt so ist. Die CSU muss es noch lernen. Das Land hat sich emanzipiert; und für die CSU bedeutet diese Emanzipation erst einmal Entfremdung: Die Partei hat das früher untrügliche Gespür dafür verloren, was die Leute wollen.

Früher konnte sie die Leut mit Gewerbegebieten, Autobahnen, Ringkanälen und Dreifachturnhallen wunderbar beglücken. Und mit dem Zuschuss für ein neues Tanklöschfahrzeug der Feuerwehr war die Wahl des Stimmkreiskandidaten schon fast gesichert. So einfach funktioniert es nicht mehr. Die Bayern sind anspruchsvoller geworden - dank der CSU.

Es ist auch nicht mehr so, dass die Musik immer da spielt, wo die CSU ist. Die berühmtesten Volksmusikanten sind nicht die, die bei der Weihnachtsfeier der Partei auftreten, sondern die, die sich seit Jahr und Tag über die CSU lustig machen. Die CSU rächte sich damit, dass sie Schulbücher einstampfen ließ, wenn darin ein landeskritisches Liedlein stand.

So freilich sieht das Eingeständnis einer Niederlage aus, die sich abseits der Wahlurnen längst ereignet hat: Früher hat die CSU das Neue, das ihr noch Fremde, nicht eingestampft, sondern sich lustvoll einverleibt, Sudetendeutsche und Preußen inklusive. Die CSU hatte gewaltige Inkulturationskraft.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie in Bayern eine neue Heimatkultur entstanden ist - und zwar ganz ohne die CSU.

Aber auf einmal gibt es junge Bayern, die sich ganz selbstverständlich einen Trachtenhut aufsetzen, aber mit der CSU nicht viel am Hut haben. Gerhard Polt, Helmut Dietl und Sepp Bierbichler haben eine bayerische Subkultur salonfähig gemacht. Und nun macht eine ganze Generation junger Bayern in Film, Theater und Musik die Furore, die früher die CSU in der deutschen Politik gemacht hat.

Bayerischer Kult

Es gibt auf einmal viel Bayern außerhalb der CSU. Früher rannten die Menschen in Norddeutschland in die großen Säle, wenn Franz Josef Strauß kam. Heute rennen sie ins Kino, um Marcus H. Rosenmüllers "Wer früher stirbt ist länger tot" oder "Schwere Jungs" zu sehen. Ein Christian Stückl inszeniert in Salzburg, in Indien und am Münchner Volkstheater. Und der Schauspieler Maximilian Brückner war der Shooting-Star der Berlinale 2007.

Eine neue bayerische Heimatkultur ist Kult in Deutschland; und dieser Kult hat mit dem krachledernen Getöse, mit dem das Land einige Jahrzehnte lang vermarktet worden ist, nichts zu tun. Es gibt wieder, nicht nur zum Oktoberfest, viel mehr Tracht und Brauchtum als früher. Und wenn einer von auswärts glaubt, die Tracht sei eine Art Parteiuniform der CSU - dann zeigt man ihm einen Vogel.

Es ist so: Die CSU ist zwar die Partei, die einst das schöne Bayernland erfunden hat; sie hat aber geglaubt, es sei ausreichend, es einmal, und dann für immer, erfunden zu haben. Jetzt erfindet das Land sich neu, aber die CSU ist nicht dabei.

Das alles ist kein Anlass für Häme und Überheblichkeit, sondern für Dankbarkeit: Vergelt's Gott für alles. Die CSU hat Land und Leute in die Lage versetzt, sich von ihr zu emanzipieren. Das ist eine gewaltige Leistung, darüber darf man sich freuen.

Es soll nun so sein wie bei einer schönen bayerischen Beerdigung auf dem Dorf: Nach der Einsegnung holt die Blaskapelle neue Noten heraus, bläst die Melancholie wieder weg, und zieht an der Spitze der Trauergemeinde mit einem fröhlichen Lied ins Wirtshaus zum Leichenschmaus. Das Leben geht weiter.

© SZ vom 26.09.2008/aho - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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