Landtagswahl 2013:Frustrierte Piraten kämpfen mit sich selbst

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Die Umfragewerte stiegen, die Mitgliederzahlen auch und die bayerischen Piraten sahen sich bereits in der Rolle des Königsmachers bei der Landtagswahl 2013. Doch plötzlich häufen sich die Austritte, es fehlt an Geld - und vor allem: an Ideen.

Oliver Hollenstein und Charlotte Theile

Es ist das vierte Mal, dass er anruft, und diesmal klingt Stefan Körner, Vorsitzender der Piraten in Bayern, zerknirscht: "Wir haben die E-Mail doch gefunden. Es war genau so, wie Herr Anacker sagt." Leicht scheint ihm der Anruf nicht zu fallen.

Die Anziehungskraft der Partei hat nachgelassen. Jetzt soll die Politik transparenter und der Bürger stärker beteiligt werden. (Foto: Johannes Simon)

Noch am Vortag hatte Körner öffentlich gepoltert, die Partei habe aus der Zeitung erfahren müssen, dass Mike Anacker, bis dato Pressesprecher der Piraten in Erding, die Partei verlassen habe, das sei schlechter Stil. Nun hat er noch mal genauer nachgeschaut und festgestellt: Anacker ist bereits am 7. August ausgetreten und hat seine Entscheidung ausführlich begründet. Es dauerte halt einfach, bis das bei seiner Partei ankam.

Es ist diese Mischung aus entwaffnender Ehrlichkeit und Unprofessionalität, die die Piraten vielen sympathisch machte, sie als junge, wohltuende Alternative zum etablierten Parteiensystem im Winter und Frühjahr von einem Wahlerfolg zum nächsten trug. In Bayern, dem größten Landesverband Deutschlands, explodierte die Zahl der Mitglieder innerhalb weniger Monate von 2600 auf 7000.

Das sind mehr Menschen als bei der FDP und fast genauso viele wie bei den Grünen. Und wenn die Umfragen recht behalten, könnten die Polit-Neulinge bei der Landtagswahl 2013 der ausschlaggebende Faktor sein, entscheiden, ob Christian Ude oder Horst Seehofer Ministerpräsident wird.

Katerstimmung statt Euphorie

Doch ob das gelingt, ist fraglich. Die Umfragewerte haben sich verschlechtert, derzeit erreichen die Piraten sechs Prozent, wären also im Landtag. Aber es wird knapp. Sechs Prozent. Nach den furiosen Wahlsiegen in Berlin, Saarland, Schleswig-Holstein und NRW klingt das schon nach sehr wenig. Und so herrscht Katerstimmung: Viele, die anfangs begeistert waren, wenden sich in jüngster Zeit von den Piraten ab.

Wenn die Partei in gut zwei Wochen zum Parteitag in Maxhütte-Haidhof zusammenkommt, wird die Zahl der Mitglieder wohl wieder deutlich unter 7000 liegen. Denn nachdem mehr als die Hälfte ihre Beiträge nicht bezahlt hatte, verschickte die Partei vor kurzem 1200 Zahlungserinnerungen - und prompt trat jeder zehnte Angeschriebene aus der Partei aus.

Auch der Erdinger Mike Anacker nahm die Zahlungserinnerung zum Anlass, die Partei zu verlassen. Im Frühjahr erst war er eingetreten, kurz darauf wurde er zum Pressesprecher des Stammtischs gewählt. Sein Thema war der öffentlichen Nahverkehr. Alles andere interessiere ihn nicht, beschweren sich die Kollegen heute. Pressesprecher blieb Anacker trotzdem, auch, weil es kein anderer machen wollte. Doch richtig rund lief es nicht mit ihm und den Piraten. Die Partei kreise nur um sich selbst, sei inkompetent und chaotisch, erzählte er Anfang der Woche in einem Interview. Das große Ziel Transparenz werde nicht umgesetzt. Und: Wer Kritik äußere, werde niedergemacht.

Er hat jüngst für Äger in der Piraten-Partei gesorgt: Mike Anacker hat sein Amt als Pressesprecher abgegeben und ist aus der Partei ausgetreten - dort hat es nur niemand bemerkt. (Foto: Renate Schmidt)

Dass die Partei überhaupt Personen wie Anacker, der jahrelang CSU-Mitglied war, anzieht, zeugt von einer Veränderung, die der Erfolg mit sich bringt. Man sei vielstimmiger geworden, bestätigt Aleks Lessmann, Politischer Geschäftsführer der bayerischen Piraten. "Aber das ist gut, denn so kommen wir zu noch besseren Ergebnissen." Schließlich lautet der Grundsatz der Partei: Jeder darf alles sagen. Wir bringen in die politische Diskussion, was die Menschen bewegt. Ein Versprechen, das politisch Frustrierte anzieht wie ein Magnet.

Die Folgen lassen sich nicht nur in Erding beobachten. Emmanuelle Roser war bis vor ein paar Wochen Vorsitzende der Piraten in Oberbayern, jetzt ist sie nur noch einfaches Parteimitglied. Als Vorsitzende ist die 39-Jährige zu sämtlichen Kreisverbänden und Stammtischen der Region gefahren, die Probleme dort kennt sie hautnah.

Überall gebe es Mitglieder, die vor allem eingetreten seien, um ihre eigene Agenda durchzusetzen. "Die hören in den Medien, wir hätten keine Themen, und denken: Das ist meine Chance. Seit 30 Jahren kämpfe ich gegen Windräder, bei den Piraten kann ich das endlich im Bundestag tun." Doch in einer Partei, die sich als Hort der offenen, sachbezogenen Diskussion verstehe, hätten die Einzelkämpfer kaum Chancen, sagt Roser. Gerade für ältere Menschen mit parteipolitischer Erfahrung sei es schwer, sich anzupassen.

"Solche Austritte schärfen unser Profil"

Für Piraten-Chef Körner ist die Austrittswelle auch ein Reinigungsprozess. "Es schärft unser Profil, wenn diese Leute wieder gehen." Dabei könnte die Partei engagierte Mitglieder gut gebrauchen, kämpft sie doch noch mit einigen Problemen - gerade im Hinblick auf die Landtagswahl. Die Parteiführung schätzt, dass sich etwa ein Viertel der Mitglieder an politischen Stammtischen und Diskussionen im Internet beteiligt - und damit eine riesige Flut an Informationen produziert. Sie auszuwerten, in Thesen zu verpacken, nach außen zu verkaufen, dafür fänden sich aber nur wenige. "Wir machen das alles in unserer Freizeit", sagt Geschäftsführer Lessmann. "Da bleibt halt viel liegen."

So auch beim Thema Finanzen. Gerade erst wurde berichtet, dass die Piraten wegen chaotischer Buchhaltung den Jahresabschluss nicht rechtzeitig vorlegen können. Schlimmstenfalls könnte die ohnehin klamme Partei durch das Versäumnis aus der staatlichen Finanzierung fallen. "Es dauert länger, aber wir kriegen das hin", hofft Lessmann.

Das Programm? Verschoben

Doch den Piraten fehlt es nicht nur an Geld für den Wahlkampf: Womit sie die Wähler überzeugen wollen, ist ebenfalls unklar, ein Programm gibt es bisher nicht. Im Frühjahr hat die Diskussion darüber begonnen, ursprünglich sollte es im Herbst fertig sein. Nun ist von Mai die Rede, doch die Diskussion dauert an. Gut möglich, dass die Partei doch mehr Leute wie Anacker gebrauchen könnte, die konsequent und themenbezogen arbeiten.

Chaos, mangelndes Engagement, fehlende Ziele - das frustriert viele an der Basis. Seit April stagnieren die Mitgliederzahlen. Einer, der schon vor ein paar Monaten ausgetreten ist, bringt es auf den Punkt: "Die Euphorie, diese Aufbruchsstimmung - das ist vorbei."

© SZ vom 31.08.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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