Kurzarbeit:Nichts zu tun

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Arbeit? Von wegen. Kurzarbeit hat Konjunktur: Peter Hofbauer vom Druckmaschinenhersteller MAN ist einer von 263.602 Arbeitern in Bayern, die nach Hause geschickt werden.

Mike Szymanski, Augsburg

Wieder so ein beklemmender Moment. Da hebt der Kollege zum Abschied die Hand und sagt: "Bis August." Niemand freut sich. Peter Hofbauer schon gar nicht. Was ist nur los in seinem Betrieb, dem Druckmaschinenhersteller MAN Roland in Augsburg? Noch vor einem Jahr um diese Zeit japsten er und die Kollegen, weil sie nicht wussten, wer all die Arbeit erledigen sollte. Jeder Mann wurde gebraucht. Und nun?

Peter Hofbauer aus Augsburg macht seit April Kurzarbeit. (Foto: Foto: Johannes Simon)

Jetzt gehen in manchen Hallen nachmittags schon kurz nach 14 Uhr die Lichter aus. Dutzende kleine Werkzeugwagen sind in einer Hallenecke zusammengeschoben. Es sieht aus wie auf einem Supermarktparkplatz am Sonntag: nichts los. Aber heute ist Dienstag. Ein Kollege von Hofbauer hockt an seinem Schreibtisch, die Arme aufgestützt, und schält lustlos einen Apfel. Es gibt zu wenig Arbeit für alle.

Deshalb hat auch Peter Hofbauer jetzt schon Feierabend. Es ist gerade mal zwölf Uhr mittags. Hofbauer, 46 Jahre alt und sonst ein Mann von zupackender Art, "ist jetzt in kurz". So sagen die Leute hier in der Fabrik, die etwa 3000 Arbeiter und Angestellte beschäftigt.

"Es ist kein Land in Sicht"

Im März ging es bei MAN Roland mit Kurzarbeit los. Hofbauer traf es im April. Der gelernte Kommunikationselektroniker, der Steuerschränke für die großen Druckmaschinen verkabelt, wurde erst für vier Tage im Monat nach Hause geschickt, im Juni waren es dann schon acht Tage, jetzt im Juli zwölf, im August womöglich schon 15. Dann ist er mehr zu Hause als im Betrieb. "Anfangs dachte ich: toll, ein paar Tage frei. Jetzt denkt man, hoffentlich gibt es bald wieder Arbeit."

Arbeit? Von wegen. Überall werden die Maschinen heruntergefahren. Allein im Freistaat waren es im März 263.602 Menschen, für die es nicht genug Arbeit gibt und die von ihren Betrieben zeitweise nach Hause geschickt wurden. Bundesweit sind es mehr als 1,2 Millionen, die darauf warten, dass sie wieder gebraucht werden.

Kurzarbeit ist das arbeitsmarktpolitische Instrument der Stunde, mit dem Deutschland diese Wirtschaftskrise bewältigen will. Erst hat die Bundesregierung die Zeit, in der Kurzarbeitergeld maximal gezahlt wird, von zwölf auf 18 Monate verlängert, dann auf zwei Jahre. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) sagte neulich: "Wir haben Hunderttausende Arbeitsplätze durch die Kurzarbeit gerettet."

Für Hofbauer ist nichts gerettet. "Es ist kein Land in Sicht", sagt er. Sein Arbeitgeber hat wegen der Branchenflaute im Jahr 2008 mehr als die Hälfte seines Gewinns eingebüßt, erfuhr er im März. Seither hat sich die Lage weiter verschlechtert. Hofbauer rechnet für sich so: Vor einem Jahr noch schraubten sie in seiner Abteilung an vier Steuerschränken gleichzeitig. Heute steht nur ein Steuerschrank neben seinem Arbeitsplatz. Er ertappt sich selbst dabei, wie er sich freut, weil wegen eines Feuers in einer Druckerei in Madrid ein Auftrag reinkam. "Versicherungssache. Das tut gut", sagt er. "Früher hieß es bei Brandschäden: das auch noch."

Jetzt trifft er seine Kollegen und Nachbarn am frühen Nachmittag im Baumarkt, weil es zu Hause immer was zu tun gibt. "Neulich waren es drei Kollegen. Alle in kurz", sagt Hofbauer.

"Mir rennen die Leute die Bude ein"

Wenn die anderen plötzlich viel Zeit haben, dann hat Helmut Sörgel wenig. Er ist Psychiater, hat eine kleine Praxis in Nürnberg. 66 Jahre ist er jetzt alt, er wollte es eigentlich langsamer angehen lassen. Daraus wird nichts. "Mir rennen die Leute die Bude ein", sagt er. Auch Kurzarbeit macht krank, wie Arbeitslosigkeit. "Vielleicht nicht so schnell", sagt Sörgel. "Diese Krise hat so etwas Elementares. Die Patienten, die zu mir kommen, haben das Gefühl, dass auch in ihrem Leben plötzlich alles zusammenbrechen könnte. Manche haben Panik."

Es gibt Kurzarbeiter, die berichten, dass sie von morgens bis abends die Wohnung putzen, um die Zeit, die sie nicht haben wollten, totzuschlagen. Andere gehen plötzlich joggen. So als könnten sie der Krise davonlaufen. Das Schlimme an Kurzarbeit ist, dass man ihr ausgeliefert ist. In einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarktforschung in Nürnberg heißt es: "Für den Arbeitnehmer kann Kurzarbeit eine Schonzeit sein oder ebenso eine Galgenfrist", falls sie in Arbeitslosigkeit endet. "Man kann nur abwarten", sagt Sörgel. "Gerade das ist so belastend."

Auch bei Familie Hofbauer hat sich in den vergangenen Wochen ein Gefühl ins Haus geschlichen, das sie lange nicht mehr empfunden hat: Existenzangst. Die Hofbauers, das sind Vater Peter, Mutter Katrin, Tochter Denise und Sohn Tim. Sie wohnen im Augsburger Stadtteil Kriegshaber, wo die Häuser klein, dafür aber erschwinglich sind. Peter Hofbauer muss seines noch abzahlen. "Wenn es den Kindern mal schlechtgeht, können sie zumindest hier wohnen", so denkt er und hält das Geld zusammen.

Hofbauer verdient 2000 Euro netto, seine Frau arbeitet als Sprechstundenhilfe auf 400-Euro-Basis. Ihr Job ist sicher, sagt sie. Krank werden die Leute immer. Seitdem aber Peter Hofbauer auf Kurzarbeit ist, fehlt der Familie Geld. Kurzarbeiter bekommen 60 oder, wenn sie Kinder haben, 67 Prozent ihres Nettogehalts vom Staat: das Kurzarbeitergeld. Anfangs waren es 150 Euro im Monat, die Hofbauer fehlten. Mit jedem Tag, den er länger zu Hause bleiben muss, wird das Haushaltsloch größer.

Er und seine Frau Katrin, 43, sitzen in ihrem Garten unter der Markise. "Ich hätte nicht gedacht, dass es so krass kommt. 15 Tage Kurzarbeit im August", sagt Katrin Hofbauer. "Was kommt noch?" Es ist ein Gespräch, wie sie es nun oft führen. "Ich wollte es anfangs auch nicht wahrhaben", sagt ihr Mann. "Wir versuchen, Geld wegzulegen."

Nach Schonzeit hört sich das nicht an

Geld weglegen - so einfach ist das nicht. "Sonst sind wir mit der Familie mal zum Italiener gegangen oder zum Griechen", sagt Katrin Hofbauer. "Das machen wir nicht mehr." Familie Hofbauer kauft jetzt beim Discounter, dann wird gegrillt. So richtet sie sich in der Krise ein.

Tochter Denise ist 18 geworden. Eigentlich wollten sich Hofbauers ein zweites Auto anschaffen, darauf verzichten sie. Immerhin hat Denise schon einen Ausbildungsplatz. "Ein Glücksfall", sagt der Vater. Nur vier aus ihrer Klasse wüssten, was sie von Herbst an machen, alle anderen hätten Absagen bekommen.

Die Hofbauers jammern nicht schnell. Sie reagieren nur auf das, was womöglich noch auf sie zukommt. Hofbauers Kollegen machen es genauso. Jeder rechnet jetzt, ob das Gehalt noch reicht, um die Raten fürs Haus zu bedienen. Und vor allem, wie lange das noch so geht. Nach Schonzeit hört sich das nicht an.

© SZ vom 03.07.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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