Klettersteige in Bayern:Berg ohne Notausgang

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In Bayern werden immer spektakulärere Klettersteige in den Fels geschlagen. Doch nicht alle Alpinisten sind dem Trendsport gewachsen. Einige bezahlen jedes Jahr mit ihrem Leben.

Frederik Obermaier

Der Weg zum Gipfel beginnt mit einem metallischen "Klick, Klick". Andreas Schneider, 27 Jahre, trainierter Oberkörper, hängt sich mit zwei Karabinern an das Stahlseil, das sich vor dem Studenten 400 Meter die Felswand hinauf schlängelt. Als Aufstiegshilfe dienen lediglich ein paar Dutzend eiserne Stufen, jede Menge Fels und das stählerne Seil. Unten im Tal, am Königssee, sind die Souvenirstände noch geschlossen, hier oben herrscht bereits Hochbetrieb.

Klettern ist ein Abenteuer, einige jedoch bezahlen dafür jedes Jahr mit ihrem Leben. (Foto: N/A)

Bis zum Abend werden sich mehr als 100 Bergsteiger die Felszinken des Grünsteins hochgekämpft haben. Wie sie, schlüpfen jedes Wochenende Hunderte Bergfans in ihren Klettergurt, setzen sich ihren Helm auf und klinken sich dann in die Stahlseile der rund 50 Klettersteige im Freistaat. Für die meisten ist es ein Abenteuer, einige jedoch bezahlen dafür jedes Jahr mit ihrem Leben.

Erst vergangenes Wochenende stürzte eine 44 Jahre alte Frau an der Alpspitze in den Tod, ein 43-Jähriger starb am Gjaidsteig nahe Mittenwald. Im Juni war ein 70 Jahre alter Mann am Tegelberg im Ostallgäu ausgerutscht und 70 Meter tief gefallen. Er war sofort tot. Insgesamt hat sich die Zahl der Unfälle an Klettersteigen nach Angaben des Deutschen Alpenvereins (DAV) in den vergangenen zehn Jahren vervierfacht. Tendenz weiter steigend. In den Jahren 2008 und 2009 - neuere Zahlen gibt es nicht - registrierte der DAV 63 Unfälle, zwei davon endeten tödlich. Hinzu kommen noch die Unfälle von Bergsteigern, die nicht Mitglieder des Alpenvereins sind. Sie werden statistisch nicht erfasst.

Am Grünstein-Klettersteig gab es nach Angaben der Bergwacht bislang sechs Unfälle. Der Steig gilt als gut gesichert, er ist einer der neuesten in Deutschland. Als er 2009 eröffnet wurde, hatte Bayerns ältester Klettersteig an der Zugspitze seinen 100. Geburtstag bereits Jahre hinter sich. Lästerten Kritiker anfangs noch über die "Vorschulen für zaghafte Anfänger", erlebten Klettersteige in den vergangen Jahrzehnten einen rasanten Aufschwung. Immer neue Krampen, also eiserne Stufen, wurden in den Fels betoniert, Stahlseile gespannt und Eisennägel eingeschlagen. Der Weg zum Gipfel wurde zum eisernen Pfad, zur Via ferrata, wie es im Italienischen heißt.

Schnell entdeckten auch die Tourismusstrategen die Klettersteig-Geher für sich. Die sogenannten Ferratisti sollen im Sommer die Wintertouristen ersetzen und die Pensionen in Bayerns Alpentälern vom Seniorenheim-Image befreien. Dafür beteiligten sich die Hoteliers auch am Bau immer spektakulärerer Klettersteige. Die Isidor-Variante des Grünstein-Steigs etwa wird von zehn Hotels aus der Umgebung gesponsert, so erklärt es eine Plakette, die am Einstieg in den Fels angeschraubt ist. Den Sulzberg-Überhang ließ eine Metallbaufirma erschließen, den Quergang bezahlt die Sparkasse. Der Kommerz ist am Fels angekommen.

Am sogenannten Beppo-Pfeiler - einem Turm aus haushohen Felsblöcken - zieht sich ein Solo-Bergsteiger Krampe für Krampe nach oben. Seine Waden sehen nach Training aus, sein Klettergurt nach Achtziger. Er ist der typische Klettersteig-Geher: einer nämlich, dem das Wandern zu langweilig, Klettern hingegen zu anstrengend ist. Er klettert die leichte Variante des Grünstein-Steigs, das schwierigste Stück davon steht mit Schwierigkeitsgrad C im Kletterführer - genau in der Mitte also zwischen A, was man zur Not auch ohne Sicherung gehen und E, das für überhängende und extrem kräftezehrende Steige steht.

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Auch ein Stück weiter rechts, im Klammerwandl, ist das Schnaufen des Mannes noch zu hören. Gerade hangelt sich ein Bub in Radlerhose und rotem T-Shirt das letzte Stück des Klammerwandls nach oben. Es ist der schwierigste Abschnitt am Grünstein: eine überhängende Wand, nur Stufen, sonst glatter Fels. Eine nach hinten gekippte Leiter hochzusteigen, ist leichter. Er sei der Toni aus Bischofswiesen, erzählt der Bub. Acht Jahre sei er alt, "der Isidor" ist sein erster Klettersteig. Ob das dann nicht alles ganz schön anstrengend gewesen sei? "Basst scho."

Toni ist nicht das einzige Kind, das heute am Grünstein unterwegs ist. Auch Elias hat sich schon ins Gipfelbuch eingetragen. "6 Jahre" hat er in krakeligen Buchstaben hinter seinen Namen geschrieben. "Sobald sie eingeschult sind, können sportliche Kinder auch einen leichten Klettersteig gehen", heißt es beim DAV. Denn oft haben nicht die Kinder die größten Probleme, sondern die Eltern.

Auch Toni wartet lange hier oben, über dem Klammerwandl, auf einem Felsvorsprung mit Blick runter zum Königssee. Es vergehen fünf Minuten, zehn, Toni schaut auf seine Armbanduhr, dann auf die Hängebrücke, die als nächstes kommt. Er will weiter. Doch erst nach fast einer Viertelstunde taucht eine Enddreißigerin mit rotem Kopf an der Felskante auf.

Es ist Tonis Mutter. Es ist ihr erster Klettersteig seit 20 Jahren, sagt sie. Das Klammerwandl wäre sie beinahe nicht hochgekommen, sie hat die Schwierigkeit unterschätzt. "Ich dachte, so schwer kann ein Klettersteig gar nicht sein, dass man ihn nicht schaffen kann."

Lieber einen Schwierigkeitsgrad unter dem, was man glaubt, schaffen zu können, empfiehlt der DAV-Klettersteigexperte Stefan Winter. Denn jedes Jahr muss die Bergwacht Hunderte Bergsteiger von Klettersteigen abseilen oder sie Schritt für Schritt, Griff für Griff zum Gipfel begleiten. "Die Leute sind überfordert und erschöpft und bekommen dann Angst, trauen sich nicht mehr vor und auch nicht mehr zurück."

Allein aus dem Pidinger Klettersteig hat die Bergwacht vergangenes Jahr Dutzende Bergsteiger holen müssen. Für Ungeübte nicht geeignet, warnen Schilder - und dennoch will ihn jeder gehen. Auch am Gipfel des Grünstein schwärmt ein Mann - er dürfte um die 50 Jahre alt sein, das grüne Funktions-Shirt spannt über seinen Bauch - vom "Pidinger", den er unbedingt diese Saison noch klettern will. Dabei gibt es in Deutschland keinen Klettersteig, der schwieriger ist als der Pidinger. Der Steig führt eine 750 Meter hoher Wand den Hochstaufen hinauf. Wer nicht mehr kann, muss es bis zu einem der zwei Notausstiege schaffen.

Am Grünstein gibt es keinen einzigen Notausstieg. Einmal drinnen, gibt es zwar drei Varianten, die Richtung ist jedoch immer die gleiche: nach oben. Wer das nicht mehr schafft, hat ein Problem - heute haben das nicht wenige. Bereits am frühen Nachmittag sind vom Tal aus Dutzende bunte Punkte zu sehen, wie Perlen sind sie am Stahlseil aufgereiht.

Es sind die Kletterer mit ihren orangen Helmen und blauen Rucksäcken, sie warten darauf, weiterklettern zu können. Der Grund, so erzählen einige Bergsteiger später: Am sogenannten Guckloch traut sich eine Frau nicht, den Schritt über die etwa einen Meter breite Felsspalte zu machen, sie muss erst überredet werden. Bis dahin müssen die anderen warten: Es herrscht Stau auf dem Klettersteig.

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