Landkreis Ebersberg:Lebensfroher Landwirt mit vielen Talenten

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Georg Reitsberger von den Freien Wählern ist Sinnbild für Bodenständigkeit, aber er kann auch mit Roten und Grünen.

Lars Brunckhorst

Kaum zu glauben, dass diese Hände künftig in Aktenordnern blättern, Schriftsätze unterzeichnen und die Armlehnen der rotbespannten Fauteuils im Maximilianeum streicheln könnten. Die breiten Finger mit den kurzen Nägeln und schwarzen Rändern, die in den Korb voller Kartoffeln greifen, zeigen, dass ihr Besitzer in seinem Leben nie etwas anderes gemacht hat, als mit seinen Händen zu arbeiten. Georg Reitsberger ist Landwirt mit Leib und Seele. Doch nun, mit 55 Jahren, möchte er Landtagsabgeordneter werden.

Dass Georg Reitsberger alles andere als ein Bauer ist, dessen Horizont nur bis zum Ende der eigenen Felder reicht, zeigt sich auch daran, dass er vor einigen Jahren in der Vaterstettener Partnerstadt in Äthiopien war. (Foto: Foto: Schmid)

Diese Wendung kam auch für den Vaterstettener selbst überraschend. Als sich die Mitglieder der Kreisgruppe der Freien Wähler im Mai in Herrmannsdorf bei Glonn trafen, um aus ihrer Mitte einen Landtagskandidaten für die Wahl am 28. September zu bestimmen, hatte Reitsberger selbst nicht im Geringsten damit gerechnet, dass die Wahl am Ende auf ihn fallen könnte. "Das war für mich eine ziemlich schnelle Entscheidung", sagte er hinterher zur SZ. Es war vor allem der FW-Kreisvorsitzende, der ihn bedrängt hatte. "Schuld ist der Schermann Wolfgang", sagt Reitsberger. "Der hat zu mir g'sogt, i sollt's machen."

Zweifellos gibt es andere, profilierte Leute unter den Freien Wählern, Bürgermeister etwa oder erfahrene Kreisräte oder zumindest langjährige Funktionäre. Doch entweder wollten diese selbst nicht oder ein Großteil der Freien Wähler wollte sie nicht. So war Reitsberger vielen Freien Wählern ein willkommener Kandidat, um etwa die Ambitionen des umstrittenen Wolfgang Beer aus Grafing zu beenden, gegen den derzeit ein Ausschlussverfahren läuft. Und für Reitsberger sprach, dass er mit 11.385 Stimmen bei der Kommunalwahl im März der unangefochtene Häufelkönig unter den Kandidaten der Parteifreien war.

Vergleich mit Filser

Dieser Zuspruch kommt nicht von ungefähr. Der Landwirt und Gemeinderat aus Vaterstetten ist weit über die Ortsgrenzen hinaus bekannt, was nicht nur, aber vor allem an seinem Hof liegt, den der frühere Vaterstettener Bürgermeister Peter Dingler einmal treffend als das eigentliche Ortszentrum der Gemeinde bezeichnet hat und der zu einem weithin bekannten Erlebnishof geworden ist, auf dem täglich Tag der offenen Tür ist.

Denn auf dem Reitsberger-Hof stellen nicht nur viele Reiter ihre Pferde unter und ist der erfolgreiche Voltigierverein Ingelsberg zu Hause, Hofherr Reitsberger gewährt auch Volkshochschule und Kindergärten schon mal ein Dach über dem Kopf. Auf seinem Hof findet außerdem jeden Freitag ein Bauernmarkt statt und im Herbst seit vielen Jahren der Wollmarkt mit Tausenden von Besuchern.

Bei ihm feiern Katholiken Kirchweih, Abiturienten das Schulende und Rapper oder Techno-Fans laute Partys. Da kommen Stadtkinder, die noch nie eine Kuh aus der Nähe gesehen haben, zum Kälberfüttern, Traktorfahren und Ponyreiten und schließlich gehört zum Hof einer der wenigen Biergärten am Ort.

Georg Reitsberger auf seinen Hof und die Landwirtschaft zu begrenzen, wäre allerdings zu wenig und würde dem Tausendsassa nicht gerecht. Der Spross einer alten Vaterstettener Familie ist unter anderem seit fast einem Vierteljahrhundert Vorsitzender des Vereins für Gartenbau und Ortsverschönerung, er ist ein wegen seiner genauen Orts- und Geschichtskenntnisse viel gefragter Heimatchronist und hat einem ganzen Wohnviertel, das auf seinen Äckern entstanden ist, seinen Namen gegeben.

Und das ist bei weitem noch nicht alles: Reitsberger war einer der ersten Landwirte, die ein alternatives Kraftwerk errichteten, um aus Gülle Biogas zu gewinnen und zu nutzen. Er stellte das Dach eines Stalles für das erste Bürgersolarkraftwerk in der Gemeinde zur Verfügung, er legt ökologisch wertvolle Feldgehölze an und verpachtet Ackerflächen an den Verein Ökogarten und als Parzellen für die Aktion Sonnenäcker.

Bodenständig und kein Kind von Traurigkeit

Dass Georg Reitsberger alles andere als ein Bauer ist, dessen Horizont nur bis zum Ende der eigenen Felder reicht, zeigt sich auch daran, dass er vor einigen Jahren in der Vaterstettener Partnerstadt in Äthiopien war.

Und nun also der Landtag. Die staunenden, zum Teil zweifelnden Blicke und Bemerkungen, die seine Kandidatur erntet, kontert er offensiv, noch ehe die Rede darauf kommt: "I woaß scho, da kommen glei' die Witze mit dem Filser." Wie die Figur von Ludwig Thoma sei auch er Bauer, bodenständig und "kein Kind von Traurigkeit", sagt Reitsberger. Alles in allem ist er aber überzeugt, dass auch Landwirte in den Landtag gehören. "Da sollte sich schon das Volk widerspiegeln. Juristen, Beamte und Lehrer, die gibt's da drinnen schon genug."

Dass er möglicherweise demnächst im Plenarsaal des Landtags am Rednerpult stehen soll, das kann sich der Kandidat allerdings selbst noch kaum vorstellen. "Deutsch war meine erste Fremdsprache", sagt er über sich. Und: "Ich bin kein Mensch der vielen Worte." Andererseits: "Im Leben muss man immer wieder dazu lernen."

Auf ein Wahlprogramm des Kandidaten, der im Landkreis immerhin gegen die stellvertretende Ministerpräsidentin, einen SPD-Kreisvorsitzenden und den Landesschatzmeister der Grünen antritt, wartet man freilich vergeblich. Statt über Bildungs- und Steuerpolitik, Flughafenausbau und Pendlerpauschale spricht Reitsberger lieber von der Landschaft und Geschichte des Landkreises, von der Historie und Bedeutung der Kartoffel, von dem Spaß, den die Kinder auf seinem Hof finden, und davon, wie schön es sei, in Bayern zu leben. Und so lässt sich, auch mit seinem Einverständnis, sein Wahlprogramm auf seine eigene Lebensmaxime reduzieren: "Lebensfreude!"

Und auch den Wahlkämpfer Reitsberger sucht man vergeblich. Zwar klebt die Familie Plakate mit seinem Konterfei, war FW-Spitzenkandidat Hubert Aiwanger zu einer Wahlveranstaltung auf seinem Hof und würde er auch gerne Gabriele Pauli holen ("Die tat mich schon selbst interessieren."); um Stimmen werben aber würde Reitsberger nie. "Ich möchte mich nicht den Wählern anbiedern. Die sollen sehen, dass ich für Werte stehe."

Von Fusel und Prozenten

Und die sind - trotz grüner Züge - konservativ. "Man hat ja seine Vorstellungen, wenn man in Bayern geboren ist", sagt er vielsagend über seine politische Einstellung. Sollte er gewählt werden - was angesichts seines Listenplatzes 46 allerdings eher unwahrscheinlich ist - hätte die CSU in ihm denn auch kaum einen Oppositionellen zu fürchten.

So hat Reitsberger - obschon sein Landesvorsitzender Hubert Aiwanger immer den Bruch der absoluten CSU-Mehrheit postuliert - im Ebersberger Kreistag geholfen, dass die Christsozialen eben diese in den Ausschüssen behalten, obgleich sie für sie entsprechend dem Wahlergebnis eigentlich schon verloren war. Und auch im Vaterstettener Gemeinderat stimmt er meist mit der CSU. Er selbst sagt dazu: "Im Gemeinderat und Kreistag kennt man sich eben."

Dem "bürgerlichen Lager" fühlt er sich zugehörig, doch Reitsberger kann auch mit den Anderen. "Es gibt auch bei den Grünen und Roten überzeugte Bayern." Und den Alleinvertretungsanspruch der CSU lässt er ohnehin nicht gelten. "Die CSU ist eine Partei, aber nicht Bayern." Deshalb würde es der bisherigen Mehrheitspartei nach seiner Meinung nicht schaden, wenn sie künftig "ein bisserl koalieren muss".

Zu einer der vielen Fähigkeiten Reitsberger gehört übrigens, dass er zu besonderen Anlässen einen Schnaps zu brennen pflegt. Als etwa Robert Niedergesäß im März in Vaterstetten wiedergewählt wurde, gab es einen Bürgermeisterschnaps - passend zum Wahlergebnis mit 75 Prozent. Wie viel Prozent der Schnaps haben wird, den er am Abend des 28. September ausschenken wird? Reitsbergers Antwort kommt spontan: "Er sollte schon anständige Prozente haben, dass es kein Fusel wird."

© SZ vom 16.09.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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