Kinderfundstelle auf dem Oktoberfest:Mama verloren? Mir egal!

Lesezeit: 2 min

Auf dem Oktoberfest werden nicht nur Geldbeutel und Schlüssel verloren, sondern auch Kinder. Frauen vom Roten Kreuz kümmern sich in der Kinderfundstelle um sie.

Manuela Antosch

Als der Bub, den die Polizisten ins Zimmer bringen, die Puppenküche entdeckt, kocht er gleich Plastikeier und bietet sie den Betreuern an. Dass seine Eltern irgendwo da draußen im Gewühl sind, kümmert ihn überhaupt nicht. Die Kinderfundstelle ist eine kleine Oase mitten auf dem Oktoberfest. Polizisten, Sanitäter, Schausteller und Passanten bringen Kinder hierher, die alleine auf der Wiesn umher irren.

Wera Seisenberger (links) und Christl Hausleiter kümmern sich in der Kinderfundstelle um Kinder, die auf dem Oktoberfest verloren gegangen sind. (Foto: Manuela Antosch)

Die meisten sind verunsichert, viele weinen. "Die beruhigen sich aber schnell", sagt Christl Hausleiter. Gemeinsam mit Wera Seisenberger hat sie an diesem Tag Dienst in der Kinderfundstelle. Insgesamt arbeiten hier zehn Mitarbeiterinnen vom Frauensozialdienst des Roten Kreuzes, alle ehrenamtlich.

Christl Hausleiter schenkt ein Glas Wasser ein, bietet einen Keks an. Sie lässt die Jungen und Mädchen erst einmal in Ruhe spielen. Wenn sie sich beruhigt haben, wird sie nach einer Telefonnummer fragen. Viele Eltern haben ihren Kindern eine Handynummer auf den Handrücken geschrieben oder einen Zettel in die Hosentasche gesteckt. "Das ist schlau, auch wenn das Kind ein Handy hat", sagt Christl Hausleiter. Denn in der Aufregung ist die Nummer schnell vergessen, der Akku leer oder das Telefon weg.

Dass es immer mehr Handys gibt, merken sie und ihre Kolleginnen deutlich: "Vor fünf Jahren kamen noch dreimal so viele Kinder", schätzt Hausleiter. Die Kinderfundstelle gibt es seit 55 Jahren auf dem Oktoberfest. Erst war sie in Holzbaracken untergebracht, seit 2004 ist sie im Servicegebäude hinter dem Schottenhamel-Zelt.

Wera Seisenberger trägt die Daten fein säuberlich in das dunkelblaue Buch ein. Wann wurde das Kind gebracht, wann wieder abgeholt? "Heuer hatten wir bisher 18 Kinder", sagt sie mit einem Blick auf die Tabelle.

Mittlerweile kommen immer mehr Eltern zusammen mit ihren Kindern. "Das hier hat sich immer mehr zu einer Servicestelle entwickelt", erklärt Christl Hausleiter. Mütter können ihre Kleinen wickeln und stillen. In einer Mikrowelle können sie ihre Babygläschen aufwärmen, für ganz erschöpfte Kinder steht hier sogar ein Bett.

Ein großes Abenteuer: mit der Polizei unterwegs

Das Zimmer ist in freundlichem Gelb gestrichen, es gibt einen Maltisch, ein Spielzeugparkhaus und eine Puppenküche. An den Wänden hängen bunte Kinderbilder. Auf dem einen ist ein krakeliger Zug, auf dem anderen sind bunte Tiere. Zwei kleine Chinesinnen haben sie am Wochenende gemalt. "Es war sehr schwer, sich mit ihnen zu verständigen", erinnert sich Christl Hausleiter. Wie sollte sie da nur die Eltern wieder finden, ohne ein Wort Deutsch, ohne eine Telefonnummer?

Den Kindern war das egal. Sie haben friedlich gemalt und dabei den Rummel draußen vergessen. Als der Vater endlich kam, waren die Probleme aber noch nicht gelöst: Die Eltern hatten sich gestritten, die Mutter war abgehauen. Bis sich das Paar am Telefon geeinigt hatte, vergingen zwei Stunden. Die Mädchen malten währenddessen konzentriert und ließen sich nicht aus der Ruhe bringen.

Die meisten Kinder sind nur eine halbe Stunde da, dann werden sie schon wieder abgeholt. Die Eltern sind oft schlimmer als die Kinder, weiß Christl Hausleiter: "Das Erste, was sie fragen, ist: 'Warum bist du abgehauen?' Dabei sollten sie sich lieber freuen." Manchmal müssten sie Eltern sogar davon abhalten, ihre wieder gefundenen Kinder zu verhauen, sagt Wera Seisenberger. Ein Kind sei schnell weg in Menschenmassen: "Die Eltern denken nicht daran, dass die Kleinen nur Beine sehen."

Viele Kinder sind gar nicht begeistert, wenn sie mit den Eltern wieder raus in den Lärm müssen. Und vor allem für die Buben ist es ein richtiges Abenteuer, wenn sie von der Polizei gebracht wurden. Das können sie am nächsten Tag in der Schule erzählen.

Seit mehr als 20 Jahren arbeiten Christl Hausleiter und Wera Seisenberger in der Kinderfundstelle. Ausgebildete Erzieher sind sie nicht. "Aber wir haben genügend Erfahrung mit unseren Kindern und Enkeln." Manche Eltern wollten hier schon ihre Kinder abliefern "um dann in Ruhe zu saufen. Wir sagen dann: 'Sie müssen Ihre Kinder schon erst verlieren."

© sueddeutsche.de/anto - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kinderwiesn
:Wenn Väter zum Vulkan werden

Kinderwiesn! Wir hatten uns auf einen schönen Nachmittag bei tollem Wetter mit unseren süßen Kleinen gefreut. Doch es wurde, was es ist: ein Desaster.

Text: Lars Langenau

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: