Kommentar:Fern vom Leben der anderen

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Die SPD erkennt derzeit selbst, dass sie zu weit weg von dem ist, was die Menschen im Alltag wirklich beschäftigt

Von Lisa Schnell

Ein Indiz dafür, dass es wirklich vorbei sein könnte, ist die Gleichgültigkeit. Das gilt für Liebesbeziehungen wie für die Beziehung zwischen Wählern und ihrer Partei. Fast vorbei ist es bei der SPD. Über sie regen sich die meisten nicht mal mehr auf, sie ist ihnen einfach egal. Das merkten die Genossen schon während des Wahlkampfs, das müssen sie aus dem desaströsen Ergebnis von 15,3 Prozent in Bayern schließen.

Die SPD wirkt seltsam entrückt, fern jeglicher Lebenswirklichkeit. Das erkannte schon Florian Pronold, als er zum Landeschef gewählt wurde. 2010 war das. Sieben Jahre später hat seine Nachfolgerin Natascha Kohnen die gleiche Einsicht. "Ihr wollt doch gar nicht wissen, wie wir leben wollen", umschreibt sie die Botschaft vieler Wähler an ihre Partei. Einer solchen Entfremdung kann inhaltlich begegnet werden. Kohnen kündigt einen Linksruck an. Die Partei scheint jetzt noch nicht ganz zu wissen, wie der genau aussehen soll, und linke Positionen haben es im bürgerlichen Bayern eher schwer. Eine Besinnung auf ihre Überzeugungen ohne Kompromisse kann der SPD aber helfen, ihre Glaubwürdigkeit zurück zu gewinnen. Denn nur denen, die man ernst nimmt, hört man auch zu. Dafür, dass eine inhaltliche Neuausrichtung bei den Leuten überhaupt ankommt, ist aber etwas anderes viel wichtiger. Die Partei muss wieder da hin, wo die Menschen sind. In Bayern heißt das: bei der Feuerwehr, auf der Kirchweih, in den Trachtenvereinen oder in den Städten, wo die Verluste für die SPD besonders schmerzlich sind: im Mieter- oder im Sportverein. Dass die SPD auch um AfD-Protestwähler kämpft, ist richtig. Sie kann es sich nicht leisten, sie zu ignorieren. Anders als die Anhänger der Grünen, sehen 38 Prozent der SPD-Wähler in Bayern Flüchtlinge als eine Belastung an. Die Sorge um Verteilungskämpfe in den unteren Einkommensschichten spielt hier eine Rolle. Auch wenn es sich oft um irrationale Ängste handelt, muss die SPD sie hören und eine Antwort geben. Selbst wenn die Antwort nicht gefällt - es wäre schon viel gewonnen, wenn die SPD wieder so ernst genommen wird, dass man sich zumindest über sie aufregt.

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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